© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Ein faules Kuckucksei
Schwere Verstöße gegen die Deutsch-Tschechische Erklärung
Kurt Heißig

Zu Beginn ihres Wahljahres haben die Spitzen der tschechischen Regierung und der Opposition in der Frage der „Benes-Dekrete“ - sie begründeten die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen - einen neuen Kurs eingeschlagen. Im Januar dieses Jahres gab der tschechische Ministerpräsident Zeman der österreichischen Zeitschrift Profil ein Interview. Neben Freundlichkeiten wie „Österreich war nicht das erste Opfer Hitler-Deutschlands, sondern der erste Verbündete“, hieb er in die alte Kerbe der 40jährigen kommunistischen Propaganda, bezeichnete die Sudetendeutschen als die fünfte Kolonne Hitlers und schloß die Frage an: „Kann man jetzt wirklich Versöhnung für Verräter fordern?“ Aus der Tatsache, daß nach tschechischem Recht „viele“ Landesverrat begangen hätten, folgerte er: „Wenn sie also vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe.“

Entsprechend fiel das Echo in Deutschland aus. Sogar die Bundesregierung konnte nicht anders, als sich mit den Vertriebenen dagegen zu solidarisieren. So erklärte die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Inneren, Cornelie Sonntag-Wolgast beim Jahresempfang des BdV: „Die Bundesregierung steht in der Verurteilung dieser Worte auf der Seite des Bundes der Vertriebenen.“

Nicht genug damit. Mit seiner neuesten Äußerung in Israel, wieder bei einem Interview, diesmal mit der Zeitung Haaretz, hat der Meisterdiplomat Zeman nun auch noch die arabische Welt gegen sich aufgebracht. Mit der Empfehlung an Israel, die Palästinenser vor die Alternative zu stellen, die Bedingungen anzunehmen oder zu gehen - wie man es damals auch mit den Sudetendeutschen hätte machen sollen - entlarvte sich Zeman als ein Verächter aller „westlichen Grundsätze“. Leider übertrafen die Geschäfte, die der tschechischen Republik in Ägypten und Tunesien entgingen, wo er kurzerhand ausgeladen wurde, bei weitem die, die er mit Israel abmachte. Diesmal blieb ihm nicht einmal der Verweis auf ein salvatorisches Bedauern der Exzesse, sondern nur noch die Behauptung, er sei total mißverstanden worden.

Der nach der ersten Äußerung Zemans zweifelhaft gewordene Besuch Außenminister Fischers in Prag mußte nun erst recht stattfinden, um zu klären, ob Schröder überhaupt noch dorthin fahren könne. Statt einer Klärung wurde er, trotz eines vorliegenden Mitschnitts des Interviews, mit dieser mehr als fadenscheinigen Ausflucht eines Mißverständnisses abgespeist. Fischer blieb ihm nichts anderes übrig, als Zufriedenheit zu mimen, sonst hätte auch er gröblich gegen die diplomatischen Gepflogenheiten verstoßen.

Die EU konnte sich diese Haltung jedoch nicht bieten lassen. Solana - nicht etwa der zuständige Verheugen - reagierte scharf. In der Tschechischen Republik gab es überall Kritik, auch von Oppositionsführer Klaus, für den allerdings der Schaden am eigenen Land im Vordergrund stand. Jedoch, wie es vor Wahlen so ist, wollte auch er nicht zurückstehen. Die Gelegenheit bot ihm Ungarns Ministerpräsident Orbán, der forderte, die Slowakei und Tschechien sollten die „Benes-Dekrete“ aufheben. Klaus konterte, diese Dekrete sollten als Teil der europäischen Nachkriegsordnung in einer Klausel des tschechischen EU-Beitrittsvertrages festgeschrieben werden.

Diese Forderung wischt alle Beteuerungen Zemans mit einem Schlag vom Tisch, es handle sich um erloschenes Recht, das heute keine Wirksamkeit mehr entfalte. Schade, Schröder hatte so gerne daran geglaubt und darin eine so innige Übereinstimmung mit seinem sozialdemokratischen Kollegen empfunden. Daß ein solches Ansinnen aber in fundamentalem Gegensatz zu allem steht, was die Tschechische Republik schon beim Beitritt zum Europarat unterschrieben hat, beleuchtet das Rechtsverständnis von Klaus in seiner ganzen Verzerrtheit. Aber vielleicht hat Klaus, der sich seit einiger Zeit antieuropäisch gibt, auch die Schwierigkeiten mit der EU bewußt heraufbeschworen.

Nun ist Europa alarmiert. Zeman hat gegen den für die Tschechen wichtigsten Punkt der Deutsch-Tschechischen Erklärung verstoßen: Nicht Berlin, sondern Prag hat unser Verhältnis mit Fragen der Vergangenheit belastet, auch wenn es in Berlin noch niemand gemerkt haben sollte. Wenn selbst Beitrittskandidaten wie Ungarn erkannt haben, welches faule Kuckucksei der EU mit den „Benes-Dekreten“ ins Nest gelegt werden soll, können Brüssel und Straßburg nicht länger wegschauen.

Mit dieser Entwicklung wendet sich der Kollektivschuld-Gedanke, der einst die Rache an den Sudetendeutschen begründete, gegen die Tschechische Republik. Weil er im Denken auch der heutigen Politiker (vielleicht außer dem Präsidenten) tief verankert ist, glaubt jeder, es bedeute den Schuldspruch über sein ganzes Volk, wenn er die verbrecherische Natur der „Benes-Dekrete“ und der darauf folgenden Vertreibung und Enteignung zugibt.

Totzdem wird der Prozeß der Annäherung weitergehen. Die Diskussion um die Vergangenheit greift in Tschechien immer weiter um sich. Vielleicht findet sich sogar schon bald ein Politiker, der zu sagen wagt: Der Staat ist verantwortlich für das schwere Unrecht, aber das tschechische Volk ist unschuldig. Für uns eine Binsenweisheit, für die tschechischen Politiker noch Lernstoff auf dem Weg nach Europa.


 
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