© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Mit Handschellen aneinander gefesselt
Österreich: Trotz starken Worten von Haider aus Kärntnen regiert Kanzler Schüssel in Wien souverän weiter
Carl Gustaf Ströhm

Als sich Jörg Haider, Landeshauptmann von Kärnten und seit fast zwei Jahren nur mehr „einfa-ches FPÖ-Mitglied“, am vergangenen Sonntag einer Wiener Fernsehdiskussion stellte, schien die österreichische Regierungskrise, die bereits nach einem Bruch der „schwarz-blauen“ (ÖVP/FPÖ)-Koalition aussah, bis auf weiteres abgeblasen.

Zuvor hatten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) bekräftigt, daß die Zusammenarbeit beider Parteien fortgesetzt werde - obwohl Haider Schüssel mit Engelbert Dollfuß (dem 1934 ermordeten autoritären Bundeskanzler und Initiator der „Einheitspartei“ Vaterländische Front) verglichen und mit Neuwahlen gedroht hatte. Beide Koalitionspartner sind auch weiter uneins in der Frage des Volksbegehrens über das tschechische Atomkraftwerk Temelín und über die Frage des tschechischen EU-Beitritts.

Haider - und damit die FPÖ - proklamierte, nur eine Schließung des in Grenznähe zu Österreich errichteten „Schrott-Reaktors“ Temelín sowie eine Aufhebung der Benes-Dekrete könnten den Tschechen einen Weg in die EU öffnen. Mit den Dekreten, benannt nach dem tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes, waren die über drei Millionen Sudetendeutschen (aber auch „Madjaren“) in der Tschechoslowakei nach 1945 für vogelfrei erklärt und ihrer Vermögen beraubt worden. Ihr Eigentum wurde „an Personen slawischer Nationalität“ übereignet.

Falls die Tschechen in der Temelín- und der Benes-Frage nicht nachgäben, forderte die FPÖ ein Veto der Wiener Regierung gegen den EU-Beitritt des nördlichen Nachbarn. Darauf gingen die Wogen hoch. Die Kronen Zeitung und ihr achtzigjähriger Herausgeber Hans Dichand (immerhin die größte und einflußreichste Massenzeitung der Alpenrepublik) machten ebenfalls gegen Temelín mobil. Das Ziel des Wiener Zeitungszaren war jedoch ein anderes: Sturz der Regierung Schüssel und Wiederherstellung der „Großen“ SPÖ/ÖVP-Koalition (wie von 1986 bis 2000), natürlich unter sozialdemokratischer Führung. Kanzler Schüssel müßte dann in die zweite Reihe zurück. Scheinbare Kleinigkeit am Rande: Während Schüssel als ÖVP-Bundesobmann seinen Parteifreunden die Beteiligung am FPÖ-Volksbegehren ausdrücklich verboten hatte, gab SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer seinen Genossen die Beteiligung frei. Manche sahen darin sogar einen Vorgriff auf eine künftige SPÖ/FPÖ-Koalition - wie schon 1983 bis 1986.

Dann schaltete sich auch noch der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman ein, der den Österreichern empfahl, „es wäre gut, wenn ihr Haider und seine postfaschistische Partei möglichst schnell wieder loswerdet“. Ermutigt durch den links-linken Politologen Anton Pelinka von der Uni Innsbruck, stürzte sich der böhmische Sozialdemokrat (und Ex-Kommunist) Zeman via Profil auch auf die Sudetendeutschen. Diese seien „die fünfte Kolonne Hitlers gewesen“. Sie hätten die Tschechoslowakei verraten und die Vertreibung sei noch milde gewesen, weil sie die Todesstrafe verdient hätten (JF 5/02).

Damit war der Siedepunkt erreicht. Die ÖVP beteuerte, auch sie sei gegen Temelín und die Benes-Dekrete, nur sei sie gegen ein Veto, weil das die österreichische Position in der EU kompliziert und vielleicht gefährdet hätte.

Die Situation wird noch durch die Tatsache kompliziert, daß es sowohl innerhalb der ÖVP als auch in der FPÖ widersprüchliche Strömungen und Interessen gibt. In der Volkspartei sind jene (vor allem der „Wirtschaftsflügel“) nicht zu unterschätzen, die eine Rückkehr zur rot-schwarzen Koalition begrüßen würden, als man Probleme noch „koalitionsintern“ lösen konnte.

Bei den Freiheitlichen wiederum zeigen sich immer deutlicher Spannungen zwischen Jörg Haider einerseits und dem „Ministerflügel“ andererseits. Die Vertrauensleute, die Haider seinerzeit in die Wiener Regierung entsandt hatte, begannen sich bald vom großen Meister, der im fernen Kärnten geblieben war, zu emanzipieren. Teils fuhren sie - wie Finanzminister Karl-Heinz Grasser - einen neoliberalen „Nulldefizit“-Kurs, der mit Haiders Populismus nur noch den Parteinamen gemeinsam hatte (siehe JF 4/02).

Unter freiheitlicher Regierungsbeteiligung wuchs die Steuer- und Abgabenbelastung der Österreicher zunächst auf neue Rekordhöhen. Viele bisherige SPÖ-Wähler, die 1999 für die FPÖ gestimmt hatten, sind enttäuscht - trotz „Kinderscheck“. Voller Ingrimm sprechen bisherige FPÖ-Wähler von einer „Mogelpackung“: Die Freiheitlichen hätten ihnen Steuererleichterungen versprochen und statt dessen über alle Maßen Belastungen angehäuft.

Doch die ins Regieren verliebten FPÖ-Minister wollen nicht sehen, was Haider deutlich erkennt: Daß die FPÖ Gefahr läuft, die regulär für den 27. September 2003 angesetzten Wahlen zu verlieren und daß sie sich ihren populistischen Ruf einbüßen könnte, der einst die Quelle ihrer Wahlerfolge war.

Und daher versucht Haider in immer gewagteren Drahtseilakten (wie etwa dem erneuerten Kärntner „Ortstafelstreit“, JF 2/02), den einstigen „volkstümlichen“ Schmelz zu bewahren und zurückzugewinnen. Deshalb bedient er sich einer provokanten Sprache, welche die Gegner abschreckt, die eigenen Leute und den kleinen Mann aber mobilisieren soll. Wenn Haider jetzt die österreichischen Verfassungsrichter als „korrumpiert“ bezeichnet, weil diese auf der Grundlage des Parteiprozesses politisch ernannt wurden und außerdem sich selber ihre Gehälter „gerichtet“ hätten, dann reagiert das Establishment (auch das journalistische) empört - aber nicht wenige kleine Leute, die von bescheidenen Renten leben müssen, meinen: Er hat recht!

Die ÖVP/FPÖ-Koalition gleicht jenen zwei entflohenen Häftlingen, die mit Handschellen aneinander gefesselt durch die Sahara marschieren. Sie verachten und hassen einander vielleicht - aber jeder weiß, daß er ohne den anderen nicht kann. Und dann gibt es ja trotz allem Gemeinsamkeiten: Wer in Österreich etwas gegen die Tschechen sagt, erntet oft Sympathien, denn viele österreichische Politiker aus allen Parteien haben sudetendeutsche Vorfahren.


 
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