© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Vergreisung und Erziehungsprobleme
Steuerrecht: Bundesregierung wie Opposition betreiben eine Familienpolitik ohne Zukunftsperspektive
Bernd-Thomas Ramb

Während die deutsche Regierung mit ruhiger Hand weiter auf den Aufschwung war-tet, verschärfen sich explosionsartig und mit fataler Langzeitwirkung die Probleme der demnächst alternden und der kommenden Generation. Die Rentenpolitik steht vor einem nicht eingestandenen Fiasko, ebenso die staatliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung. Familien- und nachwuchspolitisch hat die derzeitige Bundesregierung nichts aus den Fehlern der Vorgänger gelernt und kaum ein Versäumnis nachgeholt. Allerdings findet solches Politikversagen kaum den Widerhall der öffentlichen Diskussion. Da muß schon eine Kanzlerschwester herhalten, um beispielsweise die Problematik der steuerlichen Behandlung Alleinerziehender in die mediale Diskussion zu zwingen.

Die jüngste Halbschwester Schröders, Alleinerziehende zweier Kinder, reichte mit 150 Gleichbetroffenen Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den schrittweisen Abbau des Haushaltsfreibetrages ein, der den Alleinerziehenden mit mittlerem Einkommen Steuervorteile von bis zu 85 Euro monatlich einräumte. Bis zum Jahresende 2004 wird damit die Steuerklasse II abgeschafft und Alleinerziehende wie Alleinstehende behandelt. Gleichzeitig ist am unteren Einkommensende die Reform der Sozialhilfe vorgesehen, die ebenfalls häufig Alleinerziehende betrifft. Die geplante Absenkung der Zuwendungen unter die Mindestlöhne zwingt Alleinerziehende verstärkt zur Job-Suche, so daß die Erziehung und Betreuung des Kindes oder gar der Kinder noch schwieriger wird. Die geringfügige Erhöhung des Kindergeldes seit Januar dieses Jahres bietet kaum einen entsprechenden Ausgleich.

Familienpolitisch läßt sich der Abbau der Vergünstigungen von Alleinerziehenden nur vordergründig als eine relative Stärkung der klassischen Familie interpretieren. Die erschreckend ansteigende Zahl der Alleinerziehenden, gepaart mit immer kurzlebigeren Ehen mit einem rasantem Anstieg der Scheidungen und einer nachlassenden Bereitschaft im Falle einer Schwangerschaft auch den Bund fürs Leben einzugehen, machen ein Gegensteuern dringend erforderlich. Zumal „alleinerziehend“ immer häufiger auch „alleinverdienend“ bedeutet, da sich die Erzeuger der Kinder zunehmend vor ihrer Zahlungsverantwortung drücken und die Finanzierung ihrer Amouren dem Staat überlassen.

Andererseits werden aber auch die klassischen Familien immer mehr im Stich gelassen. Die bereits erwähnte geringfügige Anhebung des Kindergeldes reicht ebenso wenig aus, wie die Anhebung des Steuerfreibetrags, der das Existenzminimum von Kindern absichern soll. Dagegen wird der Ausbildungsfreibetrag gekürzt und die „Dienstmädchenregelung“, die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen, abgeschafft. Im Ergebnis erhöht sich der Zwang der Eltern zum Doppelverdienen. Nicht nur die Alleinerziehenden werden damit zu Nichterziehenden, sondern auch ein Großteil der Eltern. Wer will sich unter diesen Umständen - und vor allem bei den modernen Konsumansprüchen - heute noch mit Kindern belasten?

So verwundert es nicht, daß die Konstellation der klassischen Familie, Ehepaar mit zwei bis drei Kindern, mittlerweile in Deutschland ein Minderheitenphänomen repräsentiert. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft sank der Anteil der Familien mit Kindern an der Gesamtzahl der Haushalte in den letzten zehn Jahren von 32 Prozent auf 26,7 Prozent.

Die ehemals als „normal“ eingestufte Haushaltsform ist damit seltener vorzufinden als der Einpersonenhaushalt, der sich mit 36,1 Prozent fast zum Regelhaushalt entwickelt hat. Ein weiteres Viertel der Haushalte besteht aus kinderlosen Ehepaaren. Somit fehlen in nahezu der Hälfte der Haushalte mit Ehepaaren die Kinder. Das liegt zum einen an der abnehmenden Bereitschaft der Deutschen, Kinder zu bekommen, zum anderen aber auch an der zunehmenden Lebensdauer. Die Zahl der Rentnerhaushalte stieg innerhalb der letzten zehn Jahre um eine Million. Die Haushalte der Alleinerziehenden sind um zwölf Prozent angestiegen. Im Vergleich zu den klassischen Familien fehlt damit in fast jedem fünften Haushalt mit Kindern ein Elternteil. Neben der Vergreisung der Bevölkerung sind damit auch die Erziehungsprobleme vorprogrammiert.

Erste Folgen zeichnen sich schon jetzt ab. Die für das ehemalige Kulturland Deutschland beschämenden Ergebnisse der PISA-Studie basieren nicht zuletzt auf den geringeren Anstrengungen bei der Bildung und Erziehung im Elternhaus. Dabei zeigt PISA nur die erste Hälfte der Bildungsmisere, die intellektuellen Fähigkeiten der 15jährigen. Der weitere Bildungsweg, etwa in Richtung der allgemeinen Hochschulreife, potenziert die Anfangsmängel. Heute entschließt sich nur noch jeder dritte deutsche Abiturient zu einem Studium.

Von dieser relativ geringen, die Universitätskapazitäten aber absolut überfordernden Zahl, bricht ein Großteil - in manchen Fächern bis zu 75 Prozent - das Studium vor einem Abschluß ab. Im Bereich des Handwerks nimmt die Zahl und die Qualität der Lehrlingsausbildung ab, nicht weil zuwenig Lehrstellen angeboten würden, sondern weil schlicht ein Großteil der Schulabgänger unfähig für einen Lehrberuf ist.

Neben der Konsequenz, daß es damit schon jetzt immer schwieriger wird, ein hinreichendes Volkseinkommen zur Versorgung aller Altergruppen zu erwirtschaften, ist die Prognose fatal, daß sich diese negative gesellschaftliche Entwicklung künftig wahrscheinlich verstärken wird. Vernachlässigte Kinder aus geschiedenen Verhältnissen oder nicht funktionierenden Familien werden später kaum Neigungen zeigen, den gelegentlich anstrengenden Weg einer „normalen“ Familie zu beschreiten und Verständnis für die Versorgung der Alten zu entwickeln. Dann lieber ein kinderloses spaßorientiertes Leben im Jetzt und ohne Blick auf das spätere Alter.


 
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