© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Einfach ausklammern
Filmgutachter spricht „So weit die Füße tragen“ die Existenzberechtigung ab
Moritz Schwarz

Die politischen Anfeindungen gegen die Neuverfilmung des Bestsellerromans „So weit die Füße tragen“ von Joseph Martin Bauer (die JF berichtete mehrfach) haben sich zu einem Skandal ausgeweitet. Wie jetzt bekannt wurde, hat ein Mitglied des Begutachtungsausschusses der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW), die für die Vergabe der Filmprädikate („wertvoll“, „besonders wertvoll“) zuständig ist, dem Film aus politischen Gründen seine - so wörtlich - „Existenzberechtigung“ abgesprochen.

Der am 27. Dezember in den deutschen Kinos angelaufene Film „So weit die Füße tragen“ zeigt das auf einer wahren Geschichte beruhende Schicksal eines deutschen Kriegsgefangenen in Rußland, der 1949 aus einem Lager im äußersten Nordosten Sibiriens geflohen war und sich in einer dreijährigen Wanderschaft quer durch die Sowjetunion zu Fuß bis nach Persien durchgeschlagen hatte, von wo aus er 1953 nach Deutschland entkommen konnte. Die Tatsache, daß der Film einen deutschen Soldaten zum Helden seiner Geschichte macht, sich vor allem dem Schicksal seines Protagonisten und nicht der Auschwitz- bzw. Kriegsschuldfrage widmet, sowie die - allerdings eher zurückhaltenden - Andeutungen sowjetischer Gewalt gegen die deutschen Gefangenen, haben in einigen etablierten Medien, neben sachlichen Kritiken, zu einer ganzen Reihe von politisch motivierten Verrissen unter dem Vorwurf des Nationalismus, Revanchismus und NS-Gedankenguts („Blut-und-Boden-Phantasie“) geführt.

Aus einem der JF vorliegenden internen Papier geht jetzt allerdings hervor, daß nicht nur Vertreter der Presse versucht haben, den Film politisch einzustapfen. Auch im Beratungsgremium der Filmbewertungsstelle Wiesbaden kam es zu einem Vorfall, der angesichts der Seriösität und Verantwortung dieser Institution für die Pflege der Filmkunst nicht hätte passieren dürfen. Der fünfköpfige Bewertungsauschuß lehnte ein Prädikat für den Film - bei einer Gegenstimme - zwar völlig legitim ab. Die Kritik bezieht sich dabei, wie aus dem Abschlußgutachten, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, hervorgeht, auf die „klischeehafte Figurenzeichnung“, die „Einführung von Figuren, die im Roman nicht vorkommen“ sowie den „sentimentalen, ja kitischigen Heimatfilmverschnitt“, den einige Familienszenen in der deutschen Heimat darstellen, die das Los der deutschen Kriegsgefangenen in Sibirien kontrastieren sollen. Doch dann wird die Frage gestellt, ob es überhaupt zulässig sei, „in der heutigen Zeit die weitgehend authentischen Erlebnisse eines Soldaten in dunkelster deutscher Vergangeheit als ein reines Abenteurspektakulum darzustellen, das die besonderen menschlichen, politischen und gesellschaftlichen Umstände der Kriegs- und Nachkriegsjahre und das Verhältnis zwischen der UdSSR und Deutschland einfach ausklammert?“ An diesem Punkt entzündete sich eine lange Diskussion im Ausschuß. Dann heißt es wörtlich: „Als politisch-historisch nicht vertretbar sprach ein Ausschußmitglied dem Film die Existenzberechtigung ab.“

Die Produzenten des Films haben inzwischen Einspruch gegen die Entscheidung der FBW eingelegt. In dem ebenfalls der JUNGEN FREIHEIT vorliegenden Schreiben antworten sie: „Weder Roman noch Film haben es sich inhaltlich zum Ziel gesetzt, das ‚besondere menschliche, politische und gesellschaftliche Vehältnis der UdSSR und Deutschlands‘ zu analysieren.“ Diese Erwartung der Bewertung des Filmes zugrunde zu legen, halte man für „verfehlt, (denn) es gilt, den vorliegenden Film zu bewerten und nicht einen ‚Wunschfilm‘ ganz anderer Art ... Es kann nicht angehen, einen Film danach zu bewerten, wie er nach Ansicht einiger Ausschußmitglieder politisch-gesellschaftlich hätte sein müssen bzw. nicht hätte sein dürfen“. Und daß „das erste Gutachten gar dem Film seine ‚Existenzberechtigung‘ abspricht, erinnert an Zeiten, die wir bislang für überholt gehalten haben“.

An anderer Stelle bestätigt das Gutachten der FBW dem Film allerdings einen „beachtlichen Schauwert“, „eine in sich schlüssige Professionalität“, „gute darstellerische Leistungen“, „eindrucksvolle Kameraarbeit“ sowie „eine adäquate Montage“. So wurde der Streifen bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Sommer auch in die Repräsentationsreihe des deutschen Kinos, German cinema, aufgenommen. Bei den am Mittwoch begonnenen Filmfestspielen in Berlin allerdings fehlt der Film in der Reihe German cinema. „Der Film wird vor dem Ausland versteckt“, kommentiert Jimmy Gerum, Chef von „Angel Falls“, der Produktionsfirma von „So weit die Füße tragen“, die Entscheidung, den Film auf der Berlinale nicht zuzulassen. Allerdings warnt Gerums Kollege, Ko-Produzent Bastian Clevé, vor politischen Schuldzuweisungen: „Es hat meist individuell-geschmackliche Gründe, wenn ein Film bei der Berlinale abgelehnt wird.“

Gerum reagiert nun mit einer Parallelveranstaltung zur Berlinale: Am 12. Februar wird er den Film im Ufa-Palast am Alexanderplatz der nationalen und internationalen Fach- und Publikumspresse, Vertretern der Filmwirtschaft sowie Gästen aus Politik und Kultur vorführen. Eingeladen sind auch Vertreter des Zentralrates der Juden und der russischen Botschaft, um mit Produzent und Regisseur über die Vorwürfe gegen den Film zu diskutieren. Gerum hofft dabei, seine These zu belegen: „Der Film ist weder gegen die Russen gerichtet, noch dient er dazu, deutsche Verantwortung zu relativieren, sondern er zeigt das für alle Menschen nachvollziehbare Schicksal einer auseinandergerissenen Familie.“


 
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