© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Neulich im Internet
Märchensteuer
Erol Stern

Gestern war ich im Kino und habe mir endlich „Herr der Ringe" angeschaut, ein toller Film. Beim Blick auf die Eintrittskarte fiel mir etwas auf, worauf ich bisher nie geachtet hatte, die Märchensteuer! Diese beträgt bei Kinofilmen nur 7 Prozent. Interessant, denn es kümmert sich niemand darum, was genau ich mir nun anschaue, Schmuddelfilmchen oder Weltklassekino. Wieder zu Hause habe ich mir mal meine Telefonrechnung vorgeknöpft. Für meinen Internetzugang zahle ich 16 Prozent Mehrwertsteuer. Auch hier interessiert sich niemand, was ich mir im Web anschaue, egal ob Pornoseiten, Reisereservierungen, Shopping oder akademische beziehungsweise wissenschaftliche Inhalte mich anziehen. Es wird also auch nicht unterschieden ob ich fleißiger Student, kaufsüchtiger Yuppie oder schmieriger Voyeur bin. Soweit, so gut, wären da nicht die hartnäckigen Stimmen böser Menschen, die auf die zweifelhafte Idee gekommen sind, eine GEZ-Gebühr für Internetanschlüsse durchsetzen zu wollen, mit der nicht gerade überzeugenden Begründung, daß man ja auch die Webseiten öffentlich rechtlicher Radio- und Fernsehsender besuchen könne, wobei ich mich auch frage, wer diese zwingt, ihre Seite ins Netz zu stellen? Im Gegenteil! Wäre nicht das Internet dafür prädestiniert, denjenigen die lästigen GEZ-Gebühren zu ersparen, die zwar fernsehen möchten, sich aber auf private Sender beschränken würden? Auf jeden Fall werde ich in diesem Jahr wieder das „Steuersparmodell Kino“ in Anspruch nehmen und mir Teil zwei vom Herrn der Ringe anschauen, denn wer mir Märchen erzählt, entscheide ich noch selbst, meint Euer EROL STERN


 
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