© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Erst verbündet, dann entsorgt
Vertreibung: Die „Aussiedlung“ der Ungarndeutschen wird schöngeredet
Franz Wesner

In der Geschichte der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg stellt die Vertreibung der Ungarndeutschen einen einzigartigen Fall dar: Sie wurden aus einem Land vertrieben, das mit dem Deutschen Reich verbündet war.

Beschlossen wurde ihre „Aussiedlung“ bereits im Sommer 1943, also nach dem militärischen Fiasko von Stalingrad, in einer als religiöse Veranstaltung („Soli Deo Gloria“) getarnten „Konferenz zu Szárszó“, wo madjarische Nationalisten mit Krypto-Kommunisten über einen Frontwechsel und die Nachkriegsordnung in Ungarn nachsannen.

Da der wehrlosen deutschen Minderheit nach dem gemeinsam verlorenen Krieg so gut wie alles, nur nicht die Kriegserklärung Ungarns an die Sowjetunion anzudichten war, mußten sich die frischgebackenen madjarischen „Antifaschisten“ andere Begründungen einfallen lassen. Eine der wichtigsten davon war die geschichtliche: Die deutsche Minderheit sei von den Habsburgern nach den Türkenkriegen mit der Absicht angesiedelt worden, Ungarn zu germanisieren. Sie sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern - so der Dichter und Herderpreisträger Gyula Illyés (1902-83) - aus politischer Berechnung, „auf den Nacken der Madjaren, zur Unterwerfung der Madjaren“, hier angesiedelt worden. Und da, so Illyés weiter, 200 Jahre Gastfreundschaft „keine so lange Zeit im Leben einer Nation sind, daß man diese nicht kündigen könnte, besonders wenn der Gast dieser Gastfreundschaft nicht mehr würdig ist“, könne man sie getrost vertreiben.

Das „deutsche Gift“ sollte herausgeschnitten werden

Daß die westungarischen (ost-burgenländischen) Heidebauern, die dort schon vor der madjarischen Landnahme 896 beheimatet waren, ebenfalls vertrieben wurden, sei nur am Rande erwähnt.

Die Ungarndeutschen seien Quartiermacher des deutschen Imperialimus („Drang nach Osten“), die Fünfte Kolonne (des verbündeten) Hitler-Deutschland gewesen - lauten andere Argumente für die „Aussiedlung“. Das „deutsche Gift“ müsse daher ausgerottet, das „deutsche Geschwür“ aus dem „nun heilenden Körper der Nation“ herausgeschnitten werden, wie es im Zentralorgan der Kleinlandwirtepartei, Kis Újság, vom 18. April 1945 heißt. Außerdem seien die Ungarndeutschen massenhaft einem nationalsozialistischem Verein, dem „Volksbund der Deutschen in Ungarn“, beigetreten. Daß es sich dabei um einen legalen Verein handelte, und daß die Deutschen aus Rumänien, dem anderen Verbündeten Deutschlands, nicht vertrieben wurden, wird von den Apologeten der Vertreibung großzügig übersehen.

Der Vorsitzende des Volksbundes, Dr. Franz Anton Basch, hingerichtet am 26. April 1946 in Budapest, müsse allein schon deshalb streng bestraft werden, damit Ungarn beweisen könne, daß es zu den freiheitsliebenden Nationen gehöre. Seine Rehabilitierung kommt auch im heutigen Ungarn nicht in Betracht, was die stets mit zweierlei Maß messenden ungarischen Politiker aber nicht im geringsten daran hindert, die Rehabilitierung des Madjaren-Führers in der Tiso-Slowakei, János Esterházy, zu fordern. Überhaupt weigert sich Ungarn, das Prinzip der Wechselseitigkeit in seiner Minderheitenpolitik anzuerkennen und beruft sich dabei auf die berüchtigte These des Grafen Teleki, nach der es traditionelle, freiwillige und gezwungene Minderheiten gibt. Auch heute fordert die ungarische Regierung für die madjarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten Ungarns Rechte - zum Besipiel Gebietsautonomie und Regierungsbeteiligung - die in Ungarn als Landesverrat gelten. Eine parlamentarische Vertretung der Nichtmadjaren sei aus verfassunsgrechtlichen Gründen nicht möglich.

Man habe Platz für die im Rahmen eines Bevölkerungsaustausches nach Ungarn umgesiedelten Slowakei-Madjaren machen müssen - lautet ein Argument der madjarischen Nationalisten. Gleichberechtigte ungarische Staatsbürger deutscher Abstammung mußten also Volksmadjaren weichen, für deren „Platz“ in Ungarn Benes, nicht aber die ungarische Regierung gesorgt haben soll.Um den alten Traum von der „neuen, inneren madjarischen Landnahme“ Wirklichkeit werden zu lassen, mußten die Deutschen - wie ein Jahr davor die Juden - enteignet und vertrieben werden.

Vertrieben wurde nicht nur auf Befehl der Alliierten

All den Beschuldigungen zum Trotz hält das offizielle Ungarn auch heute noch daran fest, seine Minderheiten auf Befehl der Siegermächte vertrieben zu haben. Darin sind sich die gesamte ungarische politische Elite, ungeachtet ihrer sonstigen parteipolitischen Gegensätze, einig. Der einzige ungarische Historiker, Béla Bellér, der den Befehl des Alliierten Kontrollrates eine „Legende von Potsdam“ nannte, blieb ein einsamer Rufer in der Wüste.

Sogar der linksliberale Ex-Kulturminister Bálint Magyar (SZDSZ) leierte am 12. Juni 1996 im Neuen Pester Lloyd die chauvinistische Litanei herunter, wonach die ungarische Regierung bemüht gewesen war, nur jene „Schwaben auszusiedeln“, die dem Hitlerismus gedient hätten, und zwar auf Befehl der Großmächte in Potsdam. Die Soldaten in den ungarischen SS-Panzerdivisionen „Hunyadi“ und „Szent László“ hingegen wurden nicht „ausgesiedelt“, obwohl es im ungarischen Amtsblatt vom 29. Dezember 1945 heißt: „Das Ministerium ordnet bezüglich der Durchführung des Beschlusses des Alliierten Kontrollrates vom 20. November 1945 über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland auf Grund des Ermächtigungsgesetzes IX:1945 § 15 folgendes an: § 1. Nach Deutschland umzusiedeln ist derjenige ungarische Staatsbürger verpflichtet, der sich bei der letzten Volkszählung zur deutschen Volkszugehörigkeit oder Muttersprache bekannt hat oder der seinen madjarischen Namen wieder in einen deutsch klingenden ändern ließ, ferner derjenige, der Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) war.“

Die Festlegung des Alliierten Kontrollrates, bis zu eine halbe Million Ungarndeutscher in den US-Besatzungszonen unterbringen zu können, wurde von der ungarischen Regierung bewußt als Befehl zur totalen Vertreibung „mißverstanden“, denn es lebten in dem nach 1945 wieder auf „Trianon-Größe“ zurückgestutzen Ungarn schätzungsweise „nur“ noch 350.000 Ungarndeutsche. Die anderen, die nach den Münchener Abkommen 1938 und 1941 ungarische Staatsbürger geworden waren, wurden nach 1945 wieder rumänische, tschechoslowakische und jugoslawische Bürger. Außerdem hatten Tausende Ungarndeutsche das Land bereits mit der kämpfenden Truppe 1944 verlassen. Allerdings durchschaute der Kontrollrat das falsche Spiel der ungarischen Regierung. Johann Weidlein schreibt in seiner Untersuchung über „Ungarn und das Potsdamer Abkommen“ (1963), daß General William S. Key in einer Sitzung die Formulierung der Aussiedlungsverordnung bemängelt habe, weil sie „den Eindruck erwecke, als seien für die Deportation die Alliierten verantwortlich. Er schlug vor, den Text dahingehend abzuändern, daß daraus hervorgehe, daß die Initiative zu dieser Verfügung von der ungarischen Regierung ausging, zu deren Durchführung sie die Unterstützung der alliierten Regierung erbeten hat.“ Auch die Sowjetische Vertretung im Kontrollrat, Marschall Woroschilow, „war derselben Meinung und versprach, die ungarische Regierung zu veranlassen, den Text so abzuändern, daß er der Wahrheit entspreche.“ Der Aufforderung Woroschilows kam die Regierung nicht nach, obwohl der Marschall laut des ungarischen Parlamentspräsidenten Béla Varga Herr über Leben und Tod im damaligen Ungarn gewesen sein soll; Varga emigrierte 1947 nach New York und wurde dort Präsident des Ungarischen Nationalen Komitees.

Amerikaner beendeten die Verschleppung

Entegegen ihrer vertraglichen Verpflichtung weigerten sich die Amerikaner, mehr als rund 130.000 „Schwaben“ in ihren Besatzungszonen aufzunehmen; dadurch geriet die Vertreibung ins Stocken. Aber anstatt die ihr angeblich hochnotpeinliche „Aussiedlung“ sofort einzustellen, wandte sich die ungarische Regierung mit der Bitte an die Sowjets, die restlichen „Schwaben“ in ihre Besatzungszone zu bringen. So kamen noch 50.000 Ungarndeutsche in die Sowjetische Besatzungszone - der Rest blieb in Ungarn. Dort wurden sie entrechtet, enteignet und umgesiedelt; ihre Muttersprache wurde verboten, so daß sie ihr Leben als politische Parias fristen mußten.


 
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