© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002


Eine humanitäre Mission
Österreich: Der Irak-Besuch von Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider sorgt für innenpolitischen Wirbel
Carl Gustaf Ströhm

Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider sei mit Präsident Saddam Hussein zusammenge-troffen, meldete am 12. Februar die staatliche irakische Nachrichtenagentur INA. „Haider überbrachte dem Präsidenten die Grüße des österreichischen Volkes und der Freiheitlichen Partei wie auch deren Solidarität mit dem Volk vom Irak und seiner weisen Führung“, so hieß es bei INA weiter.

„Ich habe Geräte für eine Blutbank in Bagdad übergeben, damit vor allem den vielen an Blutkrebs erkrankten Kindern geholfen werden kann“, erklärte hingegen der einstige FPÖ-Chef nach seiner Rückkehr in Klagenfurt. Da er für sein Treffen mit Saddam ein Visum und eine Bewilligung der UN-Behörden benötigt habe, seien „alle öffentlichen Stellen von dieser Reise ausreichend informiert“ gewesen. Er sehe den Irak nicht als „Teil der Achse des Bösen. Da bin ich zum ersten Mal in meinem Leben der Meinung des deutschen Außenministers Joschka Fischer, der in diesem Zusammenhang von unbewiesenen Behauptungen gesprochen hat“. Haider berichtete auch von „konkreten wirtschaftlichen Gesprächen“ mit Vizepremier Tarek Aziz, Außenminister Naji Sabri, Bildungsminister Homam Abdel Ghafour und Erdölminister Amer Mohammed Rasheed. Dabei sei zu Tage getreten, daß Österreich im Irak „große Chancen“ habe.

Doch die mediale Empörung kannte letzte Woche keine Grenzen: „Haider ist offenbar vollkommen durchgeknallt“, empörte sich Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen. „Woher hat Herr Haider Blutkonserven“ und „welche technischen Geräte wurden eingeführt“, fragte gar SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Doris Bures, denn laut UN-Resolution sei die Einfuhr von technischen Geräten in den Irak bewilligungspflichtig. Selbst die in Wien koalitionär verbundene ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat bezeichnete den „Privatbesuch“ Haiders als „entbehrlich und kontraproduktiv“.

Der „Fototermin“ mit dem Diktator eines „Schurkenstaates“ hatte die Wogen der üblichen Empörung kaum in Bewegung gesetzt, da wurde die Nahostreise des „einfachen FPÖ-Mitglieds“ auch von schweren Konvulsionen innerhalb seiner Partei dermaßen überlagert, daß der eigentliche Anlaß beinahe in Vergessenheit geriet. Als sich einige von Haiders FPÖ-Ziehsöhnen - unter ihnen Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler - wegen des Bagdad-Besuchs von ihm zu distanzieren begannen, reagierte Haider zunächst mit einem Donnerschlag: Er kündigte im ORF seinen Rückzug aus der österreichischen Bundespolitik an und sagte sogar, auch die „haidernahen Minister“ in der Bundesregierung könnten zurückgezogen werden. Zuvor hatte der 34jährige FPÖ-Fraktionschef Westenthaler - der einst als 21jähriger in die Dienste Haiders trat - fast einen „Vatermord“ begangen. Er ließ verlauten, die FPÖ müsse sich jetzt entscheiden, ob ihr die Rolle einer Regierungs- oder einer Oppositionspartei auf den Leib geschrieben sei.

Haider, so meinte Westenthaler, solle die FPÖ-Minister in Wien ungestört arbeiten lassen. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl gegen ständige Interventionen aus Kärnten in Richtung Wien. Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, die einst als Pressereferentin Haiders begann, hielt sich während und nach der überraschenden Irak-Reise Haiders in den USA auf - und bekam dort den Unmut der Bush-Administration über dieses (so das State Department) „deplazierte“ Unterfangen ihres (einstigen) Chefs serviert.

Haider mag erst jetzt - vielleicht zu spät - die Einsicht gekommen sein, daß er vor zwei Jahren, bei der Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien einen strategischen Fehler beging. Um die EU-14-Sanktionswogen zu glätten verzichtete er auf eine aktive Rolle im „schwarz-blauen“ Kabinett. Er glaubte, er könne aus Kärnten mittels seiner Getreuen in Wien Politik machen.

Genau das aber erwies sich als Fehleinschätzung. Zwar sind einige der FPÖ-Minister ihm persönlich ergeben - etwa Justizminister Dieter Böhmdorfer oder Sozialminister Herbert Haupt. Aber bei manch anderem - etwa bei Finanzminister Grasser (Zitat: „Ich würde nicht auf die Idee kommen, nach Bagdad zu fahren!“) - sah es anders aus. Wer im Kreise der EU-Finanzgrößen und Weltbanker verkehrt, wer bei US-Notenbankchef Alan Greenspan ein- und ausgeht, der braucht keine Protektion des Kärntners mehr. Der kann sich seine Zukunft auch ohne den alten Meister einrichten.

Ähnlich steht es mit Westenthaler. Er war der Zauberlehrling, der nach Jahren der Hilfsdienste mit einem Mal von einem Gefühl überwältigt wurde, das sich bei Vater-Sohn-Beziehungen früher oder später immer einzustellen pflegt: Ich kann es genausogut, ja vielleicht sogar besser als der „Alte“. In der Frage der Besetzung von Spitzenpositionen des ORF-Fernsehens kam es zwischen beiden zum Krach, dessen Folgen wahrscheinlich nicht mehr zu kitten sind. Ödipus läßt grüßen.

Der 52jährige Haider reagierte am vergangenen Wochenende mit besagter Rückzugsankündigung. Dies sei endgültig, meinte er und zitierte das Kärntner Sprichwort: „Was man einmal weggeworfen hat, hebt man nicht mehr auf.“ Aber bereits Stunden danach revidierte er seinen Entschluß - und jetzt bleibt zunächst nur übrig, daß Haider nicht mehr Mitglied des „Koalitionsausschusses“ von ÖVP und FPÖ sein wird. Alles andere hängt in der Luft: Sogar eine Absetzung des aufmüpfigen Fraktionschefs Westenthaler, die kurz zuvor noch als sicherer Tip gehandelt wurde, fand (einstweilen) nicht statt.

Jetzt ist die FPÖ quasi gespalten: einmal zwischen den (meist sehr vorsichtigen und oft schwer zu fassenden) Haider-Gegnern, die sich meist nicht „outen“, dafür aber im Stillen die Meinung verbreiten, eigentlich könnte man doch die Freuden des Regierens genießen - wäre da nicht der unberechenbare Mann aus dem Kärntner Bärental. Und es gibt jene, die für Haider sind - und zwar nicht nur aus Überzeugung, sondern weil sie wissen (oder ahnen), daß sie nur dank seines Charismas und seiner Massenwirksamkeit jene Wahlsiege erzielt haben, denen sie Mandate, Ämter, Macht und Einfluß verdanken.

Haider wiederum spürt, wie diese FPÖ - die ja in ihrer heutigen Gestalt „sein“ Produkt ist - ihm zu entgleiten droht und die Entwicklung auf ganz banale Weise an ihm vorbeizulaufen beginnt. Seine Minister in Wien betreiben eine absolut ins EU-Bild passende neoliberale Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Da gibt es nichts „Populistisches“ - sieht man von Reizthemen wie Benes-Dekrete oder AKW-Temelín ab. Aber das ist ein Thema, das Haider vorgibt und wo er sich nicht sehr von den deutschen Grünen unterscheidet. Der Vorwurf, die FPÖ sei „deutsch-national“ oder gar „nationalistisch“, führt an der Realität vorbei. Die FPÖ ist zu einem arrivierten Teil jenes Systems geworden, das sie vor allem seit 1986 - Haiders Wahl zum Bundesparteiobmann der FPÖ - mit wachsendem Erfolg bekämpfte.

Man gewinnt den Eindruck, Haider versuche fast verzweifelt, Befreiungsschläge gegen den „Zahn der Zeit“ und die „normative Kraft des Faktischen“ zu führen. Seine flapsige Bemerkung über Ariel Muzicant, den Chef der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien - er assoziierte ihn mit einem Waschmittel - mußte er bedauernd zurücknehmen.

Doch die Empörung jener, die seinerzeit (und bis heute) ohne Skrupel kommunistische und linke Gewaltregime - von Nicaraguas Sandinisten bis zur Sowjetunion Breschnews - besuchten, ist heuchlerisch. In seltsamer Lage befindet sich der Wiener Parlamentspräsident Heinz Fischer (SPÖ), der über Haider den Stab brach, während er gleichzeitig eine Parlamentarierreise in den „Schurkenstaat“ Nordkorea vorbereitet.

Wäre Haiders Bagdad-Reise Teil eines außenpolitischen Gesamtkonzepts, läge er gar nicht so falsch: Fast gleichzeitig hat Frankreichs Außenminister Hubert Védrine die US-Politik bezüglich des Irak scharf kritisiert. Mit etwas taktischem Geschick hätte sich Haider in die Phalanx durchaus akzeptabler Kritiker der USA einreihen können. Allerdings, so wie er es angelegt hat - gewissermaßen aus der Hüfte - bleibt es bei einem Mediengag. Das Drama „Die FPÖ und ihr Übervater“ bleibt auf dem Spielplan.


 
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