© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Die Welt hinter den Zahlen
Kino II: „A Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn“ von Ron Howard
Werner Olles

Princeton 1947. John Forbes Nash (Russell Crowe), von seinen Kommilitonen mit mildem Spott als „das geheimnisvolle Genie aus Virginia“ bezeichnet, hat für sein weiterführendes Studium in höherer Mathematik das renommierteste Stipendium erhalten, das die Universität zu vergeben hat. Doch die Vorlesungen in dem ehrwürdigen College langweilen den jungen Mann, der von der Idee besessen ist, eine wahrhaft originelle Theorie zu entwickeln. In einer Studentenkneipe erweckt eines Abends die Reaktion seiner Kameraden auf eine attraktive Blondine an der Bar seine Aufmerksamkeit. Während er die Balzrituale seiner Mitstudenten genau beobachtet, nimmt die Idee, die Tag und Nacht in seinem Kopf herumspukt, plötzlich Gestalt an. Daraus entsteht schließlich seine Forschungsarbeit zum Thema „Spiel- und Entscheidungstheorie über die mathematischen Prinzipien des Wettbewerbs“.

Es gelingt Nash mit dieser Theorie, Adam Smith, den Vater der modernen Wirtschaftswissenschaften zu widerlegen, und er erhält einen begehrten Posten als Forscher und Dozent an der Fakultät für Mathematik. Als der OSS-Agent Parcher (Ed Harris) ihn für einen geheimen Einsatz als Code-Dechiffrierer anwirbt, taucht er mit Leib und Seele in diese anstrengende und gefährliche Arbeit ein. Nach seiner Heirat mit der Physikstudentin Alicia (Jennifer Connelly) stellt sich jedoch schon bald heraus, daß Nash sich seine Arbeit für den Geheimdienst nur einbildet. Seine Halluzinationen werden nun, von Obsessionen und Aggressionen gegen seine eigene Familie begleitet, immer stärker. In einer psychiatrischen Klinik wird der an paranoider Schizophrenie Erkrankte mit Insulinschocks behandelt. Doch auch nach seiner Entlassung dauern die Wahnvorstellungen an. In einem aufreibenden Kampf, nur unterstützt durch die unbedingte Liebe seiner Frau, gelingt es Nash nach langer Zeit, die als unheilbar geltende Krankheit soweit zu überwinden, daß er zu seiner eigenen Normalität zurückfinden kann. Er setzt seine Arbeit fort und wird 1994 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.

Ron Howards („Apollo 13“) Film „A Beautiful Mind“ basiert auf der wahren Lebensgeschichte des Mathematikers John Forbes Nash. Dem in Fachkreisen gefeierten jungen Mann, der eine dramatische Schicksalswende erfährt, als bei ihm im Alter von dreißig Jahren paranoide Schizophrenie diagnostiziert wird, gibt Oscar-Preisträger Russell Crowe („Gladiator“) sehr einfühlsam Gesicht und Gestalt. Es gelingt Crowe nicht nur die perfekte Darstellung eines Wahnsinnigen, der sich als genialer Mittelpunkt einer sowjetischen Verschwörung gegen sein Land sieht, sondern auch die eines hochintellektuellen Autisten, der seinen Seelenfrieden letztlich erst durch die Liebe seiner Frau und nicht durch die Selbstverwirklichung seines Genies bekommt.

Erst als Nash endlich zu erkennen vermag, daß sich die Welt hinter den Zahlen sozusagen nur von innen heraus verstehen läßt, lernt er auch seine Krankheit zu akzeptieren. Damit sind die Dämonen, die er sieht, zwar immer noch nicht verschwunden, aber Nash - und mit ihm die Zuschauer - verstehen sein Leiden jetzt immerhin als Genese vieler unserer eigenen Qualen und Krankheiten.

Diese Perspektive muß allerdings einiges ausblenden, beispielsweise die reale Geschichte von Nash und seiner Frau Alicia, die - folgt man Regisseur Ron Howard - in mancher Hinsicht noch viel tiefgründiger und romantischer war als das Drehbuch von Akiva Goldsman. Tatsächlich wären der mühsame Heilungsprozeß und späte Ruhm Nashs ohne seine Frau wohl unmöglich gewesen. Ihre Beziehung war jedoch alles andere als unkompliziert, beide mußten erst mühsam lernen, sich trotz aller Widrigkeiten als Persönlichkeiten zu akzeptieren. Diese ein wenig einseitige Sicht der Dinge im Film korreliert aber mit der steigenden Differenzierung der Männerfiguren in der neuen „romantischen Welle“ der Hollywood-Filme, denen eine immer gleiche Stereotypisierung der Frauen gegenübersteht. Bei aller Frustration und allem Schmerz schildert Howard den Leidensweg von Nashs Frau als eine Art Abenteuer der Selbsterfahrung.

„A Beautiful Mind“ ist, genau besehen, die wissenschaftlich-intellektuelle Form der melodramatischen Tragödie. Nash, der geniale Mathematiker, scheitert nicht an der traditionslosen Keckheit der amerikanischen Kultur, sondern an der Unausbalanciertheit seiner Gedanken und Gefühle, an denen er zu ersticken droht. Sein Weg in den Wahnsinn ist eine Sackgasse, der aber auch einen kritischen Blick auf die Realität unserer alltäglichen Verkehrsformen und die Unmöglichkeit des Glücks in ihnen gestattet.

Vor diesem emotionalen Hintergrund, vor dieser Absolutheit der Liebe verschwimmen notwendigerweise andere ebenso wichtige Aussagen des Films, die mit gesellschaftlichen Erfahrungen jener Zeit verbunden sind. 1950 landeten die Streitkräfte der USA in Korea, in den Staaten herrschte der McCarthyismus und besetzte den Alltag mit seinen paranoiden Ängsten. 1952 explodierte die erste Wasserstoffbombe, und in der amerikanischen Gesellschaft wuchsen Entfremdung und Furcht, die keinen wirklichen, keinen benennbaren Grund hatten. So gesehen ist Nashs Geschichte die Geschichte vieler Paranoiker, bei denen es allerdings zum Nobelpreis dann nicht gereicht hat.


 
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