© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   09/02 22. Februar 2002


Die totale Macht
Amerikas Kampf gegen die „Achse des Bösen“ ist auch eine Warnung an Europa
Alain de Benoist

Don’t make any mistake about it!“ Die Umgebung George W. Bushs wiederholt es immer wieder: Die Äußerungen des US-Präsidenten in seiner traditionellen Rede über die Lage der Nation bezüglich der „Achse des Bösen“ waren keine vereinbarten Formeln, die lediglich der Öffentlichkeit schmeicheln sollten. Sie geben vielmehr einen klaren Hinweis auf die Politik, die die USA in den kommenden Jahren zu betreiben gedenken. Der 29. Januar bedeutet also einen richtigen Wendepunkt.

Die Anschläge vom 11. September haben der isolationistischen Versuchung offensichtlich einen schweren Schlag versetzt. Zu Hause, von einem Feind aus Nirgendwo getroffen, können die USA nur so reagieren, daß sie sich bereithalten, überall zu intervenieren. Sie haben bereits allein entschieden, Krieg gegen Afghanistan zu führen. Die Amerikaner, die sich mehr denn je als die „unverzichtbare Nation“ (Madeleine Albright) hinstellen, werden bestrebt sein, die Formen und Normen ihrer Einsätze zu internationalisieren. Je mehr der Kampf gegen den Terrorismus zur Priorität oder zum strukturierenden Element der US-amerikanischen Politik erhoben wird, desto eher wird sich die hegemoniale Rolle der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik verstärken.

Einige Stimmen haben sich in letzter Zeit in Europa erhoben, um diesen neuen Kurs zu bedauern. Frankreichs Außenminister Hubert Védrine, der unter anderem die bedingungslose Unterstützung der USA gegenüber Ariel Sharons blutiger Politik verurteilte, hat die „simplifizierende Denkweise“ beklagt, die darin besteht, „alle Probleme der Welt auf den Kampf gegen den Terrorismus zu reduzieren“.

Seit einiger Zeit erlebt man tatsächlich einen noch nie dagewesenen Vorstoß des amerikanischen Unilateralismus: Die USA lehnen inzwischen den Multilateralismus ab zugunsten einer bloßen Zusammenarbeit von Fall zu Fall, die weder internationale Verträge noch geteilte Befugnisse in sich schließt. Man kann die Ansicht vertreten, daß der Kampf gegen den Hyperterrorismus eine Überarbeitung des Völkerrechts erfordert. Dennoch sind die USA zur Zeit das einzige Land der Welt, das nahezu offiziell beschlossen hat, dieses Recht für nichtexistent zu halten.

Die US-Regierung finanziert den Gerichtshof in Den Haag, ließ aber wissen, daß sie die Verurteilung eines ihrer Staatsangehörigen durch dieses Gericht niemals annehmen werde. Am 7. Dezember 2001 nahm der US-Senat in erster Lesung ein Gesetz („American Service Members Protection Act“) an, das der Washingtoner Regierung erlaubt, Maßnahmen, einschließlich einer Invasion, zu treffen, die verhindern sollen, daß ein US-Staatsbürger vor den künftigen Internationalen Gerichshof gestellt werden kann. Derselbe Gesetzentwurf untersagt die Beteiligung amerikanischer Truppen an UN-Einsätzen zur Aufrechterhaltung des Friedens, solange die USA nicht die Zusicherung erhalten, daß ihre Soldaten niemals von diesem Gerichtshof verurteilt werden. Die USA erkennen also die höhere Autorität keiner internationalen Instanz an, verlangen aber von ihren Verbündeten, daß sie sich ihr beugen.

Wenn die größte Weltmacht der Ansicht ist, daß das internationale Recht sie nicht betreffe, darf man sich nicht wundern, daß sich auch andere Staaten oder andere Mächte nicht danach richten. Die von den USA zur Schau getragene Gleichgültigkeit gegenüber den Vorschriften des Völkerrechts ist jedoch nur ein Aspekt des Unilateralismus, des Alleingangs, der bereits seit einigen Jahren ihre Haltung bestimmt.

Die Vereinigten Staaten sind seit 1984 nicht mehr Mitglied der Unesco. Seit April 2001 gehören sie nicht mehr der UN-Kommission der Menschenrechte an. Im November 2001 haben sie in Genf ihre Weigerung bekräftigt, die bereits von 144 Staaten unterzeichnete Konvention zu ratifizieren, die die Herstellung, Anschaffung und Lagerung von biologischen Waffen verbietet - aus dem einzigen Grund, daß sie die Kontrolle ihrer Labors und Waffenarsenale nicht dulden. Einige Tage später verurteilten sie einseitig den ABM-Vertrag aus dem Jahre 1972, der die Stationierung von Abwehrraketen einschränkt. Sie weigerten sich ebenso, den im Februar 2001 von 123 Staaten unterzeichneten Vertrag über das Verbot von Tretminen zu unterzeichnen, ebenso den Vertrag von Kyoto über den Umweltschutz und die Erwärmung der Atmosphäre. Im Mai 2001 lehnten sie jede Diskussion mit ihren europäischen Partnern über das Spionage- und Abhörnetz „Echelon“ ab. Im September 2001 verließen sie die Konferenz von Durban über den Rassismus. In letzter Zeit stellten sie sich gegen die Verwirklichung des europäischen Satellitennavigationssystems „Galileo“, das ihrem eigenen GPS-System Konkurrenz machen und es der Europäischen Union ermöglichen würde, sich der wissenschaftlichen und technischen, später der industriellen und wirtschaftlichen Bevormundung zu entziehen. Die USA sind auch der einzige Staat des Westens, der die 1979 von der UNO angenommene Konvention zur Beseitigung sämtlicher Formen der Diskriminierung gegen Frauen nie ratifizierte, ebensowenig die Konvention aus dem Jahre 1989 über die Rechte des Kindes.

In allen wichtigen Fragen sind die USA offenbar fest entschlossen, sich den internationalen Normen zu entziehen. Sie legen die Regeln der Globalisierung fest, lehnen es aber ab, sie einzuhalten - jedes Mal, wenn sie es für richtig halten. Sie propagieren den freien Handel, schrecken aber vor keiner protektionistischen Maßnahme zurück, wenn es darum geht, ihre Interessen zu verteidigen. Mit einem Verteidigungshaushalt, der im Jahre 2002 auf 366 Milliarden Dollar hochgeschraubt wurde - also mehr als die von Rußland, China, Frankreich, Deutschland und England zusammen - werden die USA künftig verstärkt militärisch handeln, ohne jede Rücksicht auf die internationale Gemeinschaft oder die Meinung ihrer Verbündeten. (Aller Wahrscheinlichkeit nach bereiten sie sich auf einen erneuten Angriff gegen den Irak vor.)

Die Amerikaner sind mehr denn je davon überzeugt, daß die ihnen eigenen Werte „universelle menschliche Werte“ seien. Nach Carl Schmitt hatte Hannah Arendt aufgezeigt, daß jede totalitäre Macht dazu neigt, ihre Gegner als absolute Feinde zu bezeichnen. Indem sie die „Achse des Bösen“ verurteilen, wollen sie zudem die Europäer vor der Versuchung warnen, eine „Achse“ Paris-Berlin-Moskau zu bilden, die das Rückgrat einer unabhängigen europäischen Macht wäre. Sie vergessen aber eines: Der im Namen des Guten geführte Krieg erzeugt grenzenlose Einsätze. Und terrorerzeugende Strukturen sind wahrlich nicht das beste Bollwerk gegen den Terrorismus, das man sich vorstellen kann.


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