© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Hofintrigen
Oper: Georg Friedrich Händels „Semele“ in Köln
Julia Poser

Der Streit, ob Händels „Semele“ eine Oper oder ein Oratiorium ist, währt schon 258 Jahre. Denn seit der Londoner Uraufführung 1743 kann sich die Fachwelt nicht einigen, in welche Schublade „Semele“ gehört.

Das Wort Oratorium kommt von Oratorio (Betraum) und bedeutet die Vertonung geistlicher Texte für Orchester, Chor und Solostimmen. Und Oratorium paßt im Fall „Semele“ beim besten Willen nicht zu der frivolen Liebesgeschichte von Jupiter und der thebanischen Prinzessin Semele, weshalb man schon zu Händels Zeiten von „after the manner of an oratorio“ (nach der Art eines Oratoriums) sprach.

William Congreve, der geniale englische Schriftsteller satirischer Gesellschaftskomödien, schrieb bereits 1704 die mythologisch verbrämte Geschichte der amourösen Abenteuer Jupiters, die in versteckter Form die Liebesaffären von König William von Oranien schildern. Congreves größtes Meisterwerk „The Way of the World“ (Der Lauf der Welt) wird auch heute noch mit Erfolg aufgeführt. Erst vierzig Jahre später vertonte Händel den entschärften, aber immer noch pikanten Text. Die Londoner erkannten jedoch in Jupiter ihren jetzigen König George II.

In Ovids Fabel soll Semele gegen ihren Willen mit Athamas vermählt werden, aber Semele liebt Jupiter, der sie vor der erzwungenen Hochzeit rettet: Er schickt einen mächtigen Adler, der sie in einen geheimen Palast entführt. Jubelnd singt Semele von „endless pleasures, endless love“, die ihr der göttliche Liebhaber bereitet. Juno, die Gattin des notorischen Schürzenjägers, reagiert mit Zorn und Eifersucht auf das neue Verhältnis. In der Gestalt von Semeles Schwester stachelt Juno Semele auf, Jupiter soll sich in göttlicher Gestalt zeigen. Mit der Erfüllung dieses Wunsches hat sich Semele selbst ihr Todesurteil gesprochen: Jupiters Blitze verbrennen sie, aus ihrer Asche jedoch wird Bacchus geboren werden.

Auch heute lebt die Regenbogenpresse von den Affären der Angehörigen europäischer Monarchien, Präsidenten oder Wirtschaftsmagneten und königliche Hochzeiten oder Ehebrüche werden begierig gelesen. So ist die Verlegung von Händels „Semele“ an den englischen Könighof unserer Tage ein plausibler Schritt, den der kanadische Regisseur Robert Carsen mit dezentem Witz aber auch satirischen Seitenhieben auf der Kölner Bühne vornahm. Am besten gelingt Carsen die Figur der Juno, die er als die englische Königin mit Täschchen und Brille ausstaffiert, empört die Titelseite eines Skandalblättchens lesen läßt: „Jupiter and Semele: It´s official!“ Amüsant auch die Szene, in der Semele von Jupiter mit teuren Abendroben, Schmuck, Schuhen und Reizwäsche von Chanel bis Prada förmlich überschüttet wird.

Den Höhepunkt der Aufführung gestaltet Kathleen Kuhlmann als Juno, die, während die hinreißend singende Janet Williams als Semele mit einer siebenminütigen Koloraturarie entzückt, die seidenen Dessous der Nebenbuhlerin begutachtet und ganz unauffällig ein Hemdchen verschwinden läßt. Das spielt die Kuhlmann mit herrlich komischem Talent. Auch stimmlich bietet sie eine großartige Leistung. Als Göttergatte tönt Daniel Kirch mit glutvollem Tenor. Claudia Rohrbach gefällt als Iris, die „Privatsekretärin“ der Queen, mit frischem Sopran und diensteifrigem Gehabe. Stilvoll singt der Countertenor Ryland Angel den verschmähten Bräutigam. Den Gott des Schlafes, Somnus, singt Andrew Collis mit wohltönendem Baß. Der Opernchor übertrifft sich im letzten „Happy, happy shall we be“-Chor in fröhlicher Sektlaune: Bald wird Bacchus regieren!

Das Gürzenich Orchester, durch barocke Instrumente bereichert, beweist unter Nicholas Kok, daß es Händels Meisterwerk glänzend zu interpretieren versteht. Auch Carsens Regie zeigt, daß „Semele“ mit bühnenwirksamen Szenen und klar gezeichneten Charakteren sich als Oper behaupten kann.


 
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