© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Der Retter kam wieder aus Hannover
Waggonbau Ammendorf: Kanzler Schröder intervenierte bei Bombardier und half damit auch Ministerpräsident Höppner
Peter Freitag

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist es allem Anschein nach wieder einmal gelungen, seinen Ruf als zupackender Retter von Arbeitsplätzen in Zeiten des Wahlkampfes zu manifestieren. Sein neuester Coup: Der vorerst gewährleistete Erhalt des Waggonbau-Werkes in Ammendorf bei Halle/Saale. Unter dem Jubel der dort beschäftigten 850 Arbeitnehmer verkündete Schröder letzen Montag die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Kanzleramt, Landesregierung und Vorstand des kanadischen Verkehrstechnik-Konzerns Bombardier Transportation.

Der traditionsreiche Ammendorfer Betrieb, dessen Geschichte bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreicht, war bereits in den neunziger Jahren in die Krise geraten, weil die Hauptabnehmer der dort produzierten Eisenbahnwaggons, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, ihre Kredite nicht zurückzahlten. Die Deutsche Waggonbau AG, zu der das Werk Ammendorf gehörte, wurde 1998 an Bombardier veräußert, der Standort nahe Halle konnte mit der Produktion moderner ICE-Wagen zunächst erfolgreich reüssieren, bis im Jahr 2000 wichtige Anschlußaufträge ausblieben. Die Kanadier beschlossen im vergangenen November, Ammendorf Mitte dieses Jahres zu schließen. Der weltgrößte Hersteller von Schienenfahrzeugen, der allein in Deutschland elf Standorte unterhält, sah sich dazu im Rahmen des Abbaus von Überkapazitäten gezwungen.

Sofort kam es daraufhin zu massiven Protesten der Arbeitnehmerschaft, die Teile des Werkes besetzte. Angesichts der knapp 255.000 Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt - hier rangiert das Land ausnahmsweise einmal an der Spitze des Bundesdurchschnitts - kann der Landesregierung die Schließung des größten Arbeitgebers der Region nicht gleichgültig sein; vor allem nicht kurz vor den Landtagswahlen am 21. April. Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) muß also dringend einen Verhandlungserfolg vorweisen, denn es drohen zahlreiche Gefahren: Zum einen lauert sein Langzeit-Tolerierungspartner PDS, dessen möglicher Erfolg zu einer weiteren tatsächlichen rot-roten Koalition führen könnte, die wiederum im Bundestagswahlkampf die „Neue Mitte“ verschrecken würde; zum anderen etabliert sich gerade neben der schwächelnden CDU eine weitere bürgerliche Kraft, die Schill-Partei, die nicht zuletzt um enttäuschte Sozialdemokraten buhlt.

So ist es leicht verständlich, daß aus Berlin dem in Not geratenen Magdeburger Genossen Hilfe naht. Schröder höchstpersönlich eilte zu den Verhandlungen mit dem Bombardier-Vorstandsvorsitzenden Laurent Beaudoin herbei - mit offensichtlichem Erfolg: Denn siehe da, Bund und Land werden zum einen - als Zuckerbrot - mit eigenen Mitteln in zweistelliger Millionenhöhe von Bombardier nicht benötigte Grundstücke kaufen, zum anderen drohte man - als Peitsche - dem Unternehmen, es müßte im Falle der Werksschließung bereits erhaltene Fördermittel zurückzahlen.

Die Opposition im Magdeburger Landtag wittert nun hinter der „Rettung von Ammendorf“ ein geschicktes Wahlkampfmanöver, mit dem Höppner und Schröder versuchten, „die Schließung des Werks über den Wahltermin hinauszuzögern“, so Johannes Ludewig, wirtschaftspolitischer Berater der CDU-Fraktion.

Unterfüttert wird der Verdacht des früheren Bahn-Chefs durch die Erinnerung an eine ähnlich „erfolgreiche“ Aktion Schröders vor einer Landtagswahl, nämlich seiner eigenen 1998 in Niedersachsen, die ihm die Kür zum Kanzlerkandidaten einbrachte. Auch damals hatte Schröder im Januar - anläßlich eines drohenden Arbeitsplatzabbaus bei den Stahlwerken Salzgitter - die Notbremse gezogen (siehe JF 4/02). Die Preussag unter Führung des Vorstandsvorsitzenden Michael Frenzel und des Aufsichtsratsvorsitzenden Friedel Neuber hatte bereits einen unterschriftsreifen Kaufvertrag zur Veräußerung der Preussag-Tochter Salzgitter (vormals „Reichswerke Hermann Göring“) an den österreichischen Konzern Voest/Alpine ausgearbeitet, als Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder - von der Preussag alarmiert - gegen das Vorhaben intervenierte. Noch am Tag des geplanten Verkaufs stoppte der um seine Wiederwahl Fürchtende im Düsseldorfer Büro des WestLB-Chefs Neuber (SPD) das Unternehmen und sorgte für die Übernahme der Salzgitter-Werke in den Besitz der NordLB und des Landes Niedersachsen.

Schröder witterte damals hinter dem Österreich-Geschäft eine Intrige der nordrhein-westfälischen SPD gegen sein Vorhaben, als Sieger in Niedersachsen anstelle von Oskar Lafontaine Kanzlerkandidat zu werden. Nach einem Bericht des Spiegel aus dem Jahr 2000 soll Schröder im Verlauf der hitzigen Auseinandersetzung mit Neuber gesagt haben, die „Steigerung von Todfeind sei Parteifreund“.

Daß es Schröder gelungen sei, Frenzel und Neuber vom Österreich-Geschäft abzubringen, führten beteiligte Dritte auf ein Angebot Schöders zurück, „das man nicht ablehnen konnte“. Hinter der erpresserischen Formulierung vermuteten Spiegel und andere Medien, daß Schröder drohte, andernfalls pikante Details der späteren Flugaffäre, in die sowohl NRW-SPD als auch WestLB verwickelt waren, oder Bilanzmanipulationen innerhalb der Preussag offenzulegen. Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte später aufgrund von Vorwürfen aus dem Preussag-Vorstand Ermittlungen gegen Frenzel eingeleitet, das Verfahren jedoch im November 2000 eingestellt. Seitens der niedersächsischen SPD, die weiterhin regieren konnte, und Gerhard Schröders, der doch Kanzler geworden war, bestand jedenfalls kein großer Bedarf mehr an der Aufarbeitung der Salzgitter-Affäre. Sie war zur Zufriedenheit aller „abgeschlossen“. Den jetzigen Wahlkämpfern Höppner und Schröder war in den Verhandlungen mit Bombardier zum genau passenden Zeitpunkt die Deutsche Bahn AG sekundierend zur Seite gesprungen, indem sie nun eine Verjüngung ihres Fahrzeugbestands mit Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro bis ins Jahr 2006 in Aussicht stellte.

Die Bahn wies in diesem Zusammenhang Gerüchte - selbst wenn sie aus dem Kanzleramt kamen - zurück, daß Bahn-Chef Mehdorn unter Druck gesetzt worden sei. Überaus erhellend ist jedoch, daß an einer weiteren Schaltstelle der Bahn eine Person sitzt, die neben Gerhard Schröder auch schon in der Salzgitter-Affäre eine nicht unmaßgebliche Rolle spielte und dem Bundeskanzler vielleicht noch aus dieser Zeit einen „Gefallen“ schuldet. Denn als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert kein Geringerer als Preussag-Chef Michael Frenzel. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt!


 
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