© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Schlafwandeln in den Schweizer Alpen
Oper II: „La Somnambula“ von Vincenzo Bellini in Zürich
Timo Fehrensen

Mit schlafwandlerischer Sicherheit ins Liebesdrama: Eine nette Dame vom Berg ist Amina, eifrig verliebt in einen ebenso schönen Knaben namens Elvino. Der allerdings ist immer hellwach und wittert überall böse Amouren-Intrigen gegen sich. Das somnambul veranlagte Mädchen scheint ihm sogar noch recht zu geben. Findet es sich doch zu mitternächtlicher Stunde im Schlafzimmer eines in das Schweizer Bergdorf gereisten Grafen an. Dort wird es von den eifrigen Dorfbewohnern entdeckt. Klatsch und Tratsch tun ein übriges, ihr Geliebter, den sie tags darauf heiraten will, entschwindet flugs. Eine eifersüchtige Dame namens Lisa ist auch noch mit von der Partie, die der schönen Schlafwandlerin den Geliebten neidet.

Viel Dramatik folgt allerdings nicht, bald schon sorgt der angereiste Graf, doch eigentlich der Urheber dieser unnötigen Kabale, für Aufklärung. Die Schlafwandelnde ist nicht verantwortlich zu machen. Ihr „zweites Gesicht“ hat den Grafen mit dem innig Geliebten verwechselt.

Der versierte Librettist Felice Romani bezog sich auf eine Vorlage des Massenschreibers Eugene Scribe. Der hatte viel fürs Musiktheater übrig, viel Zugkräftiges geschrieben. Für Romani war das der rechte Stoff zum naturbewegten Zeitgeist. Zurück zum Ursprung: So hieß es frei nach Rousseau auch im Bereich der Oper. Und Vincenzo Bellini war einer der italienischen Schreiber mit dem Gespür fürs Publikumswirksame. Also komponierte er für die somnambule Dame eine Staroper, die für durchreisende Gastsänger mit großem Namen das richtige war und ist. In Zürich ist es Edita Gruberova, die zur melodiösen, sanft dahinfließenden, mit romantisch-alpenländischen Einsprengseln versehenen Musik eine Gala fürs Fan-Publikum gibt.

In vier Bildern vollzieht sich die alpenländische Tragödie mit gutem Ausgang. Denn am Ende kommt es, wie es kommen mußte. Zwar hat die Dorfgesellschaft ein wenig gehetzt, aber einer fröhlichen Verbrüderung zum Schluß steht das nicht im Wege.

Die Musik ist ohne spannungsreiche Höhepunkte, ein mittelprächtiges Werk, gewiß nichts fürs Repertoire. Mit nur verhaltener Begeisterung nahm denn auch das Züricher Publikum die solide Inszenierung von Grischa Asagoroff auf. Die findet in abstrakter Naturlandschaft statt. Reinhard von der Thannen hält nichts von Naturalismus, allenfalls von ironisiertem. Im Hintergrund ein kleines Gebirgs-Panorama und im Vordergrund eine Inszenierung, die auf jeden alpinen Thrill verzichtet. Zum konventionellen Umfeld paßt dann auch mancher Sangeston. Routiniert läßt die Gruberova hören, was man von ihr erwartet. Die vollreife Dame steigert sich nicht ins jungfräuliche Liebesglück hinein, sondern bleibt mit teils verbissenem Mund vor allem auf der Stelle stehen. Stimmlich solide gibt sich Piotr Beczala, der den scheinbar schnöde im Regen stehenden Geliebten singt. Mit viel Verve verkörpert Roberto Scandiucci die Rolle des Grafen. Aus dem Orchestergraben klingt eine fein abgestimmte Leistung, Marcello Viotti verzichtet merklich aufs Tempo. Ein Strom der lieblich-kleinen Leidenschaften fließt somit in Handlung wie Musik: Ein Hochvergnügen ist dieser Abend nicht.

Ein Opernhaus wie in Zürich, das im Jahr durchschnittlich 14 Premieren hat, weiß aber, was es seinem Publikum schuldig ist. Da braucht es für jede Premiere mindestens einen großen Star. Und so wird eben auch, wie in diesem Fall, eine Oper ausgegraben, die sich für lange Steh-Exzesse eignet, die wiederum gastierenden Diven gelegen kommen. 


 
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