© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
„Es gibt tausend Gründe, Deutschland zu hassen“
Thüringen: Der PDS-Politiker Steffen Dittes widmet sich den Heimatvertriebenen mit der Broschüre „Das Maß ist voll - Der BdV und Latussek“
Wolfgang Müller

Eine „neue Spitzelaffäre in Thüringen“ glaubt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe entdeckt zu haben und füllt damit gleich eine ganze Seite. Angriffsziel ist dabei Thüringens Innenminister Christian Köckert. Dem CDU-Politiker wird vorgeworfen, Informationen über den PDS-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) eingeholt zu haben. Als Sprecher der PDS-Fraktion für Innenpolitik war Dittes vor zwei Jahren von seiner Fraktion für die G10-Kommission vorgeschlagen worden - das Gremium, das über die fallweise Aufhebung des grundgesetzlich geschützten Post- und Fernmeldegeheimnisses entscheidet. „Die Überprüfung ist ein klarer Bruch geltenden Rechts, da hier die rechtlichen Voraussetzungen für das Handeln des Verfassungsschutzes nicht gegeben waren“, meinte die PDS und jetzt der Spiegel.

Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) stellte sich letzten Montag jedoch demonstrativ hinter seinen Minister: Es habe keinen Auftrag gegeben, Dittes zu „bespitzeln“. Vielmehr seien TLfV-Informationen weitergegeben worden, die sich aus der „routinemäßigen Beobachtung der linksextremistischen Szene“ ergeben hätten. „Wenn ihm dabei immer wieder der Name eines Landtagsabgeordneten begegnet, darf der Verfassungsschutz das nicht verschweigen, nur weil es sich um einen Parlamentarier handelt“, sagte Vogel.

Das Dittes der „linksextremistischen Szene“ zugerechnet werden kann, hat er nicht nur im vergangenen Oktober zum Tag der Deutschen Einheit bewiesen: Der 29jährige „Berufspolitiker“ meldete eine Demonstration unter dem Titel „Es gibt tausend Gründe, Deutschland zu hassen“ an. Da war selbst für die PDS-Genossen „das Maß voll“: Als innenpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion war der 1994 aus der Arbeitslosigkeit und „Antifa-Zusammenhängen“ in den Landtag gekommene ehemalige NVA-Offiziersbewerber und spätere „Totalverweigerer“ nicht mehr tragbar.

Trotz strafrechtlicher „Kleinigkeiten“ wie „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder „Dienstflucht“ sahen seine Genossen bis letztes Jahr allerdings keinen Grund, dieses wichtige Amt anders zu besetzen. Um so intensiver widmet sich Dittes seither dem Bund der Vertriebenen (BdV). Auch wenn der Arnstädter Nachwuchspolitiker offiziell mit Parolen wie „Nie wieder Heimat, nie wieder Deutschland“ oder „Polen muß bis Frankreich reichen“, die sogenannte Antifa-Aktivisten anläßlich des zentralen Tags der Heimat am 9. September 2001 in Erfurt zeigten, nichts zu tun haben will, so ist sein Weltbild jedoch eindeutig: „Den regionalistisch geprägten oder auf Nationen orientierten Begriff Heimat lehne ich ab“, so Dittes. „Ich kämpfe dafür, daß sich jeder Mensch überall auf der Welt wohl fühlen kann.“ Deutsche Heimatvertriebene zählen für den gelernten Elektronikfacharbeiter offensichtlich nicht dazu. Die Ablösung des Thüringer BdV-Chefs Paul Latussek (siehe JF 50-52/01) war daher für ihn „überfällig“ - seit Jahren sammelt Dittes „Argumente“ gegen den BdV.

„Der Fall Latussek“ bot nun die günstige Gelegenheit, „Vergangenheitsbewältigung“ nach PDS-Manier in Broschürenform zu dokumentieren. Als Herausgeber des letzte Woche erschienenen Heftes „Das Maß ist voll - Der BdV und Latussek“ fungiert, wie nicht anders zu erwarten, Steffen Dittes. Als historische „Fachfrau“ hat er sich dazu unter anderem einer Mitarbeiterin der PDS-Landtagsfraktion bedient, die sich bislang weniger durch historische Studien, sondern durch Veröffentlichungen wie den 345seitigen „Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit“ (DGB-Bildungswerk Thüringen 1998) hervorgetan hat: Barbara Schäuble.

Ähnlich wie Dittes ist sie in diversen „Antifa-Zusammenhängen“ aktiv, im Oktober 2000 etwa beim „10. Antirassistischen AntifaRatschlag“ in Jena oder beim Trierer „Tu-Was-Kongreß gegen Rassismus und rechte Gewalt“. Was Barbara Schäuble in der aktuellen PDS-Broschüre über die Geschichte der Vertreibung, der westdeutschen Vertriebenenpolitik und des BdV ausbreitet, erinnert an die „Braunbuch“-Propaganda, die SED-Funktionär Albert Norden vor vierzig Jahren im Auftrag von Stasi-Chef Erich Mielke betrieb.

Zumeist speisen sich Schäubles Expektorationen aus den Elaboraten Samuel Salzborns, der seit langem linksextreme Gazetten mit seinen Geschichtsfälschungen über „Revanchisten“ füttert. Obwohl Schäuble durchaus das Talent hat, sich aus eigener Kraft zu blamieren. Etwa wenn sie Theodor Oberländer für „Kriegsverbrechen im Raum Lemberg“ verantwortlich macht, zwei Jahre, nachdem der eher linksliberale Baring-Schüler Philipp-Christian Wachs in seiner umfangreichen Biographie des einstigen Bundes-Vertriebenenministers mit seiner zählebigen Propagandalüge endlich aufgerämt hat. Besonders widerwärtig ist der Versuch der PDS-Mitarbeiterin, aus dem katholischen NS-Gegner Linus Kather einen „Nazi“ zu machen: Er sei Strafverteidiger am „Sitz des einzigen Sondergerichts des ehemaligen Ostpreußen“ gewesen. Wenn man ähnlich niederträchtig Leo Baeck in ein Vertrauensverhältnis zu Heydrich bringen wollte, müßte man betonen, dieser Rabbiner habe, „am einzigen Sitz des Reichssicherheitshauptamtes“ gewirkt.

Daß Barbara Schäuble bei dem am Landgericht in Königsberg zugelassenen, mit dem dortigen Sondergericht nur als Angeklagter (!) oder Verteidiger in Berührung gekommenen Kather „Beziehungen zum emsländischen Klerus“ erwähnt, wo doch in Ostpreußen nur solche zum „ermländischen“ bestanden haben können, fällt in ihrer Agitprop-Collage kaum noch auf. Ebensowenig wie die „Millionen jüdischer Deutscher“, die es bis 1945 gegeben haben soll, wo doch die Statistik des Deutschen Reiches bei Hitlers Machtergreifung 1933 nur knapp 500.000 ausweist, von denen die Hälfte bis 1939 emigrierte. Bizarr wird es schließlich, wenn sie von „polnischen Vertriebenen der dreißiger Jahre“ fabuliert. Von da ist es nur noch ein Schritt zur Verhöhnung der Vertreibungsopfer, wenn Schäuble den Verlust der Heimat und nicht selten des Lebens von Millionen Ostdeutscher zur „Folge der Germanisierungspolitik“ umlügt und somit eigentlich die Grenze zur strafbaren Volksverhetzung überschreitet.

Auf Schäubles Kenntnisstand handelt die PDS den „Fall Latussek“ auch im Erfurter Landtag ab, und die SPD folgt ihr darin weitgehend. In der CDU fühlt man sich bei solchen Polemiken zwar an „Sudel-Ede“ Karl-Eduard von Schnitzler erinnert und bringt sogar die Kraft auf, sich gegen die PDS-Demagogie zu verwahren, daß Vertreibung eine „logische und zwingende Konsequenz des Zweiten Weltkrieges“ sei. Gleichwohl gehen die Christdemokraten zu Latussek auf Distanz - auch das dokumentiert die PDS-Broschüre.

Nicht zufällig neutralisierte der Thüringer CDU-Sozialminister Frank-Michael Pietzsch während der Landtagsdebatte Joseph von Eichendorff und Gerhart Hauptmann zu Exponenten der „europäischen Kultur“. Dem verschwiemelten Europäismus der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach (CDU), ihrem unionstypischen Bemühen, die Vertriebenenarbeit zu entpolitisieren und aufs tote Gleis einer es mit der historischen Wahrheit nicht so genau nehmenden, „völkerversöhnenden“, leidlich alimentierten „Kulturpflege“ zu schieben, war Latussek einfach zu oft entgegengetreten. Der mit Hilfe von Bernhard Vogel abgelöste BdV-Landeschef schwamm fast immer gegen den Strom - auch mit seiner BdV-Broschüre „Was jeder Deutsche wissen sollte“.

Daher bot dessen sicherlich unüberlegte und mißverständliche Rede vom letzten Jahr den hochwillkommenen Anlaß, einen unbequemen Provinzfunktionär abzusägen. Doch das eigentlich Erschreckende an der Thüringer Latussek-Debatte ist das Ausmaß bundesdeutscher Geschichtsvergessenheit, und daran ist Steffen Dittes allerdings vollkommen unschuldig.

 

Die Broschüre „Das Maß ist voll - Der BdV und Latussek“ kann bei der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag, Arnstädter Strasse 51, 99096 Erfurt, Fax: 03 61 / 3 77 24 16 bestellt werden. Das Heft „Was jeder Deutsche wissen sollte“ ist 1999 beim BdV-Landesverband Thüringen (Michaelisstr. 43, 99084 Erfurt, Fax: 03 61 / 7 31 51 39) erschienen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen