© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Inspiriert und energisch Alternativen denken
Bildung: Das Institut für Staatspolitik veranstaltete seine zweite Winterakademie
Wolfgang Saur

Dem Thema der Globalisierung widmete sich die 2. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS), die vom 21. bis 24. Februar in Thüringen stattfand. Das Phänomen „Globalisierung - Kulturimperialismus“ führte dort rund 40 Jungakademiker zusammen, die drei Tage lang intensiv nachdachten über Schlüsselprobleme wie Universalismus, Relativismus, Menschenrechte, Identitäten, Amerikanisierung, und Macht. Sechs Referate erschlossen dabei zentrale Themen; ergänzt wurden sie durch einen Filmabend („Fight Club“) und einen Lektürekurs mit Texten von Panajotis Kondylis. Karlheinz Weißmann, seinerzeit Freund des Philosophen, leitete neben seinem Vortrag über Samuel Huntington nicht nur diese Seminararbeit, sondern verdeutlichte auch in vielfältigen Beiträgen den konzeptionellen Rahmen der Konferenz.

Historisch betrachtet ist die Globalisierung nicht neu

Die Globalisierung bezeichnet den aktuellen Prozeß mondialer Vernetzung und Integration in ökonomischer, technologischer, kulturell-medialer, institutioneller und politischer Hinsicht. Nach einem historisch weiten Vorlauf unterschiedlicher Internationalisierungen und Universalismen vom Hellenismus an bis hin zu den Entdeckungsreisen und ersten Kolonialisierungen der frühen Neuzeit, setzt die Globalisierung der neunziger Jahre ein neues Paradigma. Es steht im Zeichen eines völlig liberalisierten Freihandels, der US-amerikanischen Dominanz, elektronisch erdumspannender Kommunikation, dem Schwund von Nationalkulturen und der Erosion staatlicher Kompetenzen, den Aktivitäten transnationaler Konzerne als global players, einer neoliberal verschärften Ökonomie und beispiellosen Kommerzialisierung. Motiviert wird dieser Vorgang von einer Konvergenztheorie, die hofft, „wachsende Globalisierung würde zunehmende Egalisierung der Lebensverhältnisse und -ziele nach sich ziehen und somit Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen schaffen, die blutige Konflikte obsolet machen“ (Kondylis). Dies erweist sich zusehends als Illusion. Die „Systemkonkurrenz“ der Blöcke im Kalten Krieg wurde abgelöst durch einen „Standortwettbewerb“ der Regionen und Staaten. Dabei werden die Sozialsysteme der Beteiligten „regelrecht abgekocht“ (Dornbusch). Dem ökonomisch-technokratischen Funktionalismus tritt ein kultureller Imperialismus zur Seite, dessen Hauptträger heute die USA sind. Universal-liberalistisch wenden sie sich an den abstrakten Einzelnen wie die Menschheit im ganzen. Historische Traditionen und konkrete Gemeinschaften werden gleichzeitig als inkompatible Entitäten verworfen. Sie erscheinen irrational und den modernen Prinzipien (Rationalität, Diskursivität, Universalität) nicht zu genügen. Globale Homogenisierung und agressive Fortschrittsdynamik bedeuten dabei ein und dasselbe. Konsequent formuliert daher Francis Fukuyama, das Freiheitsrecht komme nur der liberalen Verfassung zu, nicht aber sozialen Gruppen. „Aus diesem Grund sind Religion und Nationalismus und im weiteren Sinne auch das Geflecht moralischer Regeln, Gebräuche und Sitten eines Volkes (die „Kultur“) traditionell als Hindernisse auf dem Weg zu funktionierenden demokratischen Institutionen und freier Markwirtschaft betrachtet worden.“ So wird „Freiheit“ als Optionsspielraum für Konsumenten konzipiert; man offeriert einen Scheinpluralismus als Multikulturalismus, in dem alle Wahl subjektiv, privat und belanglos bleibt. Universalisiert als Emanzipationsprogramm, erfahren es Völker in Asien und Afrika jedoch als westlichen Kulturimperialismus und Gleichschaltung. Die Menschenrechte dienen dabei als Legitimation für politische Interventionen. Moralische Rhetorik wird dabei innen- wie außenpolitisch als Waffe gebraucht, als Machtmaschine, indem der offensive Agent des „humanitären Fortschritts“ den „Dialog“ in seinem Sinne strukturiert. In dies Themenspektrum führte Götz Kubitschek ein. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf die technologisch generierte Virtualisierung von Erfahrung und die „Verdampfung“ von Raum und Zeit als den vormals existenziellen Grundkategorien der menschlichen Erfahrung. Gegenbewegungen zur „Entortung“ sind angesichts der Krise des Nationalstaats die vielfältigen Regionalismen seit 30 Jahren. In ihrem basisdemokratischen Aspekt ermöglichen sie auch eine gestalterische Einflußnahme von Menschen auf ihre direkte Heimat. Gerade diese Konzepte boten viel Stoff für die anschließende Diskussion, bevor Reinhard Falter sich in seinem Beitrag „Hat die Globalisierung ernsthafte Gegner?“ deren organisierten Kritikern - zum Beispiel der Gruppe Attac - widmete.

Die beiden nächsten Vorträge galten der Rezeption des Globalisierungs- und Imperialismusphänomens in unterschiedlichen intellektuellen Lagern. Tilman Koops widmete sich sozialistischen Theoretikern von Marx bis zum kantianisch gewendeten Habermas („Das Gespenst der Globalisierung“). Verblüffend die scharfsinnigen Analysen Lenins in seinem „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ (1917), denen man prophetische Qualität zusprechen möchte. Er konstatiert dort die Verschiebung der Massengütererzeugung nach Asien und Afrika, den Bedeutungszuwachs der Aktiengesellschaften und Finanzmärkte und schließlich die Konzernbildung international agierender Giganten, die auf dem Weltmarkt um Einfluß ringen.

Die Diskussion führte über Habermas’ Europäisierungskonzept zur Frage nach den Demokratisierungschancen der Union, die pessimistisch eingeschätzt wurden und wieder zurück auf das Grundproblem einer „Einhegung“ des entfesselten Kapitalismus. Mit der Forderung nach einem „Primat der Politik“ verbindet sich, kontrapunktisch zur Chicagoer Schule, eine Rückbesinnung auf John Maynard Keynes(1883-1946); der Staat soll selber als ökonomischer Akteur auftreten.

Der „geographische“ Faktor bleibt bestehen

Martin Papst erläuterte die unterschiedlichen Positionen Jungkonservativer von Spengler bis Hielscher („Antiimperialistisches Denken in der Weimarer Republik“). Vor allem die Nationalbolschewisten lehnten die koloniale Unterdrückung ab, sehr im Unterschied zu den Nationalsozialisten, deren rassistischer Sozialdarwinismus die britische Weltmachtrolle bewundernd akzeptierte und in einem eigenen Großraum imperialistisch zu überbieten hoffte.

Zu einem Höhepunkt geriet der Vortrag von Michael Wiesberg über „Geopolitik - Strategie und Raum“. Anhand der Klassiker führte er in grundlegende Begriffe und Theorien von „politischer Geographie“ und „Geopolitik“ ein und zeigte dann, daß trotz des kommunikativen Virtualismus und der Raumlosigkeit als „Signum“ heutiger Diskurse der „geographische Faktor“ nicht erlischt, sich gar ein semantischer Paradigmenwechsel abzeichnet. Seine Überlegungen mündeten in die Positionsanalyse des ehemaligen US-Präsidentenberaters und Politikprofessors Zbigniew Brzezinski, der mit seinen Büchern das amerikanische Hegemonialstreben umfassend perspektiviert. Im Koordinatensystem von „geostrategischen Akteuren“ und „geopolitischen Dreh- und Angelpunkten“ zeichne sich der Kampf um Eurasien ab.

Neben Fukuyama und Brzezinski figuriert Huntington als philosophisch ambitionierter Diagnostiker und Prognostiker der Gegenwart, dessen Deutungs-„Paradigma“ nun Karlheinz Weißmann vorstellte. Den Autor vom „Kampf der Kulturen“ verortete er zwischen den politologischen Schulen der „Universalisten“ (zum Beispiel Rorty) und „Anarchisten“ (zum Beispiel Kaplan). Antiuniversalistisch und bereit, die Kulturen als irreduzible Größen anzuerkennen, kann Huntington als der „Spengler Amerikas“ gelten. Das Jahr 1989 identifiziert er als „globale Identitätskrise“. Die Blockkonfrontation sei vorbei, ein politisches und kulturelles Universum jedoch nicht realisiert, vielmehr ein „Pluriversum“ entstanden. Weit entfernt, den „Verteilungskampf“ als letzten Konfliktgrund anzusehen, erkennt er vielmehr die Bedeutung der Orientierungsgröße „Identität“ und glaubt an eine spontane Vitalität der Kulturkreise.

Wer das positivistische Elend der Wissenschaften kennt, wird Umschau halten nach Chancen, Erkenntnis im ursprünglichen Sinn zurückzugewinnen. Deshalb sei hier zu Karlheinz Weißmanns gesagt: Dessen Souveränität, historische Betrachtung mit philosophischer Analyse zu durchdringen und schließlich politisch zu perspektivieren, darf heute für besonders gelten. Das gibt dem Denken eine Intensität zurück, die im akademischen Betrieb verschwunden ist, hier aber der Tagungsatmosphäre überhaupt wesentlich war. Gleichzeitig zeigt das intellektuelle Niveau, welche Anstrengung die weltanschaulich ambitionierte Wahrheitssuche heute zu leisten hat. Es darf schon jetzt ein großes Verdienst des Instituts genannt werden, daß es auf den herrschenden Mainstream nicht regressiv, sprich: sektiererisch reagiert, vielmehr inspiriert und energisch eine authentische Überbietung geltenden Herrschaftswissens verwirklicht. Auf folgenden Tagungen sind zunächst die Themen „Geschlechter“ und „Rechts-Links”, sodann „Krieg“, „Ökologie“ und „Medien-Öffentlichkeit“ geplant.

 

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