© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Vom Zeitgeist diffamiert und geächtet
Ein Nachruf auf den Militärhistoriker Joachim Hoffmann
Markus Meier

Am 8. Februar verstarb der Wissenschaftliche Direktor Joachim Hoffmann in Freiburg im Breisgau nach langem Leiden im 72. Lebensjahr. Mit ihm verliert ein Teil der Historikerzunft einen äußerst geschätzten, sorgfältig zu Werke gehenden Forscher, ein anderer Teil einen Zeitgenossen, der sich mit vielen unbequemen Aussagen zur Geschichte des deutsch-sowjetischen Krieges 1941-1945 einen Namen gemacht hat und dem dafür das Prädikat der politischen Inkorrektheit nicht erspart geblieben ist. Geboren 1930 in Königsberg, der Hauptstadt Preußens, erlebte er als Jugendlicher hautnah den Zusammenbruch der Ostfront mit allen seinen grauenhaften Begleiterscheinungen und mußte vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee so wie Hunderttausende seiner Landsleute die gefährliche Flucht über die Ostsee antreten, die für so viele Vertriebene zum Grab wurde. In Berlin fand er eine neue Heimat. Er nahm das Studium der Geschichte, Osteuropäischen Geschichte und der Vergleichenden Völkerkunde an der Freien Universität Berlin und in Hamburg auf. Im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv unternahm er Quellenstudien über den Grafen Prokesch von Osten, über den er auch dissertierte. Nach seiner Promotion trat er 1960 in das neugeschaffene Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg ein, wo er mit seinem Ausscheiden im Mai 1995 eine beachtenswerte wissenschaftliche Laufbahn beendete. Nach harmonischem Start blieb auch ihm nicht die Auseinandersetzung mit dem damaligen Leitenden Historiker, Manfred Messerschmidt, erspart, die sich insbesondere bei der Abfassung von sehr umfangreichen Beiträgen zum Band 4 des Werkes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ (erschienen 1983) bemerkbar machte. Gemeinsam mit Ernst Klink, Horst Boog, Manfred Kehrig und Hartmut Schustereit bemühte er sich, die militärischen Abläufe und Zusammenhänge an Hand einer äußerst gründlichen Quellenkenntnis und Quellenkritik darzustellen.

Hoffmann arbeitete nüchtern und gründlich

Joachim Hoffmann huldigte keiner vorgefaßten Theorie, sondern ihm galt die Forschung an den Akten, Dokumenten und sonstigen Quellen als die Hauptaufgabe des Historikers. Erst wenn er die Faktenlage nach bestem Wissen und Gewissen und „preußischer“ Gründlichkeit durchdrungen hatte, begann er mit der Interpretation. Da ihn der Umgang mit den Fakten niemlas losließ, erhielt seine Darstellung stellenweise den Anflug von übertriebener Nüchternheit, ohne jedoch an Lesbarkeit einzubüßen. In dieser Beziehung war es ihm wichtiger, die Tatsachen möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben, als einen schwungvollen, dramatisierenden Stil zu pflegen, der letzlich dem Leser ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit vermittelt hätte.

Verdienstvolle Darstellungen zu einigen, meist wenig beachteten Themen erschienen in der Reihe „Einzelschriften zur militärischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ (Rombach Verlag, Freiburg):

„Deutsche und Kalmyken 1942 bis 1945“ (1977), „Die Ostlegionen 1941 bis 1943“ (1981), „Die Geschichte der Wlassow-Armee“ (1984), und „Kaukasien1942/43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion“ (1991).

Von diesen Werken kann insbesondere die umfangreiche Studie zur Wlassow-Armee auf Grund ihrer umfangreichen Quellenbasis und breit angelegten Darstellung heute noch als Standardwerk gelten. In den letzten Jahren des Verstorbenen entstand sein bedeutendstes Werk, „Stalins Vernichtungskrieg“, das seit 1995 in fünf Auflagen erschienen ist (München, Herbig Verlag). Er gibt hierin sein umfassendes Wissen über die Kriegsvorbereitungen der Sowjetunion 1940/41, über den Angriffscharakter des Aufmarsches und über die Exzesse der sowjetischen Kriegsführung, etwa unter Hinweis auf die Haßpropaganda Ilja Ehrenburgs, wieder. Selbst wenn man den Titel „Vernichtungskrieg“ als unpassend und übersteigert ansähe - denn welcher Krieg hätte nicht mit Tötung von Menschen und Vernichtung unzähliger Sachwerte zu tun - so rechtfertigt eine Überfülle von dokumentarisch belegten Fakten diese Bezeichnung.

Daß damit eine neue Sicht des deutsch-sowjetischen Krieges, zur Brutalisierung der Kampfhandlungen seitens der Sowjetunion ohne Rücksicht auf die Leiden der eigenen Zivilbevölkerung unter dem Schlachtruf „Vernichtet die Deutschen wo ihr nur könnt!“ entworfen worden ist, hat dem Autor den Vorwurf des Revisionismus (im eindeutig negativen Sinn), ja sogar des Revanchismus eingebracht. So schrieb etwa Wolfram Wette als Rezensent im Sonntagsblatt vom 22. März 1996 schneidend von einer „Kampfschrift gegen die Wahrheit“. Doch hätte sich zumindest dieser Rezensent, der nicht unerheblich hinter der Arbeitsleistung des Verewigten herhinkt, am fachlichen Können und am Forschungsstreben Hoffmanns ein Beispiel nehmen können, auch wenn zwischen beiden unüberbrückbare geistige Klüfte bestanden.

Ein Vorwurf gegen den Verstorbenen geht sicherlich ins Leere: Dieser hat nämlich nie die während des Krieges verübten Untaten auf deutscher Seite geleugnet oder verharmlost. Er wollte vielmehr mit „Stalins Vernichtungskrieg“ in aller Deutlichkeit vor Augen führen, daß die Sowjetunion vom ersten Tag des Krieges an eine bisher nicht gekannte Barbarisierung der Kampfhandlungen praktiziert hat. Diese könne, laut Hoffmann, somit nicht bloß als Reaktion auf die späteren Unrechtshandlungen der deutschen Seite hingestellt werden und daher als endschuldbar gelten.

Vergleichen gehört zur historischen Wissenschaft

Überhaupt hat es Joachim Hoffmann verstanden, jede Aufrechnung der deutschen mit den sowjetischen Verbrechen zu vermeiden. Das Ausmaß der eigenen Schuld wird nämlich weder kleiner noch größer, wenn man die Schuld der anderen Seite ins Kalkül zieht, und das Vergleichen gehört nun einmal zur historischen Wissenschaft: Wie soll man zu Erkenntnissen gelangen, wenn jeder Vergleich mit dem Makel des Relativierens belegt wird? Niemand tut der Wahrheit Abbruch, wenn er auf die Relativität des Historischen und damit alles Irdischen verweist. Denn die laufende Überprüfung und, wenn erforderlich, Revision des bisherigen Wissens anhand neuer Dokumentenfunde und Forschungsergebnisse sollte für jeden Historiker, der seinem Metier treu bleiben will, Verpflichtung sein. Im Mai 1991 erhielt Joachim Hoffmann in Würdigung seiner bisherigen wissenschaftlichen Tätigkeit die Ehrengabe der Dr.-Walter-Eckhardt-Stiftung für Zeitgeschichte aus der Hand von Alfred Schickel, dem Leiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt. Die Festrede des Geehrten faßte seinen Forschungsstand zum Thema „Neue Erkenntnisse zum deutsch-sowjetischen Krieg 1941“ zusammen.

Insgesamt gesehen hat der Verstorbene ein sehr reiches Œuvre hinterlassen, das nicht frei von Kritik und Einwänden sein mag, das jedoch selbst bei Andersdenkenden, die sich ehrlich um wissenschaftliche Wahrheit bemühen, auf Respekt stoßen wird. Die Gesundheit des Autors hat infolge der langwierigen Kontroversen im Militärgeschichtlichen Forschungsamt nachhaltig Schaden davongetragen. Von dem im Jahre 1987 erlittenen Herzinfarkt hat er sich nie ganz erholt und er litt auch noch nach seiner Pensionierung 1995 an dessen Folgen. Dennoch hat er seine letzten Jahre in geistiger Frische voll Arbeitseifer genützt.

Mit seiner Hilfsbereitschaft in Sachen Zeitgeschichte und seiner stets bescheidenen, offenen Art wird er allen, die ihn persönlich gekannt haben, in Erinnerung bleiben. Wie immer man zur Person Joachim Hoffmanns gestanden haben mag, er wird nach seinem Heimgang erst recht an seinem Werk gemessen werden. Die Wahrheit spricht für sich.


 
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