© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Der Stammesrat war schon einberufen
Verbotene Wahrheit: Die USA bemühten sich schon vor dem 11. September 2001 um ein „stabiles“ Afghanistan
Alexander Griesbach

Der iranische Staatschef Chatami, bisher Wortführer einer moderaten Öffnung des Irans gegenüber dem Westen, sonst bekannt für Reden über die „Verständigung der Zivilisationen“, sieht inzwischen den Weltfrieden akut gefährdet. Seitdem US-Präsident George W. Bush auch den Iran in einem Rundumschlag als Mitglied der „Achse des Bösen“ bezeichnet hat, ist die Stimmung in Teheran radikal umgeschlagen; man befürchtet einen „neuen Weltkrieg“.

Chatamis Sorgen dürften wohl nicht nur den internationalen Polizeiaktivitäten der USA geschuldet sein. Im Schatten der US-Politik verfolgt inzwischen auch der israelische Premierminister konsequent seine Ziele. Zwischen der derzeitigen US-Regierung und Scharon gibt es mittlerweile kaum noch Differenzen, was in Chatami den Verdacht nährt, daß die USA unter dem Einfluß Israels stehen könnten. Ganz unbegründet ist dieser Verdacht nicht. So berichtete die Financial Times vor kurzem, daß Ariel Scharon auf seinem letzten USA-Besuch Präsident Bush zu bedrängen versuchte, Rußland unter Druck zu setzen, seine Unterstützung angeblicher iranischer Nuklearprogramme einzustellen. Tatsächlich ist Rußland an dem Bau eines 1.000-Megawatt-Atomkraftwerkes im Iran beteiligt. Obwohl das iranische Projekt internationalen Standards entspricht, behauptet Scharon, daß der Iran den Bau dieses Kraftwerkes nur vorantreibe, um atomwaffenfähiges Material zu gewinnen. Nachdem Bush den Iran zur „Achse des Bösen“ zählt, sieht sich Israel im Aufwind.

Wie lange stützt die US-Regierung Arafat?

Dies gilt auch für den schwelenden palästinensisch-israelischen Konflikt. Scharon arbeitet unentwegt daran, Palästinenserpräsident Arafat diplomatisch zu isolieren. Die USA sind in dieser Hinsicht der entscheidende Eckstein. Beim Gespräch mit Israels Ministerpräsident Ariel Scharon lehnte es US-Präsident George W. Bush allerdings (noch) ab, Palästinenserpräsident Jassir Arafat ganz fallen zu lassen. Hochrangige Vertreter der US-Regierung scheinen aber inzwischen die Sichtweise Scharons übernommen zu haben. Bushs Stellvertreter Dick Cheney, seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sollen eine Politik gegenüber Arafat propagieren, die - so Israels Verteidigungsminister Ben-Elieser - „noch weit rechts von Scharon liegt“, berichteten israelische Medien. Ben-Elieser gab sich in diesem Zusammenhang vor der israelischen Presse ungewohnt redselig: „Der Vize-Präsident sagte mir: Was mich betrifft, so können Sie ihn (Palästinenserpräsident Jassir Arafat, d.V.) auch aufhängen.“

Das hier unverhohlen zum Ausdruck kommende Politikverständnis der USA, transportiert über das Vehikel der Terrorismusbekämpfung, trifft inzwischen international mehr und mehr auf Widerstand. Die iranischen Medien beispielsweise glauben an eine zionistische Verschwörung. Um die Aufmerksamkeit von der fehlgeschlagenen Verhaftung von Osama bin Laden und Mullah Mohammed Omar abzulenken, vergrößerten die Amerikaner aus Sicht iranischer Medien mehr und mehr den Kreis der Länder, die den Terrorismus unterstützen. Sie kreierten auf diese Weise politische, militärische und damit zwangsläufig auch ökonomische Krisen, die den Amerikanern den Weg für eine umfassende Ausbeutung ihrer Interessenssphäre ebneten.

Daß die Analysen der iranischen Medien so falsch nicht sind, zeigt eine Meldung des Deutschlandradios vom 9. Februar 2002, in der davon die Rede ist, daß der afghanische Regierungschef Karsai und Pakistans Präsident Musharraf den Bau einer länderübergreifenden Erdgas-Pipeline vereinbart hätten. Bei seinem ersten offiziellen Besuch in Pakistan sagte Karsai, das Projekt werde für die gesamte Region positive Auswirkungen haben. Die Pipeline soll Erdgas aus Turkmenistan nach Afghanistan und Pakistan befördern.

Damit soll genau das Realität werden, was Kritiker der US-Hegemonialpolitik als Ziel der US-amerikanischen Polizeiaktion in Afghanistan mutmaßten: Daß nämlich die USA bei ihrem antiterroristischen Kreuzzug zunächst die Sicherung ihrer Energieinteressen verfolgten.

Insbesondere in Frankreich läuft vor dem Hintergrund dieser Mutmaßungen eine intensive Debatte, die keinerlei politisch-korrekte Rücksichtnahmen mehr zu kennen scheint. In diesem Zusammenhang ist zuvorderst das soeben in deutscher Sprache erschienene Buch „Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden.“ (Pendo-Verlag, Zürich 2002) von Jean-Charles Brisard (33) und Guillaume Dasquié (35) zu nennen. Beide Autoren sind keine unbeschriebenen Blätter. Der Wirtschaftsexperte Brisard verfaßte 1997 im Auftrag des französischen Geheimdienstes DST einen Bericht über die geheimen Finanzquellen von al-Quaida. Vorher war er bei Viventi verantwortlich für den wirtschaftlichen Nachrichtendienst. Seinen Bericht über das al-Quaida Finanzsystem übergab der französische Präsident Chirac bei seinem Besuch in Washington Ende September 2001 dem Amerikanischen Präsidenten George W. Bush. Dasquié ist Chefredakteur des Fachdienstes Intelligence Online, in dem wiederholt unter Berufung auf Geheimdienstkreise über bin Laden berichtet wurde.

Die zentrale These der beiden Autoren lautet (JF 4/02), daß die USA lange vor den Terroranschlägen auf New York und Washington konkrete Pläne für die politische Zukunft Afghanistans geschmiedet haben sollen. Monatelang hätten sie mit den Taliban verhandelt und schon vor dem 11. September 2001 auch mit militärischem Druck gedroht. Die beiden Autoren führen detailreich aus, daß schon die Regierung Clinton nach den Anschlägen gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 von den Taliban die Auslieferung des Hauptverdächtigen Osama bin Laden gefordert und im Gegenzug die Anerkennung der Taliban-Regierung angeboten hätte. Hauptziel sei freilich nicht die Eliminierung des Terrorismus gewesen, sondern die Stabilisierung der politischen Situation in Afghanistan, um endlich den lange geplanten Bau einer Erdgas-Pipeline zwischen Turkmenistan und Pakistan realisieren zu können.

Nachdem die Verhandlungen wegen der frauenfeindlichen Politik der Taliban und dem damit verbundenen öffentlichen Druck im Westen negativ verlaufen waren, habe George W. Bush nach seinem Amtsantritt im Februar 2001 die Verhandlungen erneut aufgenommen. Dabei ist zu beachten, daß die US-Energie-Lobby den Großteil des Bush-Wahlkampfes bezahlt hatte und entsprechend auf die Verhandlungen drängte. Jean-Charles Brisard deutet Bushs Strategie folgendermaßen: „Im Grunde sagen die Amerikaner den Taliban: Wir schätzen und brauchen euch, weil ihr Sunniten seid und Saudi-Arabien euch unterstützt. Aber da ihr international geächtet seid, solltet ihr bin Laden ausliefern und etwas von eurer Macht abgeben. Der afghanische König im Exil, Sahir Schah, könnte das Land führen.“

Im Frühjahr 2001 sollen Gespräche mit dem afghanischen König aufgenommen worden sein. Der Plan war, unter internationaler Aufsicht ein gemeinsames Regime aller Stämme zu etablieren. Diese Variante ist also nicht erst im Zuge der Terroranschläge vom 11. September diskutiert worden.

Als sich jedoch abzeichnete, daß die Taliban weder einer Beschränkung ihrer Macht zustimmen noch bin Laden ausliefern würden, wurde der Druck, mit dem die Amerikaner die Taliban zum Einlenken zwingen wollten, immer größer. Schließlich hatten die USA mit militärischem Aktionen gedroht. „Wenn die Taliban bin Laden ausliefern und sich mit der Nordallianz einigen, legen wir ihnen einen goldenen Teppich aus. Wenn nicht, ist ein Bombenteppich die Alternative“, zitieren die beiden Autoren einen US-Diplomaten.

Ermittlungen gegen Bin Laden wurden blockiert

Besonders brisant ist Brisards und Dasquiés Vorwurf, daß die amerikanische Regierung die Ermittlungsarbeit des FBI nach dem 11. September 2001 massiv behindert haben soll. Dabei beruft sich Jean-Charles Brisard auf den ehemaligen Chef der Antiterrorabteilung des New Yorker FBI-Büros, John O’Neill, der über Jahre die Untersuchungen gegen die Terrororganisation al-Quaida geleitet hat. Bei zwei Treffen im Juni und im Juli 2001 habe John O’Neill ihm mitgeteilt, daß nach seinen Erkenntnissen das „Zentrum des Übels“ in Saudi-Arabien liege. Das saudische Königshaus spiele eine verbrecherische Doppelrolle: als Unterstützer von alQuaida und als Partner der USA im Kampf gegen den Terrorismus. Trotz der erdrückenden Beweise für die engen Verbindungen zwischen der königlichen Familie und al-Quaida haben die USA die geostrategisch so relevanten Beziehungen zu Saudi-Arabien nicht gefährden wollen. O’Neill habe schließlich den Eindruck gehabt, daß seine Ermittlungen gegen bin Laden von oberster Stelle boykottiert worden seien. Dazu Jean-Charles Brisard: „O’Neill sagte mir, er sei völlig frustriert. Ihm schien die Führung des FBI zunehmend dem starken politischen Druck nachzugeben. Der Einfluß der Diplomatie untergrabe seine Arbeit. Es wurde für ihn einfach unerträglich. Er war entschlossen, das FBI zu verlassen und in die Privatwirtschaft zu gehen.“

Im August 2001 kündigte John O’Neill und trat einen neuen Job an - als Chef des Sicherheitsdienstes im New Yorker World Trade Center. Dort wurde er bei dem Anschlag vom 11. September 2001 getötet.

Doch nicht nur Brisard und Dasquié bürsten die offizielle Lesart der USA im Hinblick auf die Terroranschläge gegen den Strich, sondern auch renommierte Zeitungen wie beispielsweise Le Monde und Le Figaro in Frankreich. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der eher linkslastige Online-Nachrichtenbrief Reseau Voltaire ( www.reseauvoltaire.com ), der über geheimdienstliche Verbindungen verfügt. Reseau Voltaire vertritt die Auffassung, daß es sich bei den Ereignissen vom 11. September um einen versuchten Staatsstreich gehandelt habe. So stand in einem Dossier, für das der Präsident von Reseau Voltaire, Thierry Meyssan verantwortlich zeichnete: „Zwischen zehn Uhr morgens und 20 Uhr abends dachten die amerikanischen Offiziellen nicht, daß die Angriffe die Frucht terroristischer Gruppierungen aus dem Nahen Osten seien, sondern daß es sich um einen versuchten Militärputsch amerikanischer Extremisten handelte, die fähig waren, einen Nuklearkrieg auzulösen. Heute ist die These vergessen, weil sieder Moral der amerikanischen Bevölkerung schaden und das Engagement von Alliierten in einem kommenden Krieg behindern würde.“

Im Rahmen weiterer Recherchen versuchten Meyssan und seine Kollegen zu ergründen, welche Gruppen gegen den Präsidenten hätten mobilisiert werden können. Meyssan präsentierte in diesem Zusammenhang eine Studie über den „Special Forces Underground“. Dieses Netzwerk agiere angeblich nicht zum ersten Mal gegen die Bundesregierung, sondern soll bereits in die Ermordung John F. Kennedys und den terroristischen Bombenanschlag von Oklahoma City 1995 verwickelt gewesen sein. Zu den zentralen Thesen von Brisard und Dasquié können bemerkenswerte Paralellen gezogen werden. So zum Beispiel im Hinblick auf den Plan der USA, das Taliban-Regime zu stürzen. „Mitte Juli 2001 stand ein militärischer Plan“, so behauptet Meyssan, „und die Operation wurde für Mitte Oktober angesetzt. Diese Aspekte, die ein offenes Geheimnis sind, wurden von dem früheren pakistanischen Außenminister Niaz Naik und verschiedenen aktiven Diplomaten bestätigt.“ Als Quellen nennt Meyssan den BBC vom 18. September: „USA planten Angriff auf Taliban“ und die britische Zeitung The Guardian vom 21. September: „Geheime Denkschrift enthüllt amerikanische Pläne zum Sturz der Taliban“. Ziel dieses Planes soll es außerdem gewesen sein, den afghanischen Ex-König Sahir Schah trotz seines hohen Alters wieder einzusetzen. Der pakistanische Geheimdienst soll darüber hinaus gebeten worden sein, das „Problem Ahmed Schah Massud“ zu lösen, der sich immer gegen eine Intervention des Auslandes ausgesprochen hatte und einen politischen Kompromiß mit den Taliban unterstützte. Der ehemalige Führer der Nordallianz, Massud, kam „fristgerecht“ zwei Tage vor dem 11. September 2001 unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben. Für seine Ermordung wurde bin Laden verantwortlich gemacht.

Ein anderer Nachrichtenbrief von Reseau Voltaire untersucht das Finanzgeflecht des bin-Laden-Clans. Auch hier gibt es offenkundige Parallelen zu den Recherchen Brisards und Dasquiés, die diesem Thema einen Großteil ihres Buches gewidmet haben. Die berüchtigte BCCI-Bank (Bank for Credit and Commerce International), die schon in die Iran-Contra-Affäre verwickelt war, soll Geschäfte mit der Harkin Energy Group getätigt haben; und Bush Junior saß im Harkin Vorstand.

Die USA wollten ein drohendes Patt verhindern

Seit 1998 waren die amerikanischen Energieproduzenten und Diplomaten überzeugt, daß der vollständige Sieg der Taliban - und damit eine „Stabilisierung“ Afghanistans - nicht mehr zu erreichen sei. Das hätte eine Stagnation des „großen Spieles“ zufolge gehabt, in dem entgegengesetzte Interessen, amerikanisch-pakistanische auf der einen und russisch-iranisch-indische auf der anderen Seite, dem Sieg des einen Lagers über das andere im Weg standen. Dieses drohende Patt wollten die USA unter allen Umständen verhindern. In diesem Zusammenhang sei auch das Verhandlungsforum „sechs plus zwei“ (die sechs Nachbarländer Afghanistans sowie die USA und Rußland) zu sehen, das die Uno einrichtete, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Die Regierung Bush hätte vom Februar bis August 2001 versucht, Fortschritte zu erzielen. Im März 2001 seien die Taliban nach Washington eingeladen worden. Der letzte Kontakt soll am 2. August 2001 zwischen einer hohen Beamtin des State Departments, Christina Rocca, mit dem Taliban-Botschafter in Islamabad erfolgt sein. Daraus sei die Idee einer „Loya Dschirga“ entstanden, eine Einberufung des Stammesrates um den im Exil lebenden König Sahir Schah. So habe man der Talibanregierung ein Ende bereiten wollen. Monatelang soll Washington die Idee den Taliban direkt über das „6+2-Forum“ sowie in Verhandlungen in Rom, Zypern und Berlin unter der Führung des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs Kofi Annan unterbreitet haben. Offenbar vergeblich.

Jean-Jaques Brisard, Guillaume Dasquié: Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden. Pendo Verlag, Zürich 2002. 250 Seiten, 18,90 Euro


 
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