© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Der Kampf gegen das Unvermeidliche
Axel Schwaigers Betrachtung dreier christlicher Geschichtsdenker
Günter Maschke

E in gutes Buch erkennt man daran, daß es die Lektüre von hundert anderen Werken überflüssig macht und zum Lesen von tausend weiteren animiert. Insofern ist Axel Schwaigers Untersuchung des christlichen Geschichtsdenkens von Juan Donoso Cortés (1809-1853), Ernst von Lasaulx (1805-1861) und Vladimir Solovjew (1853-1900) sogar ein vorzügliches Buch.

Einschüchternd kenntnisreich führt uns Schwaiger zunächst durch die Heils- und Unheilsgeschichte des Alten Testamentes, das von der Untreue des Volkes und der Treue Gottes kündet und beschäftigt sich dann, gelehrt und sorgfältig mit den Geschichtskonzeptionen früher Kirchenväter und Theologen (unter anderen Hippolyt, Augustinus, Eusebius, Orosius) bis zum Kulminationspunkt christlichen Geschichtsdenkens, bis zur „chronica mundi sive liber de duabus civitatibus“ (Chronik oder die Geschichte zweier Staaten) des Otto von Freising (1112-1158). Dort werden nicht, wie beim heiligen Augustinus, die „civitas Dei“ und die „civitas terrena“ konfrontiert, sondern christliche Kirche und weltliche Gesellschaft verschmelzen zur „civitas permixta“. Dieses von Otto gepriesene Gleichgewicht von priesterlicher und monarchischer Macht löste sich aber durch den Investiturstreit allmählich auf, was Otto als Zeichen für das baldige Ende ansah.

Im Grunde stellten diese beiden ersten Teile von Schwaigers Schrift eher ein Werk für sich dar, als daß sie überleiten zu den Konzeptionen der drei in der Moderne situierten, doch gegen sie ankämpfenden Denker; wenn auch seine Belege für den tiefgehenden Einfluß der frühen christlichen Geschichtsideen von großem Interesse sind. Ernst von Lasaulx kommt dabei eine gesonderte Stellung zu. Seine Reflexionen über das Werden, die Blüte und das Vergehen der Kulturen, die Jacob Burckhardt stark prägten, beruhen mehr auf organischer Analogie denn auf der Offenbarung und münden trotz ihres unbezweifelbar christlichen Fundamentes in einer allgemeinen Theorie des Verfalls und der Dekadenz, die nach von Lasaulx Völker und Kulturen stets dann heimsuchen, wenn mit ihrem Glauben, der nicht ein christlicher sein muß, auch ihre Vitalität erlischt. Die relativierende Tendenz der frühen, romantischen Religionswissenschaften, die auch schon Religionssoziologie war, ist in von Lasaulx’ „Neuem Versuch einer alten, auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte“ (1856) durchaus greifbar und auch deshalb scheint hier die christliche Eschatologie „verkürzt“.

Bei Donos und Solovjew ist die Christozentrik weitaus nachdrücklicher. Bei dem Spanier erscheint die Geschichte als Schauplatz menschlicher Rebellion - die aus der Erbsünde, die protestantisch, ja jansenistisch gefaßt ist, resultiert - und göttlichen Eingreifens; hier herrscht ein naiv wirkender Biblizismus vor (wobei diese Naivität häufig als eine „Als-ob“ erscheint); bei dem Russen ist die Geschichte ein Prozeß zur „All-Einheit“, zu dem nicht zuletzt die Wiedervereinigung der Kirchen gehört. Dem der Parusie Christi vorhergehendem Erscheinen des Antichrist, der „pax et securitas“ verkündet und ein humanes Leben ohne Leid, Krankheit und Armut, aber auch ohne Gott verheißt, der die Welt durch Technik und irdischen Frieden vereinigt, nicht aber in Adam und Christus - ihm widmen sich beide Schriftsteller. Freilich setzen sie, was Schwaiger nicht recht verdeutlicht, andere Akzente: Bei Donoso ist die Herrschaft des Antichrist brutale, blutige Tyrannei: Nachdem der Glaube an die Humanität grassiert, spritzt das Blut selbst aus den harten Felsen; bei Solovjew kitzelt der liebenswürdig-hilfreiche Antichrist erst einmal den Bauch („Der Antichrist kitzelt den Bauch“, meinte Luther), um dann die seinen Menschenfreundlichkleiten widerstehenden letzten Christen zu vernichten; er unterdrückt nicht alle, sondern beseitigt nur eine kleine, unbelehrbare Minderheit. Orwell und Huxley also auch hier. Solch düstere Visionen sind von Lasaulx fremd, was am harmonischen Naturell des rheinländischen Katholiken liegen mag, der nach Bayern zog, wo der Glaube gern ohne apokalyptische Gedanken gedeiht.

Bei Schwaiger gerät die seine drei Autoren einende Kritik an der Zeit etwas kurz; dazu hätte er gelegentlich sein schweres theologisches-philosophisches Gepäck absetzen müssen. Sein stupend wissensreiches Buch leidet an einem nicht unbeträchtlichem Mangel: Es äußert sich nirgendwo zum Problem des Kat-echon. Man muß nicht, wie Carl Schmitt, dekretieren, daß der Kat-echon, die geheimnisvolle Kraft, die das Ende auf- und das/ den Böse(n) niederhält (2. Thessalonicher, 2,6) für ein christliches Geschichtsbild unverzichtbar sei: „Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon überhaupt möglich ist. Der Glaube, daß ein Aufhalter das Ende der Welt zurückhält, schlägt die einzige Brücke, die von der eschatologischen Lähmung alles menschlichen Geschehens zu einer so großartigen Geschichtsmächtigkeit wie der des christlichen Kaisertums der germanischen Könige führt. Die Autorität von Kirchenvätern und Schriftstellern wie Tertullian, Hieronymus und Lactantius Firmianus, und die christliche Fortführung sybillinischer Weissagungen vereinigen sich in der Überzeugung, daß nur das Imperium Romanum und seine christliche Fortsetzung den Bestand des Äon erklären und ihn gegen die überwältigende Macht des Bösen erhalten.“ (Schmitt, Der Nomos der Erde, 1950, Seite 29 ff.). Nun, der Christ betet immerhin: „Dein Reich komme“ und darf sich wohl Erik Petersons halb-witzigen Stoßseufzer zu eigen machen: „Herr, wann hältst Du den Kat-echon auf?“ Doch auch wenn man den theologischen Stellenwert des Kat-echon, der in den Dogmatiken allenfalls ein bescheidenes Fußnotendasein fristet, bezweifelt, so kommt ihm doch bei vielen christlichen Geschichtsdenkern eine große Bedeutung zu, ja, sie können ihre Überlegungen erst entwickeln, nachdem sie sein Vorhandensein angenommen haben. Dies gilt besonders für den von Schwaiger mit so viel historischem Sinn dargestellten Otto von Freising. Bedenkt man, wie kundig Schwaiger die translatio-Idee erörtert, ist sein Ignorieren des Kat-echon vollends rätselhaft. Der Kampf gegen die Heraufkunft des Antichrist (der freilich schon gekommen sein mag) ist immerhin die paradoxe Pflicht des Christen; sie ist paradox, weil erst nach ihr die Parusie Christi erfolgt. Was man also vom Kat-echon auch denke: Seine Problematik verweist auf die der christlichen Bewährung im irdischen Interim, das heißt auf den Kampf des Christen innerhalb der Geschichte. Um ihn geht es den drei Autoren, die Schwaiger so penibel untersucht und vergleicht; ihm gelang es, ein bedeutendes Buch über den Kat-echon zu schreiben, ohne ihn auch nur zu erwähnen. Günter Maschke

Axel Schwaiger: Christliche Geschichtsdeutuzng in der Moderne - Eine Untersuchung zum Geschichtsdenken von Juan Donoso Cortés, Ernst von Lasaulx und Vladimir Solov’ev in der Zusammenschau christlicher Historiographieentwicklung. Duncker & Humblot, Berlin 2001, 440 Seiten, 96 Euro


 
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