© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Offener Konflikt
Stammzellen-Import: Der Beschluß des Deutschen Bundestages zieht Auseinandersetzung um seine Auslegung nach sich
(idea)

Der Bundestagsbeschluß vom 30. Januar, der den Import embryonaler Stammzellen unter strengen Auflagen zuläßt, zieht weiteren Streit nach sich. Falls der Embryonenschutz aufgeweicht wird, könnte der Rat der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen des Verstoßes gegen Artikel 1 Grundgesetz erwägen, sagte der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich vor Journalisten in München. Bei der Abstimmung hatten 340 der 618 anwesenden Bundestagsabgeordneten für die Einfuhr von embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen votiert. Für die EKD und die katholische Bischofskonferenz bedeutet der Beschluß, daß „das Lebensrecht und der uneingeschränkte Lebensschutz des Menschen vom Zeitpunkt der Befruchtung an nicht mehr gewährleistet“ sei. Der EKD-Vorsitzende Manfred Kock und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Karl Lehmann, forderten die Abgeordneten zu einem verstärkten Engagement für den Lebensschutz auf, „damit der Beschluß nicht zu einem Dammbruch führt“.

Die kirchenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Marita Sehn, forderte die Kirchen auf, diesen Beschluß zu respektieren. Es wäre eine „ethisch unverantwortliche Trittbrettfahrerei“, wenn man selber die Forschung nicht durchführen, aber von den Ergebnissen - etwa besseren Heilungschancen - profitieren wolle. Die sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Christa Reichard erläuterte in einer Erklärung, warum sie gegen den Import von embryonalen Stammzellen gestimmt hat, obwohl sie in ihrem Dresdner Wahlkreis damit eine Minderheitsposition vertrete. Sie werbe aus christlicher Überzeugung „für ein klares und eindeutiges Ja zur Menschenwürde von Anfang an“.

Zwischen dem Befürworter des Stammzellenimportes, dem früheren CDU-Generalsekretär und evangelischen Theologen Peter Hintze, und dem Bundesvorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK), Jochen Borchert, ist es zu einem offenen Konflikt über die Auslegung des Bundestagsbeschlusses gekommen. Borchert warf Hintze in einer Presseerklärung vor, er mißachte das Abstimmungsergebnis, wenn er sich dafür einsetze, daß das künftige Importgesetz „forschungsfreundlich“ wird. Borchert befürchtet, daß so der embryonalen Forschung Tür und Tor geöffnet werde.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat einen Tag nach dem Bundestagsbeschluß den Förderantrag des Bonner Neurologen Oliver Brüstle zur „Gewinnung und Transplantation neuraler Vorläuferzellen aus humanen embryonalen Stammzellen“ genehmigt. Ihr lägen außerdem noch zwei weitere Forschungsanträge vor. Die Fördermittel der DFG bleiben allerdings bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes gesperrt.


 
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