© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Neue Technologien: Wissenschaftsförderung
Was am Herzen geht, geht auch im Gehirn
Angelika Willig

Der Schlaganfall gehört zu den Tragödien des Lebens. Im schlimmsten Fall wird ein vitaler aktiver Mensch binnen Sekunden zur stummen Puppe degradiert, die ständiger Pflege bedarf und mit den Angehörigen kaum mehr kommunizieren kann. Dieser Zustand ist irreparabel. Die von der Blutversorgung abgeschnittenen Gehirnzellen sind abgestorben - ein für allemal. Ein bißchen Krankengymnastik, etwas Logopädie dienen eher der Gewissensberuhigung. Wenn der Schlaganfall schwer war und viel zerstört hat, hilft kein therapeutisches Bemühen.

Es gäbe nur ein Mittel, den Patienten wieder zurückzuholen. Die betroffenen Hirnregionen müßten durch den Transfer gesunder Nervenzellen reaktiviert werden. Aber wo diese Zellen hernehmen? Dieser Frage hat sich der junge Neurologe Josef Priller verschrieben. An der Berliner Universitätsklinik Charité hat er ein Projekt vorbereitet, das vielversprechend klingt, aber noch sehr viel Forschungsarbeit kosten wird. Im Knochenmark gibt es neben anderen auch eine Anzahl von Zellen, deren Bestimmung noch nicht ausgeprägt ist, und die das Potential haben, sich zu Nervenzellen auszubilden. Diese sogenannten Stammzellen will Priller in das verletzte Gehirn einpflanzen, sie könnten aber auch über das Blut von selbst einwandern. Beide Möglichkeiten müssen verfolgt werden. Sind die Zellen an Ort und Stelle, sollen sie sich spezialisieren und die Aufgaben der ausgefallenen übernehmen. Das ist nicht nur Zukunftsmusik, sondern bereits im einzelnen durchdacht und mit Tierversuchen untermauert. Allein zu Überprüfungszwecken hat Priller ein komplexes Markierungssystem ersonnen. Zum Anschub des Vorhabens kommt ihm ein Preisgeld von 6.000 Euro gerade recht, das die „Novartis-Stiftung“ jedes Jahr an begabte Nachwuchswissenschaftler vergibt. Internationale Aufmerksamkeit bringt der ambitionierte Preis ebenfalls mit sich - für einen deutschen Forscher heute eher die Ausnahme.

Die therapeutische Verwendung adulter Stammzellen ist ein ethisch unproblematisches Gebiet. Keiner wird gegen die Behandlung des Schlaganfalls etwas einzuwenden haben. Und doch verbirgt sich hier vielleicht die größte Gefahr der neuen Medizintechnik. Wenn das Immunsystem zunehmend überlistet und die Transplantation jedes Gewebes zur Routine wird, so wird es immer mehr Menschen mit Defekten geben, die zwar kunstvoll repariert, aber nicht geheilt sind und ständiger Nachbesserung bedürfen. Die Welt wird zu einer Mischung von Krankenhaus und Altersheim. Freuen kann sich darüber vor allem die Pharma-Industrie. Novartis, aus einer Fusion von Sandoz und Ciba Geigy hervorgegangen, ist ein Unternehmen mit 80 000 Mitarbeitern in 140 Ländern und gibt jährlich fast drei Milliarden Dollar für Forschung aus. Prillers Preis ist nicht dabei, denn die „Novartis-Stiftung“ operiert unabhängig - und ganz im Interesse der Menschheit.


 
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