© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Radikale Subjektivität
Zum 70. Geburtstag des Filmemachers Alexander Kluge
Werner Olles

Daß der deutsche Film zu Beginn der sechziger Jahre in einer tiefen Krise steckte, ist sicher unbestritten. Eine Pauschalverurteilung des deutschen Films der fünfziger Jahre, wie sie von den jungen Filmemachern - Regisseure wollten sie bewußt nicht genannt werden - des sogenannten „Neuen Deutschen Films“ in den sechziger Jahren geäußert wurde, ist aber unzutreffend.

Freilich standen in den fünfziger Jahren die Codes einer neomarxistischen Geschichtsphilosophie noch nicht auf Abruf bereit, um sich mit den Denkmustern der Moderne zu verbinden. Die Filmemacher des NDF waren jedoch von Anfang an der festen Überzeugung, daß kein System ewig währt. Zuhilfe kam ihnen der unaufhaltsame Siegeszug des Fernsehens, der Anfang der Sechziger seinen Lauf nahm. Das große Kinosterben, daß die NDF-Leute zu Unrecht mit dem schlechten Einfluß der fünfziger Jahre-Filme assoziierten, ging einher mit der mentalen Stärke der NDF-Protagonisten, die sich im Feld dessen bewegte, was Neomarxisten ohne mit der Wimper zu zucken als „kulturelle Hegemonie“ bezeichnen.

Diese Einleitung ist wichtig, wenn man Alexander Kluge, einen der bedeutendsten Repräsentanten des NDF, skizzieren will. Am 14. Februar 1932 in Halberstadt als Sohn eines Arztes geboren, lebte er nach der Scheidung seiner Eltern bei seiner Mutter in Berlin. Kluge studierte Jura, Geschichte und Kirchenmusik in Marburg, Freiburg und Frankfurt a.M., promovierte in Rechtswissenschaft, volontierte dann aber Ende der fünfziger Jahre bei dem berühmten Filmregisseur Fritz Lang, der gerade „Das indische Grabmahl“ drehte. Fasziniert von Godards „Außer Atem“ mit dem jungen Belmondo und Jean Seberg, reifte in ihm der Plan, selbst Filme zu drehen. Kluge sah die deutsche Kinolandschaft jedoch von amerikanischer Konfektionsware und deutschen Schnulzen beherrscht. Die Protestbewegung des Neuen Deutschen Films, zu der neben ihm auch Werner Herzog, Werner Schroeter, Margarethe von Trotta, Rainer Werner Fassbinder, Robert van Ackeren, Johannes Schaaf, die Schamoni-Brüder, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und Hans Jürgen Syberberg gehörten - letzterer wurde übrigens später einer der schärfsten Kritiker dieser hochsubventionierten und mit Filmpreisen überschütteten angeblichen Emanzipationsbewegung - wollte dagegen ihre impressionistischen und neomarxistischen Filme in die Kinos bringen. Eine Idee, die sich zwar trotz massenhaft fließender Gelder aus der staatlichen Filmförderung nie ganz realisieren ließ. Wenn man jedoch ermessen will, was beispielsweise Kluges Filme „Abschied von gestern“, „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, „Gelegenheitsarbeit einer Sklavin“, „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“ und „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ fürs Kino bedeuteten, dann hilft es, sich ein Lichtspieltheater mit traditionellem Publikum vorzustellen, das noch 1967 während der Vorführung von „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ den Saal unter Protest verläßt. Soviel progressive Filmkunst war den Leuten offenbar schon damals zuviel.

Mit der 1972 in der Edition Suhrkamp von Kluge und Oskar Negt gemeinsam verfaßten Studie „Öffentlichkeit und Erfahrung - Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit“, die bei der undogmatischen Linken auf starkes Interesse stieß, wollten die beiden Autoren an die ein Jahrzehnt zuvor von Habermas vorgelegte Analyse „Strukturwandel in der Öffentlichkeit“ anknüpfen. Auch der über eintausend Seiten starke und ebenfalls mit Negt zusammen verfaßte philosophische Band „Geschichte und Eigensinn“ ist ein Montagewerk und enthält Hunderte von Bildern, Zitaten und Geschichten. Darin geht es um die „politische Ökonomie der Arbeitsvermögen“, also um jene Unterseite der Ökonomie des Kapitals, die Marx zwar bemerkt, aber nicht beschrieben habe. Diese unterbelichtete Subjekt-Dimension der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie wurde 1992 von beiden Autoren mit dem Band „Maßverhältnisse des Politischen“ fortgesetzt.

Seit 1988 moderiert Alexander Kluge, dem es nach eigener Aussage weniger um Filme und Bücher, als um die Herstellung von Öffentlichkeit geht, Kulturmagazine. Liest man seine Mitte der sechziger Jahr erschienenen Stalingrad-Romane „Schlachtbeschreibung“ und „Der Untergang der Sechsten Armee“ wird einem klar, daß dieser Autor und Filmemacher den Bruch mit allen konventionellen Ausdrucksformen in einer radikalen Subjektivität vollzog, wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor. Hebt man das Objektive an ihm hervor, zeigt sich neben genuinen Formen von Erfahrung die faßbare Selbstkritik eines Bourgeois, der noch in der Verbindung von Avantgarde und Revolution die Bourgeoisie immer nur als Abstraktion verstanden und bekämpft hat.


 
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