© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Sehnsucht nach dem Ursprünglichen
Rückkehr zur Natur: Vor fünfzig Jahren starb der norwegische Dichter und Nobelpreisträger Knut Hamsun
Werner Olles

In den Jahren 1882 bis 1888 hielt sich Knut Hamsun zweimal in Amerika auf. In Chicago brachte er sich als Straßenbahnschaffner und Bauarbeiter durch. Während seines zweiten Aufenthaltes hatte er jedoch auch Erfolg mit literarischen Vorträgen. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen nahm er in dem herausfordernden Buch „Drei Amerikaner“ eine haßerfüllte Abrechnung mit der materialistischen Zivilisation und der modernen, seelenlosen, technisierten Kultur der USA vor. Ihr stellte Hamsun eine mystische Naturverklärung und bäuerlichen Antimodernismus entgegen.

Ein Jahr später wurde sein autobiographischer Roman „Hunger“ als literarisches Ereignis gefeiert. Kein norwegischer Autor vor Hamsun hatte den städtischen Einbruch in eine Welt mythischer Naturnähe und das komplexe Seelenleben eines überempfindlichen, ambivalenten Ausnahmemenschen so eindringlich geschildert. Auch stilistisch bedeutete „Hunger“ eine Revolution in der norwegischen Literatur. In Hamsuns nächstem Roman, „Mysterien“, ist der Protagonist, Johann Nagel, von Nietzsches Geist geprägt; aristokratische Ideen und selbstbewußte Posen stehen indessen im Gegensatz zu Hilflosigkeit im Leben und in der Liebe. Nagel steht hier für eine Reihe Hamsunscher Helden, die dazu verurteilt sind, gegenüber der geliebten Frau zu versagen.

Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 in Lom (Gutbrandsdal) als Knud Pedersen geboren. Als Sohn eines armen Schneiders und Kleinbauern wuchs er in schwierigen Verhältnissen auf. Lange Zeit war er als Schriftsteller erfolglos und mußte sich als Verkäufer, Hafenarbeiter, Schuhmacherlehrling und Verwaltungsbeamter durchschlagen. Erst nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten stellten sich schriftstellerische Erfolge ein. In „Pan“ fand seine romantische Sehnsucht nach Rückkehr zur Natur Ausdruck in lyrischen Schilderungen des Nordlandsommers und der tiefen, dunklen Wälder. Die Hauptperson, der Jäger Thomas Glahn, steht zwischen zwei Frauen, und wie immer bei Hamsun fühlt sich der extrem individualistische Held nicht von der gesunden, warmherzigen Frau angezogen, sondern von der stolzen, launenhaften.

Nach einem Aufenthalt in Finnland und Rußland in den Jahren 1889 und 1899 schrieb Hamsun das Versdrama „Munken Vendt“. Wiederum erweckt vor allem der Liebeskonflikt der Hauptperson mit einer stolzen Frau sein Interesse. Schwächer dargestellt sind dagegen die religiösen Anschauungen Hamsuns, dessen Romane zunehmend eine heidnisch getönte Naturreligion künden. Neu und kraftvoll wirkt auch die Natur- und Liebeslyrik in dem Gedichtband „Der wilde Chor“, während sich in dem Roman „Schwärmer“ bereits die Resignation des Alters bemerkbar macht. Die Geschicke der Personen werden nicht mehr so schwer genommen wie in den Jugendwerken, dafür tritt der Humor in den Vordergrund.

Nach dem Erinnerungsbuch „Vagabundentage“ entstand der Roman „Unter Herbststernen“, in dem sich die zunehmende Alterskrise Hamsuns ausdrückt und die Hauptperson Knud Pedersen, ein unruhevoll getriebener Mann mittleren Alters, deutlich die Züge des Dichters trägt. Die Fortsetzung „Gedämpftes Saitenspiel“ ist noch stärker von Resignation geprägt. In den beiden zusammenhängenden Romanen „Benoni“ und „Rosa“ verkörpert sich das Ich des Dichters erneut in einer romantischen Wandererfigur. Beschwernisse des Alters sind auch das Thema des Schauspiels „Vom Teufel geholt“.

In zahlreichen Vorträgen und Artikeln wandte sich Hamsun damals gegen die soziale und geistige Entwicklung, die der Industrialisierung folgte. Der Dichter war 1911 selbst Landmann mit einem eigenen Hof in Hamaroy in Nordland geworden, von wo er 1918 auf das Gut Norholm übersiedelte. In diesem Geist schuf er eine Reihe sozialer Romane, die sich mit scharfen Ausfällen gegen die Geschäftigkeit und Kulturlosigkeit der sich wandelnden Gesellschaft Norwegens richteten. 1917 veröffentliche er seinen Roman zur Verherrlichung der Bauernarbeit, „Segen der Erde“, für den er drei Jahre später den Nobelpreis erhielt. Die Daseinsfrömmigkeit, mit der Isaak, Hamsuns bäuerlicher Held, seiner einfachen Arbeit nachgeht, verleiht ihm fast den Glanz einer Heiligkeit.

Von düsterer Untergangsstimmung geprägt sind dagegen die Romane „Die Weiber am Brunnen“ und „Das letzte Kapitel“. Heller ist die Stimmung in der Romantrilogie „Der Landstreicher“, „August Weltumsegler“ und „Nach Jahr und Tag“. Hamsun schildert in der Geschichte des Schwindlers und Abenteurers August das Fortschreiten des kapitalistischen Geistes im modernen Norwegen; er gestaltet hier nicht das Bodenständige und die solide, ehrliche Bauernarbeit, sondern den ruhelosen Menschen, der viel von seiner eigenen Jugend in sich birgt. Dieser elementare Gegensatz zwischen dem Wanderer und dem Seßhaften wird noch einmal in Hamsuns letztem Roman „Der Ring schließt sich“ aufgenommen. Ein letztes Mal setzt der Dichter seiner norwegischen Heimat ein ewiges Denkmal. Langsam gleiten die Schiffe mit geblähten Segeln und langen Rudern vorüber, flüstern sich Liebende in der untergehenden Sonne leise Zärtlichkeiten zu. Doch über dieser friedvollen Landschaft verdüstert sich bereits der norwegische Himmel.

Mit dem Frieden war es spätestens vorbei, als deutsche Truppen während des Zweiten Weltkrieges Norwegen besetzten. Aber Hamsun hatte bereits viel früher resigniert. Jetzt begrüßte er die Soldaten der Wehrmacht als Vorkämpfer einer neuen Ordnung und vertrat gegen den norwegischen Patriotismus entschieden die Sache des Nationalsozialismus, dessen Mythos von Blut und Boden ihn stark fasziniert. Im Juni gewährte ihm der Führer des Großdeutschen Reiches eine Audienz. Hamsuns Vorhaben, Hitler zur Abberufung des in Norwegen verhaßten Reichskommissars Terboven zu überreden, scheitert. Trotz dieses Versuchs, Hitler von der Aufgabe der restriktiven Besatzungspolitik zu überzeugen, rief Hamsuns pro-deutsche Haltung in Norwegen Unwillen hervor. Noch am 7. Mai 1945 beschrieb er Hitler in einem Nekrolog als „reformatorische Gestalt von höchstem Rang“. Nach einem Prozeß und der vorübergehenden Einweisung in eine psychiatrische Klinik verfaßte er die autobiographische Verteidigungsschrift „Auf überwachsenen Pfaden“.

Knut Hamsun war der extreme Individualist, der sich seine eigene Welt geschaffen und darin gelebt hat, im Guten und im Bösen. Am 19. Februar 1952 starb der Dichter, dessen Erzählwerk zu den bedeutendsten literarischen Leistungen unseres Jahrhunderts gehört und die moderne Literatur in vielfacher Weise beeeinflußt hat, auf Gut Norholm bei Aust-Agder im hohen Alter von 92 Jahren


 
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