© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/02 08. Februar 2002 |
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Armutsrisiko Kinder Staatliche Allmachtsphantasien: Zum Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung Mina Buts Das Fazit des 11. Kinder- und Jugendberichtes, den Familienministerin Christine Bergmann in der vergangenen Woche vorgelegt hat, klingt harmloser, als es gemeint ist: Von einer öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern ist die Rede, und in der Tat wird niemand in Frage stellen wollen, daß die Familien hier nicht allein gelassen werden können. Die Autoren des Berichts und die rot-grüne Bundesregierung führen aber anderes im Schilde als eine Verbesserung öffentlicher Leistungen im Rahmen der bestehenden Rollenverteilung zwischen Elternhaus und Staat. Sie stellen die Erziehungskompetenz der Familie in Frage und reden einer staatlichen Rundumbetreuung der Kinder das Wort. Schon in seinen einleitenden Worten hebt der Bericht darauf ab, daß sich die Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr länger nur an auffällige und schwierige Kinder wenden soll, sondern künftig alle unter 20 von ihr zu erfassen sind. Auf diese Weise gelte es, die ungleichen Startchancen und Lebensbedingungen, die sich aus Geschlecht, regionaler Herkunft oder aus einem Migrationshintergrund ergeben, zu überbrücken. Diese Ausweitung der Jugendhilfe ist allerdings wohl auch der demographischen Entwicklung geschuldet: Der Minderheitencharakter, den noch vor 30 Jahren die über 65jährigen hatten, wird in 20 Jahren den Kindern zuzuerkennen sein: Gerade einmal 17 Prozent der Bevölkerung werden im Jahr 2020 noch jünger als zwanzig sein. Die Zeit für einen Neuen Generationenvertrag ist also gekommen. Nach dem Motto Dienste vor Geld sollen dabei die Belastungen zwischen den Generationen umverteilt werden. Wer allerdings auf eine finanzielle Würdigung der Leistungen der Familien hoffte, wird enttäuscht. Es ist ausschließlich vorgesehen, ein so umfassendes Betreuungssystem zu schaffen, daß sich diesem kein Kind mehr entziehen kann: Wir brauchen in Deutschland ein bedarfsgerechtes und flächendeckendes Kinderbetreuungssystem. Hier klaffen derzeit große Lücken, unter denen Eltern und Kinder gleichermaßen leiden: Eltern, die Beruf und Zeit für die Familie nur schwer vereinbaren können, und Kinder, denen ein bestmögliches Förderangebot von der Geburt an verwehrt bleibt. Nur durch ein solch massives staatliches Engagement könne auch der Verfall des Bildungsniveaus der Jugendlichen in Deutschland, den die Pisa-Studie in ihrem Ergebnis bereits vorweggenommen hat, gestoppt werden: Jugendpolitik ist Bildungspolitik, und Bildungspolitik muß in frühem Alter ansetzen. Der Ausbau der Ganztagsangebote ist unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit und der Bildung wichtig. Ganztagsangebote unterstützen informelle Bildungsprozesse und sollten daher für alle Kinder und Jugendlichen bereitstehen. Mit ihrer uferlosen Interpretation der öffentlichen Verantwortung des Staates für die Erziehung der Kinder verabschiedet sich die Ministerin demonstrativ von jenem Bild der Familie, das in unserem Staat bislang maßgeblich war. Sie tut dies ohne Not und widerspricht damit auch allen Studien, die dieser Institution in ihrer tradierten Form gerade in den vergangenen Jahren einen wachsenden Stellenwert bescheinigen. Von einer gleichsam naturwüchsigen voraussetzungslosen Erziehung der Kinder in der Familie, meint dennoch die Ministerin, könne heute nicht mehr ausgegangen werden, vielmehr müsse die Politik die Voraussetzungen für die familiäre Erziehung durch Förderung und Unterstützungsleistung erst schaffen. Obwohl immer mehr Kinder in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze aufwachsen und dies insbesondere auf kinderreiche Familien zutrifft, wird ein Ausbau der finanziellen Leistungen für die Betroffenen nicht einmal mehr angedacht. Mit der Erhöhung des Kindergeldes, der Anpassung der Grenzen beim Erziehungsgeld und dem Freibetrag für alle Haushalte mit Kindern seien sowohl die Vorgaben aus dem 10. Kinder- und Jugendbericht als auch des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt, alles andere soll der Sozialpolitik überlassen bleiben. Eine Stärkung der Familie ist politisch offenkundig nicht mehr opportun. Die Entscheidung von Frauen, wegen eines Kinderwunsches ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen und sich für eine gewisse Zeit ganz ihren Kindern zu widmen, nimmt ihnen der Staat ab. Niemand wird mehr darüber jammern können, wegen der mangelnden Kinderbetreuung an eigener Erwerbstätigkeit gehindert zu sein, im Gegenzug darf aber auch keine Aufwertung des Nur-Mutter-Daseins verlangt werden. Bilanztechnisch mag das gigantische Kinderbetreuungssystem wie eine Jobmaschine erscheinen: Hausfrauen zahlen für die von ihnen erbrachte Leistung weder Steuern noch Sozialbeiträge, schließlich erhalten sie ja keinen Lohn dafür. Künftig könnten sie endlich einer abgabepflichtigen Berufstätigkeit nachgehen. Im gleichen Moment müßte man auch ein ganzes Heer von Erziehern, Sozialpädagogen und anderem Betreuungspersonal bereitstellen, das ebenfalls sozialversicherungspflichtig beschäftigt wäre. Mit den dadurch geschaffenen Arbeitsplätzen und den zusätzlich erwirtschafteten Sozialbeiträgen könnte der Neue Generationenvertrag in der Tat ganz neue Akzente setzen. Für Erziehungsexperimente bleibt bei diesen Vorstellungen kein Platz mehr. Von der freien Entfaltung der Persönlichkeit oder dem selbständig denkenden und selbstbestimmt handelnden Kind redet ohnehin längst niemand mehr. Gefragt ist heute das anpassungsfähige, mobile Kind, das sich sogar auf seine Einschulung im fünften Lebensjahr freuen darf, sollte sich der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, Edmund Stoiber, am 22. September mit seinen Vorstellungen durchsetzen können. Der frühzeitige Schulbesuch dürfte dem Kind nach all den bereits in der KiTa vermittelten Bildungsinhalten auch nicht schwerfallen. Nach der endlich auf zwölf Jahre gestrafften schulischen Laufbahn, darf es bereits mit 17 ein Studium beginnen. Bis dahin könnte auch die Reform der Hochschulen so weit vorangeschritten sein, daß ein erster, praxisorientierter Abschluß - nach Zahlung einer angemessenen Studiengebühr - bereits nach vier Semestern möglich ist. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt würde auf diese Weise noch vor dem 20. Lebensjahr erfolgen. Auch dieser Arbeitnehmer könnte dann mit seinen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen einen weiteren Akzent im Neuen Generationenvertrag setzen. Nach den Utopien der siebziger Jahre und dem orientierungslosen Durchwursteln der Ära Kohl ist die Jugend- und Familienpolitik nun im zynischen Pragmatismus gelandet. |
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