© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Außer Kontrolle
Verfassungsschutz II: Medien diskutieren Parallelen zur DDR-Staatssicherheit und stellen die Existenz des Geheimdienstes in Frage
Thorsten Thaler

Im Zusammenhang mit der V-Mann-Affäre im Verbotsverfahren gegen die NPD konzentriert sich die öffentliche Debatte augenblicklich vor allem auf die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes. Dabei wird nicht selten die Existenz des 1948/49 in Nordrhein-Westfalen gegründeten Inlandsgeheimdienstes überhaupt in Frage gestellt.

Nach einem frühen Hinweis von Günter Zehm in dieser Zeitung auf Parallelen zwischen Verfassungsschutz und DDR-Staatssicherheit („Pankraz, Otto Schily und die Macht der Simulation“, JF 6/02) haben jetzt zwei weitere Publizisten entsprechende Bezüge thematisiert. In der Zeit spürte Feuilleton-Chef Jens Jessen der Frage nach, was der Verfassungsschutz von der DDR gelernt hat. Und in einem Gastbeitrag für die Welt stellte Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen und vormaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gauck-Behörde, „verblüffende Gemeinsamkeiten“ zwischen den Praktiken der Stasi und der V-Leute-Affäre fest.

Die Tatsache, daß die Staatssicherheit nicht nur die Unzuträglichkeiten des DDR-Systems besser kannte als die von ihr bespitzelten Dissidenten, sondern auch die Tabus, über deren Bruch sich die SED besonders ärgern würde, gilt nach Ansicht von Jessen auch für den Verfassungsschutz. „Man könnte auch von einer Selbstbeobachtung des Staates durch das Medium der NPD sprechen; die Partei wäre sozusagen das Mikroskop, durch das der Staat wahrnimmt, was Rechtsradikale an der Gesellschaft stört.“ Das könne zwar lehrreich sein, meint Jessen. Doch das Beispiel der Stasi spreche eher dafür, „daß der Staat nichts lernt beziehungsweise nur gelernt hat, seine Feinde dadurch zu kontrollieren, daß er sie selbst erfindet.“

Hubertus Knabe merkt an, daß auch die Staatssicherheit der DDR V-Leute bei der NPD eingeschleust hatte. Er erinnert an den Fall des Journalisten Lutz K., der im Auftrag der Stasi bereits in den sechziger Jahren der Partei beigetreten war und später Chef ihrer Studentenorganisation wurde. „Im Dienste seiner vermeintlich antifaschistischen Auftraggeber trugen K. und andere Stasi-Agenten über Jahre hinweg aktiv zur Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts im Westen bei“, schreibt Knabe.

Eine Praxis wie in allen totalitären Staaten

Hier zeige sich für Stasi wie Verfassungsschutz das gleiche Grundproblem nachrichtendienstlicher Arbeit. Nach der Logik der Geheimdienste reiche es nicht aus, mit Berichten „aus dem Fußvolk“ versorgt zu werden. Um aber in das Zentrum des Ausforschungsobjektes zu gelangen, müßten ihre Informanten zu „Mittätern des observierten Ge-schehens“ werden. Dazu müsse der Informant einen besonderen Aktionismus entfalten und sich an die Spitze der Bewegung stellen.

Knabes Schlußfolgerung: „Der Geheimdienst ’züchtet‘ Staatsfeinde im Dienste des Staates.“ Dabei unterliege der Informant einer ständigen Betreuung durch seine Auftraggeber, sein Vorgehen werde genau besprochen. „Die Behauptung, daß die V-Leute in der NPD vom Verfassungsschutz keinerlei Instruktionen für ihr politisches Auftreten bekommen haben, ist deshalb mehr als zweifelhaft“, meint Knabe.

Für die Berliner Zeitung zeigt der Skandal um die V-Leute im NPD-Verbots-verfahren, „daß die deutschen Geheimdienste mindestens teilweise außer Kontrolle sind“. Das Bundesverfassungsgericht als eine der wichtigsten „gemeinschaftsstiftenden Institutionen des Landes“ sei „an den Rand der Lächerlichkeit“ gebracht worden. Weder das Parlamentarische Kontrollgremium noch der Innenausschuß des Bundestages, weder das Innenministerium noch das Kanzleramt, noch die Innenministerien der 16 Bundesländer noch sonst irgendjemand „hatte die Kompetenz, das jetzige Desaster in Karlsruhe zu verhindern“. Autor Thomas Rogalla zog daraus die ultimative Erkenntnis: „Die Geheimdienste sind nicht zu reformieren.“

Deutliche Worte fand auch der Chefredakteur des Rheinischen Merkur, Michael Rutz. In einem Kommentar zum NPD-Verbotsverfahren schrieb er, der Staat habe „wie es einst die Nazis oder später die Kommunisten in der DDR taten und es Praxis aller totalitären Staaten ist, Tatbestände selbst geschaffen, gegen die er anschließend vorgeht“. Ein solches Handeln stelle „einen Bruch der Verfassung dar, mit der auf höchst korrekte Weise umzugehen gerade den Verfassungsorganen aufgegeben ist“. Rutz erinnerte an Artikel 21 des Grundgesetzes, der höchste Maßstäbe für ein Parteienverbot anlegt. Wer sich aus Entsetzen über die NPD über diese strengsten formalen Maßstäbe hinwegsetze, so Rutz, „der könnte (und Weltgeschichte formiert sich oft unerwünscht rasch neu) selbst Opfer eines solchen laschen Umgangs mit der Verfassung werden“.


 
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