© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Alte Geschlechter schielen wieder nach der Krone
Balkan: Desolate Zustände in Südost lassen Dynastien auf Restauration hoffen
Andreas Graf Razumovsky

Im Oktober 1944 hat Winston Churchill in Moskau, in der streng geheim gehaltenen „Tolstoj-Konferenz“, beim Feilschen mit Stalin um die Herrschaft über das östliche Drittel Europas, seine ursprünglich optimistische Einschätzung eingebüßt. Am elften Oktober ließ der Premier seinem Außenminister Anthony Eden eine Aktennotiz zukommen, in der er seine Sorge über die überstürzte Entwicklung im von den Sowjets schon eroberten Europa am Schicksal ihrer bisher regierenden Souveräne aufzeigte. Entgegen allen Absprachen hatte Stalin in den okkupierten Balkanstaaten die Vertreibung der legitimen Monarchen mit ihren Familien angeordnet - und für deren Ablösung durch die für ganz Ost- und womöglich Mitteleuropa vorgesehene leninistische „revolutionär-volksdemokratische Gesellschaftsordnung“ gesorgt.

Churchill ging es damals noch nicht, wie er nur Monate später vorgab, um das Schicksal all der Völker, die nun hinter dem „Eisernen Vorhang“ verschwanden. Er engagierte sich aber, mit damals schon hinhaltend erlahmendem Elan, gegen den galoppierenden Verlust an Einfluß seines Empire in aller Welt.

Bei der letzten Verhandlung mit Stalin ist ausgerechnet von Albanien wohl kaum die Rede gewesen. Aber jetzt, so Churchill klagend an Eden, sei gemeldet worden, der dortige König, Zogu, sei des Landes verwiesen. Umso mehr sei er persönlich der Meinung, man müsse gegenüber Stalin auf der vermeintlich schon ausgehandelten Kompromißformel der „50:50-Einflußaufteilung“ bestehen. Wie verunsichert und von seinem Verbündeten „Uncle Joe“ unwiderruflich hinters Licht geführt sich Churchill sah, geht aus der abschließend kleinlaut-resignierten Bemerkung für Eden hervor: „Wenn keinem dieser Könige die Rückkehr gestattet werden sollte, und damit allen diesen Ländern die Möglichkeit genommen wird auf der Seite der Alliierten zu kämpfen“, werde sich „die Durchsetzung sowjetisch kontrollierter Republiken unvermeidlich zum allgemein befolgten Muster“ auswachsen. Nicht gelten lassen wolle er die gängige Phrase „keine gesellschaftlich maßgebliche Schicht wünscht sich die Rückkehr der Monarchen“, gebe es ja doch „überhaupt wenige Länder, in denen irgend jemand sich die Rückkehr von irgendjemandem wünscht!“

Die triumphale Rückkehr des Simeon von Bulgarien, nicht nur als konstitutioneller Monarch, sondern als aus dem Ausland eingeflogener, in freien Wahlen gekürter Regierungschef, war Anlaß und bot in den vergangenen Monaten den Einstieg zur spät nachgeholten Erörterung der Frage Churchills an Eden: Gibt es, könne es überhaupt „maßgebliche Schichten“ in irgendwelchen Ländern geben, die, über die Zeitlücke von mitunter einem halben Jahrhundert hinweg, die Rückkehr nicht bloß von irgendjemandem, sondern von dem jeweiligen Prätendenten auf den Thron des Königs nicht allein „wünschenswert“, sondern sogar konkret für politisch durchsetzbar halten.

Paranoia des Nationalismus auf dem Balkan

Wir dürfen uns in Erinnerung rufen, daß auf dem Balkan der Implosion der „revolutionär-leninistischen“ Sowjetunion als unaufhaltbare Konsequenz die Implosion ihrer kleinen Kopie Jugoslawien folgte. Hier wie dort setzte sich Chaos durch, klafften unauffüllbar grobe Löcher in der zivilen und ökonomischen Ordnung. Sie liefen voll mit dem fauligen Grundwasser jarhundertealter präkommunistischer Vorgeschichte, der fanatischen, regelmäßig religiös gerechtfertigten, immer massenmörderischen Paranoia des Nationalismus. Allein die alte Wahnidee des „Groß-Serbentums“ hat einige hunderttausend Leichen und ein geopolitisches Trümmerfeld hinterlassen. Der dafür persönlich verantwortliche Slobodan Milosevi´c, ein (vorerst) letzter Bruder im Geiste eines Ceauçescu oder Enver Hoxha, sieht seiner Verurteilung als Kriegsverbrecher vor einem internationalen Gerichtshof entgegen. Dieses Tribunal in Den Haag prozediert, analog zu den Anstrengungen des Westens für den Wiederaufbau, auch nach den Gesetzen und Prozeßordnungen unserer Welt: Nicht nach balkanischer Blutrache, nicht nach Gepflogenheiten sowjetischer und titoistischer Genickschuß- und Gulag-Justiz, auch nicht nach der barbarischen Scharia.

Die Wiederkehr der Dynasten läßt sich also als ein Element unter mehreren erkennen bei den Versuchen, den im bodenlosen Chaos abgesackten Nationen irgendeinen haltbaren Ansatz, ein brauchbares Konstrukt für einen Neuanfang unterzuschieben. So wird diese Wiederkehr aus dem Ausland diplomatisch-diskret vorangetrieben, aber naturgemäß auch immer diskret abgesprochen mit Anhängern der Exmonarchen oder Prätendenten im jeweiligen Inland. Immer werden diese potentiellen oder schon emsig aktiven Befürworter und Vorantreiber royaler Restauration aus sehr divergenten persönlichen Interessen heraus handeln, öffentlich auftreten oder insgeheim, hinter dem Rücken noch amtierender Machthaber, konspirieren.

Jeder Fall ist anders. Aber es lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen. Die Prätendenten leben oder lebten bisher im Westen. Sie sind, was Europa betrifft, geprägt von den Denkweisen und Ansprüchen westeuropäisch-kapitalistischer, schon mit den Problemen der künftigen EU-Erweiterung befaßten Demokratien. Ein besonders die Aufmerksamkeit verdienender Fall ist der des in Belgrad schon residierenden Enkels des gleichnamigen Königs und als selbstproklamierter Diktator 1934 in Marseille ermordeten Alexander Karadjordjevi´c von Jugoslawien. Er ist ein reines Produkt britischer Zivilisation - und gleichzeitig, wie man es einst genannt hat, ein Opfer der Intrigen des „perfiden Albion“. Sein Vater, der schon als Kind von englischen Tutoren erzogene König Peter, hatte in London Asyl gefunden, ist aber von Churchill selbst, in einer Mischung aus Hoffahrt und gezielten Fehlinformationen aus den Reihen jener Leute gedrängt worden, die ein neues, befriedetes Jugoslawien hätten aufbauen können.

Was Prinz Alexander Petrovic Karadjordjevic´ aber in Belgrad wirklich anfangen soll, ist vorerst ein wenig rätselhaft. Immer noch bleibt der erste Eindruck, daß er keinerlei Rolle gewachsen sein würde. Vor allem nicht der des Erben eines 1918 in London von wohlmeinenden Ignoranten und „panslawischen“ Ideologen erfundenen und 1945 ebendort liquidierten Reichs „aller Südslawen“. Das demnächst wohl gar nicht mehr existieren wird - und das heute schon auf eben den winzigen Rest reduziert ist, in dem sein Ahne, der „Schwarze Georg“, mit ungern erteilter Genehmigung des Kalifen in Istanbul, für sich den Titel „Gospodar von Serbien“ erfand.

Bis auf weiteres kann man nicht umhin, den Prinzen Alexander in die historische Kategorie der den ihnen zugedachten Rollen nicht gewachsenen Enkel einzuordnen. Man könnte zu jenen Beobachtern in Belgrad neigen, die den Prinzen weiter zerrieben sehen im Machtkampf zwischen Regierungschef Djindjic, der von deutschen marxistischen Professoren geschult wurde und Anschluß an den Westen sucht, und dem beharrlich „gesamtjugoslawischen“ Präsidenten Kostunica, der schon, weil er ohne diese großserbische Ideologie und Praxis auch noch seinen realiter nicht mehr bestehenden Vorsitz über Montenegro verlöre, die Allianz mit der Armee, dem letzen Hort patriotisch großserbisch-gesamtslawischer Emotionen eingegangen ist. Dem Enkel wäre damit zugemutet, ohne eigene Macht, denn nur die Generalsuniform könnte ihm eine solche verleihen, als vaterländisch einigende Figur, als Ersatz-Milosevi´c herzuhalten.

Aus Sicht der Nachfolger Churchills bietet in Sofia Simeon Saxkoburg-Gotski einen in vielen Aspekten interessanten, zu einigem Optimismus ermunternden Sonderfall: Er ist zunächst ein genetisch und dynastisch naher Verwandter des eigenen britischen, offiziell erst seit 1917 nicht mehr Sachsen-Coburg-Gotha genannten Königshauses. Schon jetzt ist die Frage nach der Restaurationsmöglichkeit der Balkan-Monarchen am Beispiel Simeons von Bulgarien mit der alten Erörterung der Legitimation des jeweiligen Thron-Anspruches verbunden. Erst dadurch wird die weitere, politisch konkret wichtigere Frage relevant, die Frage nach dem jetzt von vielen Beobachtern erwarteten „Domino-Effekt“ im südlichen Osteuropa. Auch diesbezüglich gilt es, die Eigenart des Falles des Citoyen Saxkoburg-Gotski hervorzuheben: Er kann ins Feld führen und hat dies den meisten anderen royalistischen Mitbewerbern voraus, daß er gar nicht nach der Krone greifen müsse, er sei ja schon der König! Tatsächlich hat er noch als Dreijähriger, politisch unter einem „Regentschaftsrat“, aber dynastisch allen konstitutionellen Erfordernissen entsprechend, nach dem Tode seines Vaters Boris III., dessen Erbe angetreten.

Man hat es mit irrationalen Erwartungen zu tun

Wenn man den Begriff der Legitimität auch bei den noch „herrschenden“ Dynastien Westeuropas am liebsten unumstritten läßt, führt dessen Fragwürdigkeit betreffend jene Königreiche, deren Throne eine beliebig lange Zeit vakant verstaubten, hinein in Stolperstollen schwierigst zu lösender politischer, historischer und staatsrechtlicher Labyrinthe. Auch hier erweist sich, daß in allen betreffenden Nationen und Staaten die Erwartungen der Prätendenten und ihrer jeweils potentiell vorhandenen, von dynastischen Heilserwartungen beflügelten Untertanen, keineswegs von vergleichbaren Realisierungsaussichten beflügelt sein können. Wir haben es mit streng voneinander geschiedenen, nur durch die irrational mit der Sehnsucht nach patriotischem Neubeginn verbundenen Erwartungen zu tun. Die in allen europäischen Fürsten- und Königtümern traditionell, zum Teil heute noch offiziell gültige Legitimation des „Gottesgnadentums“ ist als Rechtfertigung der (Rück-) Entwicklung realiter kaum mehr brauchbar. So gibt es zum Beispiel in Österreich eine entschlossen legitimistische, habsburgtreue Gesellschaftsschicht, der es freilich, so panisch ihr bloßes Vorhandensein die Sozialisten in Regierung und Präsidentschaftskanzlei der zweiten Republik geängstigt hat, schon mangels Masse an „Maßgeblichkeit“ gebricht.

Legitimität entspringt dem Volkswillen

Die Legitimität bei traditionellen, von allen Zeitgeistern noch nicht ganz verlassenen Monarchien entspringt also dem „Volkswillen“: Das allerdings ist eine brüchige, meist schon erodierte Bodenplatte. Denn genauer betrachtet, müßte diese im kollektiven Konsens und in der tradierten „volontée generale“ tiefgründig verwurzelt angenommene Konstruktion in demokratischen Gesellschaften regelmäßig überprüft, also durch allgemeine Abstimmung bestätigt - oder abgeschafft werden. Dieser schwebende Zustand wird dauern, solange keine quantitativ ausreichenden „maßgeblichen Schichten“ ihn initiativ auf Symptome substanzieller Materialermüdung abzuklopfen sich erdreisten.

Diese Skepsis gegenüber mehr auf patriotischen Mythen denn auf Vernunft gebauten Mischformen aus Gottes Gnaden und Volkeswillen vergrößert sich naturgemäß im Schoße solcher Gesellschaften, also konkret der pan-balkanischen, deren „maßgebliche Schichten“ sich immer noch nicht wieder gesammelt haben: Deren potentielle Angehörige noch weit davon entfernt leben, sich aus dem Frust und der alleslähmenden Kälte des poststalinistischen Permafrosts vorsichtig auftauend beleben zu lassen - bis zur konventionellen, angstfreien Zimmertemperatur des politischen Existierens, Handelns und Denkens, wie sie uns nun schon seit Jahren vergönnt ist.

Das alles bedacht, können wir festhalten, daß es keinen einzigen Balkan-Staat gibt, der sich nicht mit einem (wieder-) inthronisierten Monarchen vorstellen ließe. Voraussetzung wäre aber die Mitwirkung der Armee, die Loyalität der Männer mit den Waffen gegenüber all den Leuten ohne Waffen.

Im Falle der erst seit 1980 souverän etablierten Republik der „slawischen“ und der albanischen Mazedonier ließe sich, unter dem Einfluß der Domino-Droge, die Phantasie origineller stimulieren: Deren derzeit zu Skeptizismus anregenden Pläne, sich die Zukunft als ein die Einheit der Nation bindendes und ihren kaum vorhandenen Zusammenhang stärkendes Königreich vorzustellen; als ein mehr archäologisches als politisch-historisches Artefakt, unterm ohnehin schon usurpierten Sonnenstern-Banner der seit zweieinhalb Jahrtausenden versunkenen Geschichte.

Weniger Aussichten auf baldigen Erfolg kann man indes den übertrieben katholisch-nationalen Kreisen in Kroatien einräumen, die von der Wiedererrichtung des Reiches jenes Königs Tomislaw träumen, der im zehnten Jahrhundert über einen Teil des heutigen kroatischen Territoriums geherrscht hat. Er ist bis heute ein Lieblingsheld dortiger Volksschul-Lesebücher und populärer Mythen. In diesem Lichte royalistischer Illusionen ist jedenfalls bemerkenswert, daß der gegenwärtige Erbe des Hauses Österreich-Ungarn, Karl von Habsburg-Lothringen, seinen Sohn prophylaktisch auch Tomislaw hat taufen lassen. Auch andere Angehörige des allerhöchsten Erzhauses haben neuerdings begonnen, kroatisch zu lernen.

Es muß aber daran erinnert werden, daß politische Entwicklungen auf dem Balkan nur mit verstärktem Ungewißheitskoeffizienten vorhergesehen werden können. Das hat Churchill richtig erkannt, und ausgerechnet am Beispiel des Königs Zogu exemplifiziert: Dessen Sohn Leka konnte als viermonatealter Säugling gerade noch aus seinem Land herausgetragen werden; zusammen mit einem Handapparat zum Drucken königlich-albanischer Pässe, den Seine Majestät immer noch gelegentlich zum Gebrauch für seine Freunde aus der Lade holt. Jetzt freilich will es scheinen, daß er bis zur Gründung des von so gut wie allen albanischen Patrioten angepeilten Großalbanischen Imperiums unter all den Prätendenten des Balkan die kleinste Chance habe.

Wenn wir uns also das Streben der Prätendenten nach ihren ererbten Thronen als ein Wettrennen mit unterschiedlichen Handicaps vorstellen wollten, dann lägen, nach aktuellem Stand, andere voraus: Der greise Mihail von Rumänien, der für sich geltend machen kann, daß auch er schon König seines Landes gewesen ist, und daß er gegenüber jenen, die ihn verjagt haben, den „Faschisten“ von Hitlers Gnaden wie den kommunistischen Galgenvögeln unter Stalin, eine würdige Figur gemacht hat. Er stehe, wird berichtet, in gutem Einvernehmen mit der Regierung in Bukarest.

Grenzen auf dem Balkan sind noch brüchig

Allen Balkan-Prätendenten und ihren jeweiligen Kamarillen muß noch ein anderes Präzedenzbeispiel aus der Geschichte Frankreichs unausgesprochen in den Köpfen spuken: Der näherer Überprüfung nicht gewachsene Übergang der Herrschafts-Rechtfertigung vom republikanischen, nicht zuletzt vom Pariser Pöbel in einem Moment gravierender Krise gewählten Präsidenten des Citoyen Bonaparte zu Napoleon III.

Aus dieser Episode lassen sich interessante Lehren ziehen: Eine die Massenhysterie aufheizende Agitation für die eigene Sache scheint ebenso Teil des Spiels zu sein wie der Volksbeschiß zugunsten der ehrgeizigen „revisionistischen“ Clique. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer in weiter sich verschärfenden Phasen der Krise. Den Völkern des Balkan innerhalb ihrer immer noch brüchigen Staatsgrenzen wäre jetzt, dringender als irgend etwas anderes, Ruhe zu wünschen, friedliche Entwicklung, ungestört durch das Ausland und dessen Medien.

So gesehen darf man aus den Lehren der Geschichte einen - sonst wenig gelittenen - Umkehrschluß ziehen. Je hektischer plötzlich der Ruf nach einer dreißig Jahre vor sich hinmodernden Monarchie erschallt, desto schlimmer ist die Lage „vor Ort“. Aber war das nicht schon vor 130 Jahren so, jedenfalls für manch vernarbten Afghanistan-Veteranen bei unseren Brüdern aus dem fernen Albion?


 
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