© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Thomas Gottschalk: Ein Vierteljahrhundert „Wetten daß?“ und kein Ende in Sicht
Goldbär zwischen Mainz und Malibu
Jutta Winckler

Das statistische Mittel der Umfragendemokratie hält ihn - nach Günter Jauch - für „einen der klügsten Deutschen“. Sein Lebenslauf ist dem der BRD gleichsam simultan, der Bayer ist seit fünfundzwanzig Jahren skandalfrei mit Thea, der Mutter seiner Kinder, verheiratet; mit den Söhnen Roman und Tristan lebt die Familie am Ammersee und am Pazifik, im kalifornischen Malibu.

Es war das gute alte Radio, das dem Kulmbacher Abiturienten und Grundschullehrer zu Beginn der siebziger Jahre zum Start ins Unterhaltungsgewerbe verhalf; nach kurzer Printmedienzeit beim Münchner Merkur landete ein naßforsch auftretender, blondgelockter Rauschgoldengel beim bayrischen TV-Landessender „Pop nach acht“, schaffte mit „Telespiele“ den Sprung ins bundesweite ARD-Programm, bevor er in den frühen Achtzigern, der „Friedensbewegung“ koextensiv, beim Zweiten Deutschen Fernsehen mit „Na sowas“ reüssierte.

Man schrieb das Jahr 1987, da trieb es einen - den wohl nur Deutsche als Großunterhalter bezeichnen - Kaninchenzüchtervereinskassenprüfer namens Frank Elstner aufs Eis, jenem Esel ähnlich, dem in der Fabel das Fell juckt. Gottschalks vormaliger Hörfunkkollege war über Radio Luxemburg aufgestiegen und mähte, seit Jahren in ZDF-Diensten, mit seiner Spielshow „Wetten daß...?“ die Konkurrenz souverän nieder. Der Bebrillte überließ dem jüngeren Kollegen seinen Zuschauergiganten und trat, im Lichte des sich anschließenden Absturzes, ihm selbst wohl am unbegreiflichsten, in die TV-Kulisse zurück.

Gottschalks Wettschau kam noch besser an, er toppte seinen Vorgänger und wurde zum Star. Bis auch ihn das Fell juckte; nach sechs megaerfolgreichen Jahren drohte Routine hereinzubrechen. Gottschalk läßt sich zu täglicher Mitternachtsunterhaltung überreden und bricht ein. Unvergessen, wie er sich eines unbescholtenen Tages einen launigen Landsmann eingeladen hatte, und zwar den Schönhuber-Franzl, seines Zeichens Mitbegründer und charismatischer Chef der rechtskonservativen Kleinpartei „Die Republikaner“.

Der vormitternächtliche Talkabtausch geriet zur Farce: Schwatzmeister Gottschalk schien von seiner Redaktion hinsichtlich innen- wie außenpolitischer Hintergründe nur unzureichend ins Bild gesetzt worden zu sein, weshalb er argumentativ erbarmungswürdig unter die Räder geriet. Von Kohls Bild bis zu Gremlizas Konkret gab’s feste Haue; einschlägig notorische Medien-Demokraten liefen unisono Sturm wider die demokratietaktisch unverantwortlich aus dem Ruder gelaufene „Late Night Show“ und forderten die obligate „Ausgrenzung“ des Täters. Polit-Naivling Gottschalk nahm sich - zu Tode erschrocken - die Lektion zu Herzen; seit den frühen neunziger Jahren hat man kein politisches Wörtchen mehr von ihm gehört. Die folgende TV-Propaganda für Euro-Zwangswährung und planetarisch flächendeckend offerierte US-Schnellfrikadellen mag der langfristig angelegten Selbstresozialisierung eines Spaßpopulisten dienen.

Ohne musizierende oder schauspielernde Weltstars, um die in der Regel diverse „Promis“ minderer, nationaler Ernstnehmerstufe drappiert werden, fällt es dem Mainzer Plauderbeutel schwer, eine längere Sendung durchzutragen, zumal Gottschalk (anders als musikalisch wie mimisch gleichermaßen begabte Entertainer vom Schlage eines Juhnke, Speck oder Westernhagen) in der leichten Muse - neben läppischer Filmerei („Die Supernasen“) und rockmusikalischer Abirrung - gar nicht erst zu dilettieren sucht. Gegen Pointenpanzerfäuste wie Harald Schmidt oder Matthias Beltz und Matthias Richling wirkt sein Witz wie pubertäre Klassenclownerie.

Kein Wunder, daß Gottschalk, nicht zuletzt aufgrund hiesiger Marktknappheit an Prominenz, die dröge Talkerei zu nachtschlafener Zeit aufgab und sich 1994 abermals zu Elstners Wettschau bekannte. Seine steifleinerne „Hausparty“ in Kirchs SAT.1 floppte wie alles, was er auf Nebenschienen zu bewegen suchte, u.a. der peinliche 1999er Film „Late Show“, in dem er sich selbst zu geben hatte. Bruder Christoph Gottschalk „vermarktet“ seinen eine Spur blonderen und ein Jahr älteren Bruder. Neben Lichtgestaltler Beckenbauer, Internetanalphabet Becker, Dummchendarstellerin Verona Feldbusch, Vollgas-Schumacher und den „Tatort“-Greifern „Stöver und Brocki“ (Wolle Krug und Kalle Brauer) können mittlerweile auch die beiden Kulmbacher Bub’n extrem feiste Werbehonorare verbuchen.

Wirbt der Blonde mit dem großen Mundwerk für Bonner Fruchtgummibären („Haribo macht Kinder froh“), könnte man ihn, den goldensten aller Goldbären, für die Inkarnation jenes (Un-)Geistes halten, der die BRD alten wie neuen Zuschnitts nach Harmlosigkeit geradezu gieren läßt: Marginalisierungstendenz, Selbstverzwergung, Schlaraffentum, Biedermeierlichkeit und dauerschlafmützige Ohnemichelei haben seit Heinz Rühmann solch überzeugenden Ausdruck nicht mehr gefunden. Was, zumal im Vergleich mit transatlantischen Vergleichsgrößen, auch und besonders hinsichtlich erotischer Ausstrahlung gilt, denn welche Frau würde einen fahrig labernden, dauergrinsenden Kleiderständer sexy, maskulin, begehrenswert finden?

Bei all seiner Körperlänge ist der erfolgreichste Fernsehmensch der Nation jener sprichwörtliche „kleine Mann“ Rühmannscher Prägung geblieben; völlig zurecht reklamiert er dies für sich und ist unterdessen dünnhäutiger geworden. Er wittert, er weiß aus Erfahrung, daß unter Deutschen Superstars auf Dauer nicht gut gelitten sind. Der sozial-materielle Neid ist unter Regelungswütigen und passioniert Gleichkleinseinwollenden tief eingewurzelt; wachsende linke Mehrheiten deuten darauf hin, daß er sogar wächst. Wie Jürgen Klinsmann, das schwäbische Fußball-Seelchen, und Becker floh der ZDF-Goldbär nach El Dorado, näherhin nach Kalifornien, wo er „genießt, daß einen keine Sau kennt“. Ist bei Gagen seines Kalibers nicht stets ein Teil als Schmerzensgeld vorgesehen?

Kehrt er nach Germany zurück und stehen dort „mehr als drei Leute auf einem Haufen“, befällt ihn sofort jener „gewisse Moderationszwang“; Böswillige wollen erkannt haben, daß Gottschalk seinen Zenit überschritten habe, so jüngst Bernd Gäbler, Chef des Adolf-Grimme-Instituts. Diese typisch deutsche Einrichtung vergibt Fernsehpreise, wobei sie mit Zensuren nicht spart, und als eine Art Jüngstes BRD-Gericht für elektronische Medienkultursünden fungiert. Gottschalk will von Sättigung und Niedergang nichts wissen. Er betreue mit seinem Bruder einen 15-Millionen-Markt und der soeben gegründete „Wetten-daß-Club“ stoße Deutschland in ein neues Marketingzeitalter; wer da Mitglied werde, der werde ein Rabattberechtigter und spare künftig beim Tanken, Versichern, Einkaufen, Urlauben und weiß-der-Teufel-wo-sonst-noch Geld. Durch die Kooperationspartner. Durch die große Vernetzung. Schluß mit der Mainzelmännchenidylle! Stört die TV-Bürokratie die geschäftlichen Kreise seiner Gottschälke nicht, „ist uns wurscht, wer unter mir ZDF-Intendant wird“.

Quod erat demonstrandum - was zu beweisen war, hätte Tommis alter Lateinpauker dazu sagen und den sich unaufhaltsam voranfressenden Prozeß meinen können, in dessen Verlauf die Profit-Ökonomie des Privaten sich auf allen gesellschaftlichen Segmenten das Politische zu unterwerfen droht.


 
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