© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Onkel Doktor aus Sofia
Gesundheitspolitik: „Green Card“ für Ärzte gefordert
Jörg Fischer

Zunächst schien es, als sei es nur eine von vielen Forderungen nach neuen „Green Cards“ für „Spezialisten“ aus Nicht-EU-Ländern: Der Landevorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt, Burkhard John, hatte am 16. Januar anläßlich des Neujahrsempfangs der Heilberufe beklagt, daß in seinem Bundesland derzeit 120 Hausärzte fehlen. In fünf Jahren würden es sogar bis zu 450 sein.

Auch bei Fachärzten verschärfe sich die Situation. Das „schwindende Potential an Medizinern sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich“ sei zu einer „ernsthaften Bedrohung einer qualitativ hochwertigen Versorgung“ geworden. Im Anschluß an ihr Studium in Magdeburg und Halle wanderten die Ärzte in „attraktivere Länder“ ab. Mediziner aus Bulgarien, Polen, der Slowakei oder Ungarn könnten das Problem lösen, so John. Erste Gespräche dazu habe es bereits gegeben. Daß 2004 sowieso die EU-Erweiterung ansteht scheint John entgangen zu sein. Die Idee einer „Green Card für Ärzte“ war geboren.

Die PDS-tolerierte Landesregierung reagierte schnell: „Sachsen-Anhalt ist ein weltoffenes Land“, erklärte Sozialministerin Gerlinde Kuppe. „In anderen Bundesländern ist es längst normal, daß der Arzt auch mit Akzent spricht.“ Aber auch eine „gerechtere Bezahlung“ (die Honorare liegen 25 Prozent unter „West-Niveau“) könne dazu beitragen, ein ausreichendes Fachärztenetz zu sichern - am 21. April ist schließlich Landtagswahl. Wer die Honorarversprechen in einem Land mit über 250.000 Arbeitslosen finanzieren soll, erwähnte die 56jährige SPD-Politikerin nicht.

Zwei Tage später, am 24. Januar, meldete sich die Ärztekammer von Sachsen zu Wort. Deren Präsident Jan Schulze meinte: „Unsere Partnerkammer im niederschlesischen Breslau hat gut ausgebildete Ärzte, die gern in den Osten kommen würden“. Letzten Montag kam ein weiteres Bundesland hinzu: Der Sprecher der KV- Brandenburg, Ralf Herre, sagte der Märkischen Oderzeitung, auch in Brandenburg würden derzeit 200 Haus- und Fachärzte gebraucht.

Besonnenere Stimmen warnen: Der Ärztemangel sei so nicht zu bekämpfen, erklärte Detlef Joswig, Geschäftsführer des Marburger Bundes Sachsen-Anhalt, der Magdeburger Volksstimme. Die Aus- und Weiterbildung osteuropäischer Mediziner weiche vom westlichen Standard erheblich ab. Er forderte eine leistungsgerechte Vergütung von Ärzten im Praktikum, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Krankenhausärzte durch den Abbau und die Bezahlung von Überstunden, die Befreiung von Budgetzwängen und die Entlastung von arztfremden Aufgaben. Vergangenes Jahr hätten in Sachsen-Anhalt über 40 Prozent der Absolventen eines Medizinstudiums entweder keine ärztliche Berufstätigkeit aufgenommen oder seien ins Ausland gegangen. Auch die Abwanderung ins benachbarte Niedersachsen sei hoch, beklagte Joswig. Zudem würden viele junge Mediziner ein Zweitstudium in Informatik oder Krankenhausmanagement aufnehmen, um im Anschluß daran in die private Wirtschaft oder in die Pharmaindustrie zu gehen. Grund dafür sei das wesentlich höhere Gehalt und die geringere Arbeitsbelastung.


 
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