© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Zurück nach Breslau
Vertriebene: Schlesier suchen die Zukunft
Adrian Sobek

Seit 1951 sind die in Abständen von einem oder zwei Jahren stattfindenden Vertriebenentreffen fester Bestandteil des politischen Lebens. Während zur Zeit über die Benes-Dekrete und die Vertreibung der Sudetendeutschen gestritten wird, fanden in der achtziger Jahren vor allem die Treffen der Schlesier Beachtung. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß trat bei den Schlesiern ebenso auf wie Kanzler Helmut Kohl. Erneut in die Schlagzeilen geriet der Vertriebenenverein bei seinem letzten Treffen 2001 in Nürnberg, als Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bei seiner Rede ausgepfiffen wurde. Der Minister hatte von dem „von Deutschland angezettelten, massenmörderischen Zweiten Weltkrieg“ gesprochen und den Massenmord an den Juden als das „schlimmste Schandmal der deutschen Geschichte“ bezeichnet. Schily hatte die Schlesier aufgefordert, diese historischen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.

Inzwischen kann man feststellen, daß die Zeit der großen Treffen vorbei ist: Wer durch die Hallen der Treffen geht sieht, daß Menschen der Erlebnisgeneration immer weniger werden, und in zwei Jahren dürfte der biologisch bedingte Ausfall noch größer werden. Es müßten andere Wege eingeschlagen werden, um dem traditionsreichen Treffen neue Impulse zu verleihen. Hierzu gehört auch die Wahl des Ortes. Warum sollte man sich nicht in Breslau versammeln? Auf beiden Seiten werden Deutsche und Polen über den eigenen Schatten springen müssen - zu bedenken ist jedoch, daß in den 56 Jahren seit Flucht und Vertreibung die dritte Generation Polens in Schlesien aufwächst, die dort damit selbstverständlich ein Heimatrecht erworben hat. Breslau bietet viele Vorteile: Zum einen entstand in der Bevölkerung Niederschlesiens in den letzten Jahren eine Schlesien-Renaissance; der schlesische Adler ziert als Aufkleber mit dem Satz „Ich bin Niederschlesier“ immer mehr polnische Autos; die Stadt hat sich in den letzten Jahren zu einer Metropole von europäischem Rang entwickelt und mit der Jahrhunderthalle und der Messe verfügt sie über Räumlichkeiten, um solch ein Treffen zu bewerkstelligen. Die Wojewodschaft Oppeln, in der die deutsche Volksgruppe etwa 30 Prozent der Einwohner stellt, ist nur 80 Kilometer entfernt, und auch in Tschechien, in der Gegend um Troppau, ist ein starkes Interesse an Schlesien festzustellen. Seit 1999 gibt es in der Tschechei auch offiziell eine schlesische Nationalität: 50.000 Personen haben sich bereits dazu bekannt.

„Aus alter Wurzel neue Kraft“ - dieser Wahlspruch könnte auch für Schlesiens Jugend neue Bedeutung gewinnen, denn gerade in der Oppelner Region, wo sich inzwischen wie vor hundert Jahren hauptsächlich junge Menschen als Arbeiter in Deutschland, Holland und Belgien verdingen, wäre es wichtig, daß Traditionen wieder lebendig werden, um die Verwurzelung in der Gemeinschaft und der Heimat zu stärken. Es gibt Anzeichen eines Neuanfangs: Politisch spielte die Vertretung des Verbandes der Jugend der deutschen Minderheit in der Vergangenheit keine Rolle, nun haben sie sich mit einem neuen Namen („Rat der Jugend“) neue Ziele gesetzt. Glaube, Sitte, Heimat könnten, der heutigen Zeit angepaßt, beim Neuanfang die tragenden Säulen dieser Gemeinschaft werden.


 
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