© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Ein Refugium in reizvoller Landschaft
Literatur: Die Idylle der Künstlerkolonie Ahrenshoop ist bedroht
Annegret Kühnel

Im Sommer vergangenen Jahres fand in der vorpommerschen Kleinstadt Barth eine auch in der überregionalen Presse beachtete Ausstellung über die Künstlerkolonien in Worpswede und Ahrenshoop statt. Bekannt ist nur Worpswede, wo unter anderem Paula Modersohn-Becker, Heinrich Vogeler und Clara Westhoff wirkten. Letztere war mit Rainer Maria Rilke verheiratet, der 1902 eine vielbeachtete Monographie über das Künstlerdorf verfaßte.

Ahrenshoop hatte keinen Rilke. Die Künstlerkolonie auf dem Darß wurde vom Maler Paul Müller-Kaempf (1861-1941) begründet, der im Spätsommer 1889 erstmals nach Ahrenshoop kam und sich drei Jahre später hier ein Haus errichten ließ. 1897 hatten bereits 15 Maler in Ahrenshoop ihren Wohnsitz und ihr Atelier eingerichtet. Ihnen folgten - auch saisonweise - zahlreiche weitere Künstler, die sich vor der Verstädterung und Industrialisierung in die reizvolle Landschaft zwischen Ostsee und Saaler Bodden zurückzogen.

Im vorliegenden „Künstlerlexikon“ sind alle nur greifbaren Namen und Kurzbiographien der Maler, Schriftsteller, Theaterleute, Wissenschaftler und - mit Einschränkungen - Politiker versammelt, die in Ahrenshoop verweilten. Die Aufenthalte und Lebensläufe von Berühmtheiten wie Gerhart Hauptmann, Bertolt Brecht oder Johannes R. Becher lassen sich verhältnismäßig einfach nachweisen. Schwieriger war es, das Gros jener Künstler, die - oft unverdient - halb oder völlig vergessen sind, darzustellen. Der Autor hat dafür Kärrnerarbeit geleistet und Kataloge, Briefwechsel, Gäste- und Tagebücher gewälzt.

Die Optik des Bandes ist hervorragend, insbesondere die Druckqualität der farbenprächtigen Gemälde. Leider fehlt in den meisten Biographien der Kolonie-Bewohner eine ästhetische Bewertung und kulturgeschichtliche Einordnung. Auch über die Bedeutung von Ahrenshoop als „Intelligenzbad“ der DDR weiß der Autor nichts Erhellendes mitzuteilen. Uwe Johnson, der den Ort 1956 kennenlernte, schrieb in den „Jahrestagen“: „Hier hatte die Regierung der sowjetischen Zone eine Spielwiese eingerichtet für Intellektuelle, die sie für artig ansah, oder benutzbar.“ Auch die Partei- und Staatsbürokratie zog es nach Ahrenshoop.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen hier Peter Huchel und Johannes R. Becher die Gründung der legendären Kulturzeitschrift Sinn und Form. Wenn Schulz schreibt, Huchel habe, nachdem er 1962 bei der SED-Führung in Ungnade gefallen sei, „zurückgezogen“ gearbeitet und gelebt, ist das angesicht der Stasi-Drangsale, denen er jahrelang ausgesetzt war, ein schon zynischer Euphemismus. Der unter dem Pseudonym „Kuba“ mehr berüchtigt als berühmt gewordene SED-Barde Kurt Barthel wird als „Berater des Volkspolizeiensembles“ und „Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes“ verharmlost. Der Autor hat ihm mehr Druckzeilen als Huchel eingeräumt. Nachvollziehbar ist das nicht.

Seit 1990 beseht ein Förderkreis Ahrenshoop e. V., der den Charakter des Ortes als Künstlererkolonie bewahren will. Dem Anfang Februar neu gewählten Vorstand gehört auch Huchels Nachfolger auf dem Chefsessel von Sinn und Form, Sebastian Kleinschmidt, an. Eine der Aufgaben, die der Verein sich gestellt hat, ist die Abwendung eines monströsen Hotelbaus. Entstellungen drohen Ahrenshoop heute nicht vom Konformitätsdruck der Partei, aber von dem des großen Geldes.

Friedrich Schulz: Ahrenshoop. Künstlerlexikon. Verlag Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 2001, 207 S., zahlr. farbige und s/w-Abb., 30 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen