© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Der Feind im eigenen Bett
Kino II: „Tödliches Vertrauen“ von Harold Becker bietet ein moralisches Aufbauprogramm nach US-amerikanischem Muster
Ellen Kositza

Es gibt Filme, deren Handlungen einen mit der Unvorhersehbarkeit der Ereignisse, den verblüffenden Wendungen und Auflösungen packen und auch nach Filmende nicht sofort entlassen. Filme mit ausdifferenzierten Charakteren, verstörenden Geschichten. „Tödliches Vertrauen“ (Original: „Domestic Disturbance“, also etwa „Familiäre Störung“) ist kein solcher Film, es ist ein typischer amerikanischer Thriller, glatt gestrickt, vorhersehbar: Fast-Food für gelangweilte Kinogänger. Deshalb nicht schlecht, vielmehr schlicht erwartungsgemäß.

Die Eltern des zwölfjährigen Danny sind seit einiger Zeit geschieden, mit Blick auf das Wohl ihres Kindes sind sie dennoch Freunde geblieben. Der Sohn litt sehr unter der Trennung und nun noch mehr darunter, daß seine Mutter erneut heiraten will. Er verschließt sich innerlich und versucht, durch eine Reihe ausgedachter Geschichten, die Aufmerksamkeit von Mutter und Vater zu erregen. Sein ungeliebter Stiefvater Rick Barnes (Vince Vaughn) ist relativ neu in der Stadt und bereits ein angesehener Geschäftsmann, ein schicker Macher im Gegensatz zum hemdsärmeligen Kindsvater (ein untersetzter John Travolta), der als fleißiger Bootsbauer arbeitet.

Die Selbstsicherheit des Erfolgsmenschen bröckelt, als bei der pompösen Hochzeitsfeier ein undurchsichtiger alter Bekannter (wie immer vorzüglich: Steve Buscemi) von ihm auf der Bildfläche erscheint, der nach Ricks Ansicht besser verschwinden sollte. Eines Abends spitzt sich die Situation zwischen dem Jungen und dem neuen Lebenspartner zu. Danny erfährt, daß seine Mutter ein Kind erwartet, flüchtet panisch aus dem Haus und versteckt sich auf der Rückbank von Ricks Auto. Rick hat noch einen Termin in der Innenstadt, das weiß der Junge, und von dort ist es nicht weit zu Dannys Vater, dem der Sohn seinen Kummer anvertrauen will. Unterwegs steigt Ricks ominöser Bekannter zu, und das Kind wird Zeuge, wie der Stiefvater den anderen kaltblütig ermordet. Danny kann ungesehen zu seinem Vater fliehen, berichtet das Gesehene, und schnell steht die Polizei vor Ricks neuem Haus. Die Fragen an den Mörder sind Routine, alle glauben dem verdienten Unternehmer, keiner dem trotzigen Bengel. Indizien für einen Mord finden sich bei der wenig engagierten Tatortuntersuchung durch die Polizei sowenig, wie eine Vermißtenanzeige eingeht. Nur Dannys Vater bleibt mißtrauisch, beantragt in einem Eilverfahren das Sorgerecht für seinen Sohn. Doch plötzlich wendet der sich merkwürdig ab, plädiert beim Gerichtstermin für einen Verbleib bei Mutter und Stiefvater ...

Dannys Mutter, blondes Piepsmäuschen im Liebeshimmel, ahnt nichts und verschließt die Augen vor dem Kummer ihres Sohnes. Der Rest - dramatische Verfolgungsjagden, innerhäusliche Schocksequenzen, die Rettung in letzter Sekunde - folgt artig dem spannenden Schema F. Dem Film vorangestellt wird die Moral der Geschichte in Form eines aphoristischen Zitats: A mother who gets second time wed, gets the enemy in her bed: Eine Mutter, die ein zweites Mal heiratet, holt sich den Feind ins Bett. So also kann’s kommen, da hat man’s wieder - amerikanisch-moralisches Aufbauprogramm.

Eine schlagzeilenwerte Begebenheit am Rande der Dreharbeiten war übrigens, daß Steve Buscemi während eines Kneipenbesuchs tatsächlich von einem Radaubruder niedergestochen wurde. Nur hat er das im Gegensatz zu seiner Filmrolle überlebt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen