© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Visitenkarte für Hollywood
Kino I: „Der Pakt der Wölfe“ von Christophe Gans vereint verschiedene Filmgenres
Ellen Kositza

Frankreich zur Zeit Ludwigs XV.: Der siebenjährige Krieg ist gerade ausgestanden, die Revolution noch nicht angebahnt, das Land dennoch in Aufruhr: In den Wäldern der ländlichen Auvergne haust eine fürchterliche Bestie. Wenn sich der Nebel über die bergige Landschaft legt, dringen Schreie in die Dörfer, und das bedeutet: Das Untier hat wieder zugeschlagen. Ihm zum Opfer fallen ausschließlich Frauen und Kinder, Männer verschont das Wesen, das sich die Bauern als monströse Wolfsgestalt vorstellen. Kindliche Schafhirten, Bäuerinnen, Mägde - schon Dutzende sind von dem Ungetüm angefallen und grausig zerfleischt worden.

Nachdem zahlreiche Wolfsjagden und hunderte aufgestellter Fallen nicht die erhoffte Beute brachten, dringt die Klage des Landstrichs bis zum König, und der schickt den begabten Naturforscher Grégoire Fronsac (Samuel Le Bihan) in das Dorf Gévaudan, um die Lage zu untersuchen. Fronsac ist ein Aufklärer, Libertin und Frauenheld, ein hochtalentierter Wissenschaftler dazu. In seinem Gefolge reitet der geheimnisvolle Indianer Mani (Marc Dacascos), sein poetisch-sensibler Blutsbruder. Der Wolf, wer sonst, ist sein Totem.

Fronsac, der gewandte Akademiker, und Mani, der spirituell begabte Schweigsame, kommen im Hause der in Gévaudan herrschenden Familie de Morangias unter. Mit hochfahrendem Mißtrauen begegnet der Adeligensohn und Décadent Jean-François (Vincent Cassel, „Die Purpurnen Flüsse“) dem Gesandten, mit neckischem Spott seine junge Schwester Marianne.

Zu brutalen Auseinandersetzungen kommt es daneben mit einer verwilderten Sippe, die in der Gegend ihr räuberisches Unwesen treibt. Bald wird wieder eine von der Bestie zerfleischte junge Frau aufgefunden, und nach einer Obduktion ist dem jungen Gelehrten klar: Es ist kein Wolf, der hier so fürchterlich wütet, die Bestie muß etwas Grausames, nie Gekanntes sein, und menschliche - teuflische? - Machenschaften stehen dahinter. Nächtliche Besuche in einem prächtigen Freudenhaus sorgen für Kurzweil bei Mani und Fronsac. Hier trifft Fronsac auf die Kurtisane Sylvia, eine mysteriöse Schönheit (Boulevard-Star Monica Bellucci), die möglicherweise Licht in das blutige Dunkel bringen kann.

Nachdem selbst Erbfeind England über die französische Unfähigkeit spottet , einen blutrünstigen Wolf zur Strecke zu bringen, schickt der König einen Gouverneur in die heimgesuchte Region, um die Ergreifung der Bestie voranzubringen. Fronsac ist entlassen, und schon nach wenigen Tagen wird der Fang präsentiert - ein Wolf, zur schauerlichen Monstervariante seiner Art ausgestopft. Freilich hat das Morden damit kein Ende ...

Christophe Gans’ bombastisches Epos „Le pacte des loups“, opulente Kostümhistorie, fantastischer Film und Actiondrama in einem, eröffnete das diesjährige Fantasyfilmfest und darf als Visitenkarte des vierzigjährigen Regisseurs („Crying Freeman“, „Necornomicon“) für den amerikanischen Markt gelten. Das beginnt beim ritterlichen Hauptdarsteller Samuel le Bihan (Drei Farben: Rot), dessen Physiognomie doch weniger frühneuzeitlich als eine Mischung aus dem jüngeren Thomas Fritsch und einem sonnigen All-American-Gesicht scheinen will, und durchzieht das gesamte Strickmuster der Geschichte, die eine geschichtlich wahre Begebenheit aufnimmt und zum Ende bisweilen aberwitzig in phantastische Monströsität entgleitet.

Kommerziell marktgerecht wird der Film aber vor allem durch seine hochmoderne Schnitt-Technik (Kung-Fu-Veteran David Wu), die mit Elementen aus der Videoclip-Ästhetik spielt. Zeitlupe und Zeitraffer gehen in den ungezählten Kampfszenen (durchgängiges Muster: einer - unbewaffnet - gegen alle, waffenstrotzend) ineinander über, dazu kommt eine Geräuschkulisse, in der das Schwert, das die Luft durchschneidet, der Körper, der auf den Boden prallt, oder das Schlitzen von Haut zu wuchtiger Akustik geraten.

Viel Action-Kitsch, viel Horror in Nahaufnahme, insgesamt viel hollywoodesker Pomp in diesem aufwendigen Kostümdrama mit einer geschönten Siegfried-und- Roy-Version als Helden mit übermenschlichen Kräften, und doch bleiben über zwei Stunden fesselnde Unterhaltung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen