© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Erfolg durch Provokation
Niederlande: Pim Fortuyn und die Bewegung „Leefbaar-Nederland“ haben die etablierten Parteien verschreckt
Nikolaas Vaes / Jörg Fischer

Linke Demonstranten wollten den „niederländischen Haider“ letzten Mittwoch zunächst gar nicht ins Wahllokal lassen, doch der Urnengang in den 458 Kommunen machte ihn nun auch europaweit zum Star: Piet Fortuyn, genannt „Pim“, hat letzte Woche die politische Landschaft der Niederlande aufgemischt. Einen „Ruk naar rechts“ mußte De Volkskrant eingestehen: „Die etablierten Parteien sind völlig sprachlos“, kommentierte das linke Blatt. „Die Staatsfinanzen sind in Ordnung, die große Arbeitslosigkeit ist verschwunden und die Den Haager Regulierungssucht ist eingedämmt“, trotzdem sei Fortuyns Wahlliste bei den Kommunalwahlen stärkste Partei in Rotterdam geworden, wunderte sich der Telegraaf.

Fortuyn ist Soziologie-Dozent in Groningen, raffinierter Kolumnist des international anerkannten Wochenmagazins Elsevier und scharfer Kritiker des Islams. Er ist ein exzentrischer Millionär, fährt eine Luxuslimusine und hat einen Schoßhund wie der Münchner Modezar Rudolf Mooshammer. Der 53jährige war zunächst weit links engagiert, wurde dann Mitglied der sozialdemokratischen PvdA und später der Christdemokraten (CDA), um schließlich in der zunächst in Hilversum und Utrecht entstandenen, schwer definierbaren Bürgerbewegung „Leefbaar-Nederland“ (LN, Lebenswerte Niederlande) die Macht zu übernehmen - und diese „Graswurzelinitiative“ in eine erfolgreiche Wahlkampfmaschine zu verwandeln.

Dieses lange Suchen eines pragmatischen Intellektuellen nach einem politischen Standort ist nur im niederländischen System möglich. Durch die zwei großen Konfessionen der Niederlande und durch die Anwesenheit von sehr verschiedenen protestantischen und kalvinistischen Verbänden und kleinen Parteien ist die politische Landschaft äußerst bunt. Fast jedes Grüppchen ist proportional vertreten, wodurch die politischen Entscheidungsprozesse äußerst schwierig sind. Quasi der Alptraum des Staatsrechtlers Carl Schmitt!

Klare Entscheidungen sind kaum möglich, die Parteien werden zum Selbstzweck. Dazu kommt noch, wie in ganz Europa, die Starrheit der „political correctness“. Eine Sackgasse, wie der Politologe Arend Lijphart von der University of California in San Diego analysierte.

Pim Fortuyn, der sich gern vor seinem Swimmingpool im Bademantel fotografieren läßt und nie ein Hehl daraus gemachte, homosexuell zu sein, hat diese „Sackgasse“ verlassen. Er knüpfte damit - vielleicht unbewußt - an eine wenig bekannte niederländische Tradition an, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den witzig-avantgardistischen „Anarcho-Faschisten“ (Wichmann, Pissuyt, Blokzijl, die Actualisten) lebendig vertreten wurde: gezielte Provokation, freche Ironie, pfiffiger Humor.

Später, in den Sechziger Jahren, wurde diese Art, Politik mit Witz zu betreiben, von den linken „Provos“ übernommen. Nach ungefähr zwei Jahrzehnten des „politisch-korrekten“ Denkens und des liberal-technokratischen Ernstes, bläst jetzt wieder ein ähnlich frischer Wind: Es ist, als hätten sich die „Anarcho-Faschisten“ mit den Achtundsechzigern verbündet. Bissige Ironie sprengt eine erstarrte politische Szene und macht so Alternative wieder möglich.

Und das war eigentlich der erste Schritt zu Fortuyns Erfolg: seine Elsevier-Kolumnen, mit fein gemeißelten aber klar provokativen Argumenten, haben einen Bewußtseinswandel verursacht. Die Entscheidungsunfähigkeit der holländischen Politik ist vielen Bürgern deutlich geworden Wachsende Kriminalität, die Probleme mit Einwanderern, Korruption und Filz - eine Antwort der etablierten Parteien blieb aus.

Mit einer Mischung aus Ironie und dem Aufgreifen der auf allen Ebenen zu spürenden Unzufriedenheit konnte Pim Fortuyn 34,7 Prozent der Stimmen in Rotterdam für sich verbuchen, und damit 16 von 45 Stadtsratsmandate für sich und seine Anhänger erobern. Europas bedeutendste Hafenstadt war einst eine sozialistische Hochburg, aber die PvdA traf nicht mehr den Nerv der Wähler. Alle etablierten Parteien, bis auf die Grünen und die CDA, haben verloren.

Obwohl das Programm von Fortuyn noch unklar ist, so enthält es doch einige Positionen, die das europäische „Establishment“ aufschrecken müßten. Fortuyn plädiert für die Abschaffung des in der Verfassung festgelegten Anti-Diskriminierungs-Artikels. Er agitiert gegen Ausländer und speziell gegen muslimische Einwanderer. 1997 hat er sein programmatisches Buch „Gegen die Islamisierung unserer Kultur - Niederländische Identität als Fundament“ veröffentlicht. Darin kritisierte er, daß die Islamisten nicht die Trennung von Staat und Kirche akzeptieren und deshalb eine Bedrohung seinen.

In einem Interview mit De Volkskrant legte er noch nach: Kein Islamist dürfe künftig mehr ins Land gelassen werden, und die Grenzkontrollen sollten nach Aufkündigung des Schengen-Abkommens wieder eingeführt werden. Fortuyn erinnerte an die durch einen Rotterdamer Imam geäußerten Haßtiraden gegen Homosexuelle - der Islam sei eine „rückständige Kultur“. Ähnliches hatte schon vor Jahren der heutige EU-Kommissar Frits Bolkestein angedeutet - und damit nicht nur in seiner rechtsliberalen VVD für Wirbel gesorgt. Doch Fortuyn geht noch weiter: Das Land sei voll - 16 Millionen Menschen in den Niederlanden wären schon viel zu viel, deshalb sei es unmöglich, noch mehr Asylanten ins Land zu lassen.

Selbst das Haager Kriegsverbechertribunal lies er nicht ungeschoren: „Unsere Jungs und Mädels der Armee werden in Mazedonien eingesetzt, um dort die albanischen Rebellen zu entwaffnen. Das ist aber ein lächerlicher Einsatz! Diese Rebellen werden sich überhaupt nicht entwaffnen lassen, genauso wie die albanische UÇK sich im Kosovo nicht hat entwaffnen lassen“, schieb er im Elsevier. „Das kaum verborgenes Ziel der Rebellen ist klar und deutlich: Sobald Südserbien und Mazedonien erobert sind, sobald das Kosovo und Bosnien ethnisch gesäubert und alle verdammten orthodoxen Christenhunde vertrieben wurden, kann schließlich das Ideal des islamischen Großalbaniens verwirklicht werden“, so Fortuyn. Das ist gewiß keine unrealistische geopolitische Vision.

Nachdem im Januar publik wurde, daß Beamte von VVD-Justizminister Benk Korthals auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol wegen Platz- und Personalmangel Drogenkuriere mit großen Mengen Kokain hatten laufen lassen, forderte Fortuyn „amerikanische Zustände auf Schiphol“. Um den Zellenmangel für Drogenkuriere zu lösen, empfahl er „einen Zwinger hinzustellen, wo zwanzig Mann hineingehen. Die müssen da sitzen bleiben, bis ihre Sache abgehandelt ist. Das schreckt ab, würde ich sagen“. Dem Populismusvorwurf entgegnete er: „Wenn es klar ist und dem Bürger etwas kompliziertes verständlich macht, dann ist es in Ordnung.“

Am 10. Februar hielt LN-Parteichef Jan Nagel das negative Medienecho nicht mehr aus: Fortuyns Forderungen stünden im Widerspruch zum Parteiprogramm - Pim Fortuyn wurde als LN-Spitzenkandidat abgesetzt. Doch die Anmeldefristen für die Gemeinderatswahlen waren verstrichen - Fortuyn blieb in Rotterdam Spitzenkandidat und siegte - LN und Fortuyn konnten trotz getrenntem Antreten noch mehr Stimmen einsammeln als zusammen.

Der Erfolg von Fortuyn ist auch vom „Rechtsrutsch“ durch Pia Kjærsgaard in Dänemark und Carl I. Hagen in Norwegen beeinflußt worden. Pim Fortuyns Wunsch, bei den Parlamentswahlen am 15. Mai zum Premier aufzusteigen, wird wohl ein Traum bleiben. Möglich erscheint jedoch, daß Wim Koks sozialliberale Dreier-Koalition nach acht Jahren ihre Mehrheit verliert und Fortuyn dann als „Joker“ VVD, CDA und LN zusammenführt: Der VVD-Politiker Hans Wiegel plädierte schon dafür, sich wieder vermehrt am rechten Rand zu positionieren, und auch der neue CDA-Chef Jan Peter Balkenende erteilte inzwischen dem Streben nach einer multikulturellen Gesellschaft eine deutliche Absage.


 
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