© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Europäischer Klassenkampf
Carl Gustaf Ströhm

Meine Herren, die Situation ist da!“, pflegte Konrad Adenauer zu sagen, wenn es um ernste und gefährliche Dinge ging. Das trifft nun auch für das Thema „Osterweiterung“ der EU zu: nach all den schönen Worten beginnen sich die Dinge hart im Raume zu stoßen.

Premier Viktor Orbán, der sonst als „Bilderbuch-Europäer“ gilt, zeigte sich höchst ungehalten und empört, daß Ungarn bei der EU-Aufnahme (wie die anderen Kandidaten) als Mitglied zweiter Klasse behandelt werden soll. Erst nach zehn Jahren sollen ungarische Bauern die gleichen EU-Zahlungen erhalten wie die „alten“ EU-Mitglieder. Das aber heißt, daß die Landwirtschaft der neuaufgenommenen EU-Mitglieder massive Wettbewerbsnachteile gegenüber den westlichen und mediterranen in Kauf nehmen muß.

Ebenso wie der rechtsliberale Orbán zeigte sich auch Polens linker Ministerpräsident Leszek Miller „enttäuscht“. Es gehe um die „Gleichberechtigung“ der polnischen Landwirtschaft. Dahinter steckt unausgesprochen der Vorwurf, daß die reichen EU-Wessis die neuen EU-Ossis an der Nase herumführen und schwere innenpolitische und soziale Verwerfungen bei den Kandidatenländern in Kauf nehmen - nur, um bisherige Privilegien beibehalten zu können.

Zwischen den alten und neuen EU-Mitgliedern droht eine Art Klassenkampf auszubrechen. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, daß die neuen Mitglieder zunächst nur 25 Prozent der EU-Beihilfen erhalten sollen - was von den Betroffenen als Almosen bezeichnet und strikt abgelehnt wird. Orbán hatte darauf hingewiesen, daß sein Land auch nach Ende der laufenden EU-Finanzperiode 2007 immer noch diskriminiert sein wird. In Polen (ein Viertel wählte 2001 EU-Kritiker), aber auch in den baltischen Staaten, wird vor allem bei der Landbevölkerung eine deutliche Abnahme der EU-Begeisterung festgestellt. Wenn in dieser auch psychologisch prekären Lage der EU-Erweiterungskommissar von „kriminellem“ Verhalten der früheren polnischen Mitte-Rechts-Regierung spricht, so trägt das nicht zu einer Beruhigung der Situation bei. Die mitteleuropäischen Völker leiden ohnedies unter dem Komplex, von den Westlern mit Herablassung und gönnerhafter Mißachtung behandelt zu werden.

Aber auch bei westlichen EU-Mitgliedern hat die Nachricht für Unruhe gesorgt, daß die Osterweiterung jährlich 5,6 Milliarden Euro kosten soll - wovon allein 3,3 Milliarden Agrarsubventionen sein werden. Nach 2006, wenn der neue EU-Haushalt erstellt wird, könnte es zu einem massiven Verteilungskampf zwischen Ost und West innerhalb der EU kommen. Schon hat sich Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser gemeldet, denn die kleine Alpenrepublik soll jährlich 220 Millionen Euro allein für die Osterweiterung bezahlen. Diese Art der Finanzierung auf Kosten derjenigen, die bereits jetzt am meisten in den EU-Topf werfen, sei nicht akzeptabel. „Es kann nicht sein, daß die Nettozahler nun auch noch die Osterweiterung finanzieren“, klagte ein Pressesprecher des FPÖ-Politikers.

Unter den Beitrittskandidaten regt sich auch Kritik an der westlichen Rücksichtslosigkeit und Selbstgerechtigkeit gegenüber Völkern, die bis vor kurzem noch um ihre nackte Existenz bangen mußten. Ein Professor aus der Slowakei brachte dies neulich bei einem Wien-Besuch auf den Punkt: „Man hat uns gesagt, die Marktwirtschaft sei notwendig, um Monopole zu verhindern. Jetzt haben wir Marktwirtschaft - aber zugleich westliche Monopole, die unserer Wirtschaft diktieren.“


 
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