© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Pankraz,
W. Mittenzwei und die Priester in der DDR

Gibt es eigentlich „die“ Intellektuellen als eigenständige Klasse, Kaste, soziale Gruppe? Werner Mittenzwei bejaht das wieder einmal, und er versucht, es ausgerechnet an der Geschichte der literarisch-künstlerischen DDR-Intelligenz zu exemplifizieren. „Die Intellektuellen“ heißt ein Buch von ihm, das eine solche Geschichte zu sein begehrt (erschienen bei Faber & Faber, Leipzig), und es trägt den nicht minder ambitiösen Untertitel „Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 bis 2000“.

Es ist ein zwar streckenweise recht interessantes, weil faktenreiches, aber letztlich ein fatales, schönfärberisches und methodisch chaotisches Buch. Mittenzwei (74), Brecht-Biograph und zu DDR-Zeiten Akademie-Mitarbeiter in aufsteigenden Rängen, gehörte selber jahrzehntelang zu jenen „Intellektuellen“; er galt damals als liberal, doch übervorsichtig, löckte nie gegen den Stachel, nahm alle Parteivorgaben ohne Widerspruch hin, steckte sein Köpfchen höchstens mal ein bißchen heraus, wenn der „Kurs“ es zu erlauben schien, zog es aber sofort wieder ein, sobald der Wind schärfer wehte und Bürgerstolz vor Fürstenthronen fällig gewesen wäre.

Dies halbherzige Mitmachen erhöht er nun in seinem Buch zum „Einer Sache dienen, ohne sich in Dienst nehmen zu lassen“ und macht es zum Kriterium für wahres Intellektuellen-sein. Leute, die wirklich etwas wagten und von der Partei deshalb mit Terror überzogen wurden, werden entweder - wie Wolfgang Harich - wegen ihres „Subjektivismus“ sanft getadelt oder - wie Erich Loest - kürzest abgetan oder - wie der junge Pankraz - nicht erwähnt. Notorische Stasispitzel wie Sascha Anderson posieren bei Mittenzwei in einer Reihe mit Gottfried Benn, Vollzugsorgane des Terrors wie Hermann Kant oder Karl Eduard von Schnitzler strahlen halbdunkel im warmen Licht der Versöhnung. „Schließlich waren wir ja alle Antifaschisten.“

Richtig böse ist Mittenzwei nur auf gewisse Abweichler aus den eigenen Reihen, speziell auf solche, die nach der Wende mit der SED und der DDR scharf abrechneten, wie etwa Monika Maron oder Wolf Biermann. Da wird der Herr Intellektuelle richtig fuchtig, nennt Biermann einen „Thersites der DDR“, Monika Maron eine „Haß-Produzentin“, die jede „Analysefähigkeit“ verloren habe. Man muß eben in diesen Intellektuellenkreisen wissen, was sich gehört und „wo man steht“. Hauptsache ist heute, im Kapitalismus möglichst gemütlich zu überwintern und der Wiederkunft des Sozialismus zu harren.

Wenn man das Buch von Mittenzwei gelesen hat, könnte man glauben, Intellektuelle seien verbitterte Rentner im Wartestand. Der Autor hat sich unterm Etikett des Intellektuellen selbst porträtiert - und er fügt sich damit ein in die ziemlich lange Reihe von Autoren, die schon früher über „den“ Intellektuellen geschrieben und sich dabei immer nur selbst porträtiert haben. „Den“ Intellektuellen gibt es nicht, es gibt nur persönliche Projektionen auf einen geistig-moralischen Idealzustand, den der jeweilige Geistesarbeiter gern für sich in Anspruch nehmen möchte.

Was es in der Wirklichkeit gibt, seit Anbeginn gegeben hat, ist der Stand der „Priester“, neben dem Stand der „Krieger“ (heute: „Politiker“) und dem Stand der „Händler“ (heute: „Unternehmer“). Priester, Krieger, Händler - diese Trias war es, die sich seit Urzeiten aus dem „Volk“ der bieder und unreflektiert Schaffenden heraushob. Die Krieger verwalteten die Polis, schützten und erweiterten sie. Die Händler stellten den Kontakt zur Außenwelt her, tauschten und scherbelten, sorgten für Waren und Nachrichten. Die Priester hatten den Draht nach oben, umgaben das Tun der Krieger und Händler mit einer geistigen Gallertschicht, bewährten sich als Spezialisten des Allgemeinen.

Auch die modernen „Intellektuellen“, die Zolas und Heinrich Manns, die Brechts und Mittenzweis, waren nichts anderes als Priester, und zwar waren es Priester, wie sie beispielsweise manchmal auch schon im alten Ägypten vorkamen: Priester, die sich für die absolut Größten hielten, größer noch als Pharao, die sich für die zweibeinige Wahrheit an sich und überhaupt hielten und daraus einen Herrschaftsanspruch ableiteten. Ihre Berufung auf das Volk war Schwindel, wie ja schon Vilfredo Pareto vor hundert Jahren mit voller soziologischer Schärfe herausgearbeitet hat. Was das Volk „will“, weiß es nicht einmal selbst; wie könnten es dann die Priester wissen?

Jedem der drei Urstände schwebt ein Berufsideal vor, den Kriegern ein Optimum an Macht und Ruhm, den Händlern ein Optimum an Profit, den Priestern ein Optimum an guten Formulierungen, die standhalten. Überideal für alle drei ist die Gerechtigkeit in Form eines gut funktionierenden Gemeinwesens, wo alle in Maßen glücklich sind und der „Haushalt“, um mit Lao-Tse zu sprechen, „so gut im Gange ist, daß er summt“. Berufsideal und Überideal können sich gegenseitig in die Quere kommen, und dann entscheidet sich, wer tugendhaft ist. Der Tugendhafte wird im Zweifelsfall eher dem Überideal als dem Berufsideal nachstreben.

Beim Priester stehen sich Berufsideal und Überideal besonders nahe. Formulierungen, die standhalten, haben sehr viel mit Haushalten zu tun, die summen. Wenn der Priester das Überideal mißachtet, befleckt er sofort auch sein Berufsideal. Er wird von allen Ständen als erster zum verächtlichen Hund. Eine einzige schlechte, als innere Lüge durchschaubare Formulierung genügt, um ihn als Schandmaul kenntlich zu machen, speziell wenn sie durch äußere Umstände „erzwungen“ wird, Ausfluß von Feigheit, Machtstreben oder Besitzgier ist.

Wenn das Buch von Werner Mittenzwei etwas zeigt, so dies, daß in der DDR viele schlechte, feige und wohlfeile Priester unterwegs gewesen sind. Man kann sie im Stile des Buches natürlich ausdrücklich als Intellektuelle apostrophieren, aber wozu eigentlich? Eine Geschichte der Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 bis 2000, auf die wir weiterhin warten, sollte darauf verzichten.


 
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