© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Eine steife Brise weht bis Sachsen-Anhalt
Schill-Partei: Neugründung des Landesverbandes ist abgeschlossen / Gründung der „Junge Offensive“ steht bevor / Marseille will bürgerliche Regierung
Steffen Königer

Ein schöner, sonniger Tag empfing die Besucher in Halle am letzten Wochenende. Bei frühlingshaften Temperaturen hatte die Schill-Partei im Kempinski-Kongreßzentrum in der Saale-Stadt zur Gründung des Landesverbandes Sachsen-Anhalt aufgerufen. Von den 788 Mitgliedern, die die Partei schon vor der offiziellen Gründung hatte, strömten 262 in den großen Festsaal, der schon durch sein Aussehen klarmachte: Hier findet etwas ganz besonderes statt. Ein großes Medienaufgebot aus dem gesamten Bundesgebiet begleitete die Veranstaltung.

Nach einer Begrüßungsansprache des Landeskoordinators für Sachsen-Anhalt, Ulrich Marseille, in der der 46jährige angekündigte, innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Parteizeitung mit einer Auflage von 1,5 Millionen herauszugeben, folgte der Auftritt des Parteichefs und -gründers Ronald Schill. Unter dem Beifall der Anwesenden mußte er sich mühsam seinen Weg zum Podium bahnen. In seiner Rede versuchte Schill vergessen zu machen, daß er mit seinem Wunschkandidaten Marseille einen „reichen West-Onkel“ (Dresdner Neueste Nachrichten) präsentiert. Schon mit dem Leitmotto für die Landtagswahlen „Sicherheit schafft Arbeit“ sollte das Hauptthema angesprochen werden. Sachsen-Anhalt, so Schill, sei „das Kernland deutscher Kultur“, liege aber wirtschaftlich danieder. Daher brauche es einen Mann wie Marseille, der es schon einmal von ganz unten nach ganz oben geschafft habe. Schließlich sei Marseille eine „anerkannte Persönlichkeit, die Kontakte zu nationalen und internationalen Firmen hat“. Für die schlechten Umfragen der Schill-Partei, der derzeit in Sachsen-Anhalt nur zwei Prozent zugetraut werden, hatte der Hamburger Innensenator eine einfache Erklärung: „In der Umfrage wurde nach der PRO gefragt - darunter kennt doch niemand die Schill-Partei.“

Nach langanhaltendem Applaus ging es zu den Vorstandswahlen. Der Tagungspräsident Dieter Wibben, frisch gewählt mit 240 Stimmen, führte durch die Tagesordnung. Bei der Wahl zum Landesvorsitzenden kandidierte - entgegen der Ankündigung, es stünden für jeden Posten mehrere Mitglieder zur Auswahl - nur Ulrich Marseille. Er wurde mit 213 Stimmen, bei 41 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen, gewählt. Ebenfalls auf Vorschlag der Landesspitze wurden die weiteren Mitglieder des Landesvorstands gewählt. So der erste Stellvertreter, Kai Watermann, ein ehemaliger Sozialdemokrat und Mitbegründer der Ost-SDP, der sich in der Stichwahl gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten Karlheinz Haur mit 134 zu 117 Stimmen knapp durchsetzen konnte. Auch der zweite Stellvertreter, Alan Morris, ein 54jähriger gebürtiger Wallone und Leiter des Wolmirstedter Polizeireviers, der die benötigten 50 Prozent mit 132 Stimmen im ersten Wahlgang zustande brachte, entsprach der Empfehlung der Hamburger Zentrale. Ein wenig bedauerlich schien es, daß für den Vorstand nur eine einzige Frau, Renate Hempel, eine Zahnärztin aus Wernigerode, kandidierte. Ihr wenig glückliches Auftreten trug ihr in beiden Wahlgängen eine Niederlage ein.

Einige überraschende Details bot das Wahlprogramm, welches ausführlich diskutiert und ergänzt wurde. Die zukünftigen Amts- und Mandatsträger der Schill-Partei verpflichten sich freiwillig, fünf Prozent ihrer Diät für die Gründung einer Landesbank oder für zweckgebundene wirtschaftliche Projekte zur Verfügung zu stellen, hieß es in einem zusätzlich angenommenen Antrag. Weiter wurden noch Verkehrsprojekte wie der Weiterbau der A14 positiv beschieden; das Schächten soll nach dem Willen der Partei in Sachsen-Anhalt untersagt werden. Ein Antrag der ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten Gudrun Schnirch, das umstrittene Unterrichtsfach Lebenskunde, Ethik und Religion (LER) auch in Sachsen-Anhalt bindend einzuführen, wurde abgeschmettert. Deutlich war der Unmut einiger Mitglieder zu spüren, daß die 56jährige Diplom-Ingenieurin mit ihrem Übertritt zur Schill-Partei den Anschein erweckte, sie wolle sich nur ihr Abgeordnetenmandat sichern.

Das Programm wurde mit großer Mehrheit angenommen. Die Sicherheitspolitik steht im Gegensatz zum Hamburger Programm nicht im Mittelpunkt. Vor allem möchte man mit der Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses zwischen Wirtschaft und Politik das Land von Platz eins der Arbeitslosenquote, der Pleitenquote und der Abwanderungsquote verdrängt wissen. Deregulierung soll hier helfen, drei Regierungspräsidien ersatzlos gestrichen werden: „Das sind nur Horte der Verhinderung“, so Marseille. Zur Bildungs- und Sozialpolitik wurden Vorschläge unterbreitet, beispielsweise die Wiedereinführung der Kopfnoten, Zensuren von der ersten Klasse an sowie das Abitur nach zwölf Schuljahren.

Vor der Wahl des Spitzenkandidaten erhielt Danny Wehnert noch starken Beifall. Auch die Jugend müsse ihren Beitrag dazu leisten, die Abwanderung gerade junger Menschen zu stoppen, so der 26jährige. Deshalb sei es vonnöten, daß sich in nächster Zeit ein Jugendverband der Schill-Partei gründet, so Wehnert gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Mit einem Budget von 250.000 Euro - ausschließlich von Spenden der Mitglieder und Befürworter der Partei finanziert - wolle man einen heißen Wahlkampf liefern.

Der Spitzenkandidat wird kein Mandat erhalten, sondern nur für einen Posten in der Regierung zur Verfügung stehen. Somit wird Ulrich Marseille entweder Minister werden oder Unternehmer bleiben. Denn der einzige Kandidat für diese Position erhielt mit 166 Ja-Stimmen und 15 Gegenstimmen den erwarteten Rückenwind für seine politischen Ambitionen. Auf der abschließenden Pressekonferenz sagte der Marseille, er könne sich sehr wohl vorstellen, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. „Das stünde mir gut zu Gesicht“, so der selbstbewußte Unternehmer aus Hamburg.

Am Sonntag konnte die Liste für die Landtagswahlen am 21. April nur halb fertiggestellt werden. Bis um eine Minute vor zwölf waren lediglich 20 Listenplätze vergeben, weitere müssen binnen zwei Wochen erfolgen, sonst ist die Frist für die Einreichung der Kandidatenliste beim Landeswahlleiter kaum noch einzuhalten. Der Wunschkandidat von Marseille, der Kai Watermann gern auf Position eins der Liste gesehen hätte, verlor gegen den Wernigeroder Hochschulprofessor Michael Kausch, vormaliges SPD-Mitglied, auch gegen Karlheinz Haur hatte er keine Chance. Für den dritten Listenplatz trat Watermann gegen Allan Morris erst gar nicht mehr an. Mit Brit Schibilla ist die erste Frau nur auf Platz fünf der Landesliste zu finden.


 
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