© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Die Zukunft findet woanders statt
„Unerwartete Rückkehr“: Das neue Stück von Botho Strauß am Berliner Ensemble
Oliver Geldszus

Ein Mann steht auf einem Plateau und beobachtet durch ein Fernglas seine Ehefrau und seine Geliebte unten im Tal - mit dieser Szene beginnt Botho Strauß seine „Unerwartete Rückkehr“. Gemeint ist damit der Ex-Liebhaber seiner Frau, der - rein zufällig, wie sich versteht - beim alten Voyeur vorbeischlendert. In die Jahre gekommen sind sie irgendwie alle in diesem Stück, und schnell wird klar, daß sich hier eher alles um längst Vergangenes denn Gegenwärtiges dreht.

Anders als in seiner letzten Premiere „Pancomedia“, als Strauß eine ganze Heerschar von Schauspielern auf der Bühne verschliß (JF 19/01), beschränkt er sich nun auf ein Quartett. Zwar reden sie sich mit Namen an, doch in den Anweisungen des Autors sind sie lediglich anonyme Funktionsträger: „Der Mann; Die Frau; Seine Geliebte; Der andere Mann“. Für die Premiere am renommierten Berliner Ensemble hat Regisseur Luc Bondy das Beste auf die Bühne gehoben, was die Berliner Theaterszene derzeit zu bieten hat. Peter Fitz - eben noch als Nathan in religiöse Ränke verstrickt - spielt eben jenen „Mann“; ein gealterter Gockel um die sechzig, ein ergrauter Verwaltungsangestellter, der mit putziger Akribie bemüht ist, immer alles im Griff zu haben.

Vor zwanzig Jahren hatte er seine Frau jedoch nicht „im Griff“ als sie mit dem „anderen Mann“ eine Affäre einging. Doch die endete irgendwann in exzeßhaftem Rausch, wildem Sex und Prügelorgien. Und da er sie schon damals regelmäßig observierte, rettete er seiner Frau schließlich das Leben, während sich der Liebhaber aus dem Staub machte. Aus Dankbarkeit kehrte sie reuig zu ihrem Mann zurück, der daraufhin damit beschäftigt war, sie zu quälen und mit wechselnden Geliebten zu demütigen. Dagmar Manzel brilliert in dieser Rolle der leidenden Ehefrau, die sich bei den alltäglichen Erniedrigungen ihrer verhuschten Dienstmädchenexistenz am Katzentisch eine wunderbare Souveränität bewahrt hat. Nina Hoss dagegen in ihrer Rolle als aktuelle Geliebte des Ehemannes beherrscht die wechselnden Nuancen, die ihr ihre Rolle vorgibt: blondes Fräuleinwunder, arrogante Zicke und kreischendes Nervenbündel.

Robert Hunger-Bühler ist allein schon optisch die Idealbesetzung für den in die Jahre gekommenen Liebhaber der späten siebziger Jahre: der einstige „führende Kunsthändler im Westend“ trägt das gelockte Haar noch immer etwas länger im Nacken und kommt nach wie vor mit jener leicht rauchigen Stimme daher, die früher in den alten 68er-Kreisen als besonders chic und geistreich galt. Wie überhaupt in diesem Botho Strauß-Stück wie aus einer fernen Zeit noch einmal die vertrauten Chiffren des alten West-Berlin nachwehen. Da ist von Galerien in der Reichsstraße die Rede, man geht in der Krumme Straße schwimmen und unterhält ein Liebesnest in der Schöneberger Motzstraße. Ausgetrocknetes Biotop West-Berlin mit seiner Dolce-Vita-Seligkeit nach den gescheiterten Utopien der Studentenrevolution und mit seinem satten, sich selbst genügenden Kulturbetrieb! Eine Welt vor allem, die Botho Strauß miterlebt und in seinen Stücken karikiert hat, bis er in den neunziger Jahren auf seinen einsamen Landsitz in die Uckermark flüchtete.

Nach den antiken Stoffen hat sich Strauß nun also wieder den boulevardesken Themen seiner frühen Jahre zugewandt. Was mit „Pancomedia“ im vergangenen Jahr bereits anklang, erreicht mit der „Unerwarteten Rückkehr“ seinen Zirkelschluß. Doch die Zeit wird diesmal nicht mehr mit den Mitteln der Komödie vorgeführt, sie wird nun gerichtet.

Das Scheitern der Liebes- und Lebensmodelle der 68er und ihrer Epigonen steht im Mittelpunkt des zweistündigen Spiels. Und das vor einer merkwürdig unentschiedenen Bergkulisse, die sich nicht sicher zu sein scheint, ob sie Luis Trenker oder Leni Riefenstahl zitieren soll. Irgendwo im Vorarlberg hat sich die Berliner Clique in den Urlaub verirrt. „Chalet“ nennen sie euphemistisch ihren Berghof; doch der Urlaub am Fuße der Alpen wird zum Alptraum, zum Horrorszenario, wenn alle vier auf der Suche nach der Wahrheit übereinander herfallen. Kein Wunder, denn die schlichte Wahrheit ist: sie sind am Ende. Der einstige Lover vom Westend ist nur noch eine rührselige Gestalt ohne Familie und ohne Zukunft. Früher besaß er die „Galerie Mittag“ - nach zwanzig Jahren ist längst der Abend aufgezogen. Der Ehemann - eine an der Grenze zur Lächerlichkeit schwankende Figur, die sich penibel an seiner Frau rächt, die einzige Leidenschaft, zu der er noch fähig ist. Nina Hoss als zeitloser Inbegriff männlicher blonder Phantasien ist, wie es an einer Stelle heißt, „nur der Wind, der durch einen hindurchweht“ - ohne daß etwas bleibt.

Auch diesmal kommt Strauß im Finale nicht ohne mythologischen Rückgriff aus. Ohnehin spiegelt das Quartett auf der Bühne einen menschlich-allzumenschlichen Archetypus wider; das bekannte Muster der menage à trois mit dem Liebhaber als pikanter Zugabe. Er wird in einer absurden Aktion in einen Turm eingemauert - so wie man es in alten Zeiten mit den abgeschlafften Stammesfürsten tat. Mit hinein steigt auch noch die Geliebte des Ehemannes, womit die Probleme jedoch längst nicht gelöst sind. Denn das gemeinsame Einmauern der Gespenster und Versuchungen führt das Ehepaar auch nicht mehr zusammen - sie sind nur noch Leute, die zufällig dieselbe Postadresse haben.

Nicht nur in dieser Szene zeigt sich das neue Strauß-Stück überraschend zahnlos, als würden nicht nur die Figuren ratlos über die Bühne stolpern, sondern auch ihr Autor. Nun könnte man versucht sein, das Ganze politisch zu lesen: die „Unerwartete Rückkehr“ der Vergangenheit in den bundesrepublikanischen Alltag; der Rückruf der Geschichte gewissermaßen an die Front des wahren Lebens, das Ende der bequemen Gemütlichkeit. Dann wären die Figuren mit ihren kleinlichen Problemen und aufgeschraubten Dialogen in der Tat bereits überwunden; Männer der Zukunft sind hier jedenfalls nicht zu bestaunen.

Kein Zufall also, daß es Dagmar Manzel in ihrer Rolle als duldsamer Ehefrau vorbehalten bleibt, die einzig heroische Handlung zu vollführen: Sie befreit die beiden aus dem Hungerturm - womit wir wieder am Anfang wären. Ein stiller Akt der Humanität in dieser arabesken Alpensaga. Geholfen ist damit zunächst einmal niemandem - die Zukunft findet woanders statt.

 

Die nächsten Aufführungen im Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, finden am 16., 17, 24. und 25. März sowie am 1. April jeweils um 20 Uhr statt. Info: 030 / 2 84 08-0


 
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