© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   10/02 01. März 2002


Der rot-grüne Irrweg
Die Regierung will Ausländerzuzug erleichtern und den Nachzug von Aussiedlern stoppen
Michael Paulwitz

Wieviel ist ein Deutscher wert? Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling hat nachgerechnet, und heraus kam ein Rausschmiß erster Klasse für jene Landsleute, die als sogenannte Spät­aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in das Land ihrer Väter, nach Deutschland, heimkehren wollen. Bartlings Entwurf für eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes sieht vor, künftig nur noch solche Volksdeutsche aus den GUS-Staaten aufzunehmen, die „eine individuelle Benachteiligung aufgrund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit glaubhaft machen“ können. Daß dies den wenigsten gelingen dürfte, hofft der Niedersachse ganz unverblümt: Von seinem Vorschlag sei eine Reduzierung der jährlichen Zuzugszahlen auf ein Zehntel, von derzeit rund hunderttausend auf etwa zehntausend, zu erwarten, verkündete er bei der Vorstellung des Entwurfs. Unterstützung für die Gesetzesinitiative, die vom niedersächsischen Kabinett beschlossen wurde und im Bundesrat eingebracht werden soll, erwartet sich Bartling vor allem von den SPD-regierten Ländern.

Daß die rückkehrwilligen Volksdeutschen aus Osteuropa von der deutschen Politik auf Bundes- wie Länderebene vor allem als statistisches Problem behandelt werden, ist für sich freilich keine Neuigkeit. Liest man die periodischen Verlautbarungen des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, mißt sich der politische Erfolg auf diesem Feld offenbar vor allem in der Reduzierung der Zuzugszahlen. Im Grundsatz wird diese Sichtweise quer durch alle Lager der im Bundestag vertretenen Parteien geteilt.

Der postwendende Protest der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die Pläne der Sozialdemokraten zur Aussiedlerbegrenzung kann seine Scheinheiligkeit nur schwer verleugnen und spekuliert vor allem auf die Vergeßlichkeit der Betroffenen. Bartlings Vorstoß überträgt ja nur eine Regelung auf die Rußlanddeutschen, die die Kohl-Regierung bereits für Volksdeutsche aus Polen und Rumänien eingeführt hatte. Und Günter Beckstein, bayerischer Innenminister, hatte schon vor gerade mal anderthalb Jahren die Halbierung des Aussiedlerzuzugs auf 50.000 im Jahr gefordert. Daß Beckstein seinerzeit zurückgepfiffen wurde, ändert nichts an der Tatsache, daß Regierung und Opposition sich über zwei Dinge einig sind: Beide suchen die Lösung in der Festschreibung von Zuzugsquoten, weil sie die Aussiedlerfrage als Unterproblem der Zuwanderungsgesetzgebung betrachten.

Dort aber hat sie, nimmt man die Buchstaben der Verfassung ernst, nichts verloren. Denn Aussiedler sind keine Ausländer, sondern Deutsche im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes und müssen auch so behandelt werden. Indem Bartling und seine Gesinnungsgenossen den Aussiedlern diesen besonderen Status nehmen und sie zu quasi-Asylbewerbern degradieren wollen, höhlen sie nicht nur das Vertriebenengesetz aus: Sie führen einen Schlag gegen das Konzept des Staatsvolks als Abstammungsgemeinschaft, das der Werteordnung des Grundgesetzes bis heute zugrundeliegt.

In einen Topf geworfen mit all den anderen, die Einlaß in den trotz Rezession und Finanzkrise noch immer leidlich komfortablen deutschen Sozialstaat begehren, kommen die Volksdeutschen aus dem Osten mehr und mehr unter die Räder. Kämen weniger Aussiedler neu dazu, bliebe mehr Geld für die Integration der bereits hier lebenden, versuchte Bartling Deutsche hier und dort gegeneinander auszuspielen. Angesichts rückläufiger Mittel für Aussiedler-Sprachkurse, die überdies mehr und mehr mit den Ausgaben für Ausländer vermischt werden, führt auch dieses Manöver in die Irre.

Die Wahrnehmung nationaler Verantwortung darf ohnedies nicht am Geld scheitern, sollte man meinen. Doch die allerorten selbstverständliche nationale Solidarität wird in Deutschland als negative Solidarität geübt: Für die eigenen Landsleute gelten strengere Maßstäbe und höhere Hürden als für die Gäste aus aller Welt. Kein Asylbewerber wird gewzungen, noch im Heimatland seine individuelle Verfolgung zu beweisen, bevor er an die deutsche Türe klopft. Und keinem dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländer wird auferlegt, seine Familie erst dann nachzuholen, wenn jedes einzelne Familienmitglied unter erheblichem Aufwand an Zeit und Geld vor oftmals selbstherrlich auftretenden Regierungsentsandten eine Sprachprüfung abgelegt hat. Es geht also weder um die behauptete „Privilegierung“ von Aussiedlern gegenüber Zuwanderern noch um eine einzufordernde „Gleichbehandlung“: Die faktische Diskriminierung Deutscher ist längst die Praxis.

Für den öffentlichen Diskurs, der auf jede vermeintliche oder tatsächliche Benachteiligung von Ausländern in Deutschland allergisch reagiert, ist das allerdings kein Thema. Die Gründe mögen zum einen tiefenpsychologisch sein: Deutsche als Opfer sind nicht vorstellbar, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Also verschließt man die Augen vor der unverändert schwierigen Lage der Landsleute in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion und hält sich das unbequeme Kapitel mitsamt den Betroffenen vom Leibe. Menschenliebe, politisch korrekt betrieben, befaßt sich nach Möglichkeit nicht mit den schwierigen Problemen des eigenen Volkes.

Vor allem aber steht der Wahlkampf vor der Tür. Im Hickhack der Parteien schlagen dann die einen auf die Aussiedler ein, weil man so am bequemsten vom eigenen Versagen in der Zuwanderungspolitik ablenken kann, während die anderen sich empört bei den solcherart Angegriffenen anbiedern und dabei ausrechnen, wieviel Stimmen das vielleicht einbringen dürfte. Mit dem Kalkül, die Grausamkeiten, die sie selbst in der Regierung zu verantworten hatten, seien längst vergessen.

Der Justizminister von Niedersachsen, der in den Aussiedlern vor allem „Stimmvieh für die CDU“ erblickt, war vielleicht der ehrlichste in der ganzen Runde. Er gab die banale Antwort auf die Frage, warum die eine „Volkspartei“ eine ganze Gruppe von Mitbürgern nicht haben will, während die andere mit ihr so umspringt wie mit allen anderen Heimatvertriebenen auch - große Versprechen in der Opposition, keine Taten in der Regierung.

An den volksdeutschen Aussiedlern selbst liegt es, ob sie sich weiter so schlecht behandeln lassen. Immerhin zählen sie nach Millionen und haben Gewicht genug, um auch ohne Anlehnung an eine der „Volksparteien“ ihren Einfluß geltend zu machen. Wieviel ist ein Deutscher wert? Die Antwort auf diese Frage darf nicht den prinzipienlosen Bürokraten und Parteitaktikern überlassen bleiben.


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