© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002


Leserbriefe

Zu: „Der rot-grüne Irrweg“ von Michael Paulwitz, JF 10/02

Angst vor der Faschismuskeule

Die Union befindet sich in der Zuwanderungsdebatte bereits heute auf einer Gratwanderung zwischen den Wünschen und Ängsten ihres eigenen Wählerklientels und der eigenen Angst vor dem Gebrauch der Faschismuskeule durch den politischen Gegner. Verhält sie sich „politisch korrekt“, entfremdet sie sich vom eigenen Stammwählerpotential und verliert die Wahl - hat dafür aber einen einigermaßen geruhsamen Wahlkampf erkauft.

Glaubt man Emnid, so sprechen sich 76 Prozent der Wähler gegen mehr Einwanderung aus, selbst 72 bzw. 73 Prozent der SPD- und Grünen-Wähler wollen nicht mehr Zuwanderung als heute. Wie würden diese Zahlen erst aussehen, wenn man den Bürger wirklich frei über die Integrationsproblematik und die Integrationskosten informieren würde? Dabei geht es nicht darum, Ausländer aus Kostengründen abzuweisen, sondern um eine gerechte Verteilung. Wieso müssen die Kommunen und damit die Steuerzahler die Hauptlast tragen, wieso wird die Wirtschaft nicht auch finanziell für die von ihr gewünschte Zuwanderung in die Pflicht genommen? Vorstellbar wäre beispielsweise, daß Unternehmen die Kosten für die schulische Sprachförderung ausländischer Kinder übernehmen, die sich alleine in NRW auf jährlich 65 Millionen Euro belaufen. Wenn wir uns darüber einig sind, daß heute zu wenig für die Integration getan wird, müssen wir unsere Anstrengungen um ein Vielfaches steigern und dabei auch die Zuwanderer und Unternehmen in die Pflicht nehmen.

Wichtig wäre auch eine neue Ehrlichkeit der Parteien gegenüber dem Bürger, indem man einen Kassensturz macht und detailliert darlegt, wo und wieviel Kosten durch Zuwanderung und Integration entstehen und wie man gedenkt, diese in Zukunft aufzuteilen. Die USA, Kanada und auch andere Staaten legen diese Informationen für ihre Bürger offen.

Kontraproduktiv ist dabei Münteferings von vielen Zeitungen nachgebeteter Propaganda-Satz, die Union würde mit der Ablehnung des Einwanderungsgesetzes nur ihre Stammwähler befriedigen und sich aus der Mitte der Gesellschaft fortbewegen. Er stempelt damit 76 Prozent der Wähler als politische Randgruppe ab.

Man muß die Menschen mitnehmen und nicht erziehen. Eine Verheimlichung der Diskussionsgrundlagen ist ein Spiel mit dem Feuer. Es geht nur so lange gut, bis eine Protestpartei „des Kaisers neue Kleider“ enttarnt.

Andreas Schneider, Rheinbach

 

Fehlende Komponente

Es ist schon merkwürdig, wie „angestammte“ Ideologien einer vermeintlichen Gutmenschen-Religion zum Opfer fallen. Die Ökologie der Grünen: Mehr Menschen in einem gegenüber den USA, Kanada und Australien dichtbesiedelten Land sind auch ein ökologisches Problem. Denn sie alle wollen Energie verbrauchen und Auto fahren. Oder wollen die Grünen Einwanderer verpflichten, in autofreie Null-Energiesiedlungen zu ziehen? Grüne, die das erkannt haben, sind wie Gruhl nicht mehr in der Partei.

Die Arbeiterbewegung: Fallende Löhne und Billigjobs sind logische Folge eines Überangebots an Arbeitskräften. Der Lohnabhängige ist in der besten Situation, wenn er jederzeit kündigen kann, weil fünf andere Stellen frei sind. Es ist somit im Sinne der „Kapitalisten“, auf ein williges Heer von Billigkräften zurückgreifen zu können. Historisch waren es daher die US-Gewerkschaften, die vehement gegen hohe Einwanderungsquoten kämpften. Die meisten Rot-Roten und Gewerkschafter haben diesbezüglich ein Brett vorm Kopf. Eine Ausnahme ist Lafontaine.

Es fehlt in der Diskussion die europäische Komponente. Denn jeder Bürger des EWR kann hier bereits jetzt arbeiten oder sich als Selbständiger etablieren. Das Argument, es falle schwer, ausländische Wissenschaftler wegen der „restriktiven“ Gesetze zu bekommen, mag einen wahren Kern haben. Wissenschaftlicher Austausch zu gegenseitigem Nutzen muß möglich sein und hat Tradition - ein Fachkräfteabschöpfen der armen Länder ist jedoch zu vermeiden.

Jens Geissler, Berlin

 

 

Zu: „Ein faules Kuckucksei“ von Kurt Heißig, JF 10/02

Bedingt zutreffend

Die Unschuldserklärung für das tschechische Volk ist für die Vertriebenen eine Zumutung. Wer hat denn die Morde, die Vertreibungen, die Plünderungen, die Folterungen der deutschen Bevölkerung und der in Gefangenschaft geratenen Soldaten der Wehrmacht vorgenommen? Natürlich das Volk der Tschechoslowakei. Hunderttausende unschuldiger Menschen wurden ermordet. Keine Rücksicht auf Frau, Kind oder Greis. Natürlich wurden diese in ihrem Tun von der Benes-Regierung gedeckt und ihre Untaten nicht unter Strafe gestellt. Das trifft auch für Polen und Russen zu und noch viele andere unserer „Befreier“.

Aber das deutsche Volk trifft die ganze Wucht der „Kollektivschuld“ für angeblich zwei Weltkriege. In Deutschland gab es jedenfalls keine von der Regierung geschützten Pogrome gegen Minderheiten, und in meinem Leben habe ich nie erlebt, daß einfache Menschen Tausende auf der Straße ermordeten. Wenn hier irgend jemand der Kollektivschuld unterliegt, dann sind es die Völker, die Vertreibung, ethnische Säuberung und dergleichen geduldet und ausgeführt haben.

Zum Schluß noch eine Frage. Die Völker der Sowjetunion haben es geduldet und gebilligt, daß ungezählte Millionen des eigenen und anderer Völker ermordet und ausgerottet wurden. 75 Jahre lang und auch heute jammern noch viele Väterchen Stalin nach. Sogar in unserem Lande.

Wilhelm Schlegel, Lohmar

 

Keine Entschuldigung

Ich bin Sudetendeutsche. Wir „nemecke svinje“ (deutsche Schweine) wurden aus unseren Häusern mit Schlägen hinausgetrieben und in Lager gesperrt. Im einem Eisenwerk mußten wir zehn Stunden am Tag arbeiten und bekamen einen Teller Wassersuppe für den Tag. Schlafen mußten wir auf harten, verlausten Pritschen. Wer bei der Arbeit zusammenbrach, wurde als Simulant abgeschleppt. Deutsch sprechen war unter Androhung von Prügel verboten. Wir alle mußten eine weiße Armbinde tragen, auf der ein „N“ gedruckt war. Nach zwei Monaten fuhr man uns in Viehwaggons nach Mecklenburg.

Im Mai 2000 erwies uns Vaclav Havel die Ehre seines Besuches. Er durfte über einen roten Teppich gehen, anschließend wurde er mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik ausgzeichnet. Von einer Entschuldigung für die an den Sudetendeutschen begangenen Verbrechen war keine Rede - schon gar nicht von Entschädigung. 

Erwine Lehming, Köln

 

 

Zu: „Ein Nagelkreuz schwebt über Potsdam“ von Steffen Königer, JF 10/02

Armutszeugnis der Kirche

Das Verhalten der evangelischen Kirche in der Frage eines möglichen Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche ist - mit Verlaub - jämmerlich. Nach jahrelanger Ablehnung soll nunmehr „ein gewaltiger, vor kurzem noch unvorstellbarer Schritt“ (CDU Potsdam) getan worden sein. Wirklich?

Ist ein Konzept, das sich ängstlich an das klammert, was der herrschende Zeitgeist als „politisch korrekt“ erlaubt, dieser Kirche würdig? Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn eine synodal abgesegnete Planung nichts Besseres hervorbringt als das Nachäffen englischer „Leitkultur“? (englische Sprache, Beatles-Musik, Coventry-Kreuz).

So kann es auch niemanden wundern, daß im Falle des kritisierten, originalen Turmkreuzes, dessen eigentlicher - nämlich christlicher - Symbolgehalt einer politisierten Kirche nicht mehr bekannt ist, beziehungsweise böswillig falsch interpretiert wird.

Gerhard Marwitz, Lüneburg

 

 

Zu: „Schicksal ist stärker als Gott“ von Günter Zehm , JF 10/02

Freiheit ist eine relative Sache

Der Artikel behandelt einige sehr interessante Aspekte der Religion. Soweit er aber den Monotheismus mit Sklavenmoral gleichsetzt, muß die Frage erlaubt sein, ob bei „Vielgötterei“ die Priester ihren Einfluß nicht ebenso zur Unterdrückung der Gläubigen einsetzen können. Die menschliche „Freiheit“ ist ohnehin eine sehr relative Angelegenheit. Unabhängig von der vor allem im Islam vertretenen Auffassung, daß der Mensch unentrinnbar seinem Schicksal ausgesetzt und damit unfrei ist, muß man auch die weitgehende Abhängigkeit der Menschen von ihren Antrieben und Ängsten berücksichtigen. Wenn sie ihr Fühlen und Handeln nur sehr eingeschränkt rational beherrschen können, sind sie zumindest partiell die „Sklaven“ ihrer Antriebe.

Diese Erkenntnis der eigenen Unfreiheit und Schwäche ist es wohl, die Menschen in allen Kulturkreisen und zu allen Zeiten veranlaßt hat, diese Abhängigkeit durch Meditation oder andere Praktiken zu überwinden und so eine höhere Stufe des Bewußtseins zu erreichen. Auch Religionen steuerten hierzu ihren Teil bei. Besonders ausgeprägt ist dies im Hinduismus und Buddhismus. Aber auch das Christen- und Judentum und der Islam haben mystische Strömungen hervorgebracht. Solche Praktiken, die mit gewaltigen Anstrengungen verbunden sind und eine weitgehende Hingabe an das Göttliche zum Ziel haben, wären wohl nicht durch Jahrtausende hindurch weltweit gepflegt worden, wenn sie nicht mit einer - zumindest subjektiv empfundenen - angemessenen Belohnung verbunden wären. Die Betroffenen beschreiben sie als einen Zustand überwältigender (göttlicher) geistig-seelischer Freiheit, gegenüber der der menschliche Normalzustand als armselige Sklaverei erscheinen muß. Die völlige Unterwerfung unter das Göttliche scheint also - auch wenn dies absurd erscheinen mag - erst zu jener totalen Freiheit (und Erlöstheit) zu führen, nach der sich zumindest unbewußt alle sehnen.

Aber dies liegt auf einer wesentlich höheren Ebene als die oberflächlichen „Dressurmaßnahmen“ kirchlicher Institutionen gegenüber „einfachen Gemütern“. 

Manfred Ritter, Nürnberg

 

Die Welt als Beste aller möglichen

Die alten Völker konnten sich nicht vorstellen, daß das Schicksal gütig ist, und zwar deshalb nicht, weil sie die Jenseitsvorstellung des Christentums nicht kannten (Mein Reich ist nicht von dieser Welt). Daß Gott über jeden menschlichen Begriff hinausgeht und die Vorstellung einer Person nur als die menschliche Form des Glaubens an die Allmacht von den Missionaren gelehrt wurde, ebenfalls nicht.

Wenn Alfred Andersch in „Sansibar oder der letzte Grund“ einen Pfarrer sich über die „Ferne und Härte Gottes“ im klaren sein läßt, muß immer wieder deutlich werden, daß der Calvinismus kein Christentum ist. Auch Goethe war kein Christ mehr, da er nicht an das Mysterium glaubte, daß Gott mit seinem (Heiligen) Geist in Christus menschliche Gestalt angenommen hatte.

Aber Leibnitz hatte das Christentum begriffen, da er die Welt als beste aller möglichen lehrte: Im ständig sich bewegenden Diesseits scheint durch die Naturgesetze Unerbittlichkeit zu herrschen, aber ein Christ und kein Sklave glaubt, daß er im Jenseits bei Gott aufgehoben ist (entsprechend seiner Reue oder seinem Glauben).

Wolfgang R. Thorwirth, Gummersbach

 

Zu: „Designer-Baby als Ersatzteillager“ von Angelika Willig, JF 10/02

Sieg des Lebens

Vor drei Jahren wurde ich plötzlich mit einer Diagnose aus der gleichen Krankheitsgruppe, wie sie dieser englische Dreijährige hat, konfrontiert. Beim Kenntnisstand der Medizin des Jahres 1975 hätte meine Lebenserwartung nur noch sehr wenige Monate betragen. Inzwischen ist die Wissenschaft weiter, und ich laufe wieder Marathon auf Inline-Skatern oder Langlaufskiern. Neben mir im Transfusionsstuhl saß aber damals auch häufig ein 18jähriger Mann, dessen Leben noch gar nicht richtig begonnen hatte. Eine Heilung in seinem Falle war nur vom weiteren wissenschaftlichen Fortschritt zu erhoffen. Ich weiß, daß er noch immer hofft und kämpft. Aus dieser eigenen Erfahrung heraus erscheint mir der Kommentar von Frau Willig als geistig zu eingeengt. Denn die in England getroffene Entscheidung der Eltern für ein zweites Kind ist eine klare für das Leben und gegen den Tod.

Daß der rechte Glaube sich nur auf Beten beschränken läßt, weil aktives Kämpfen und Handeln in diesem Falle des Teufels sei, was soll an so einer Meinung jung und frei sein? Leben heißt kämpfen, und wer nicht bereit ist, für sein Überleben zu kämpfen, der hat kein Recht mehr auf dieser Erde zu leben. Nicht nur als Einzelner, sondern auch als Gemeinschaft. VOLKMAR WEISS, LEIPZIG

Zum Leserbrief „Beitritt trotz Dekreten“ von Regina Hupf, JF 9/02 (Hinweis der Redaktion: In der Ausgabe ist der Name und die Stadt zu unserem Bedauern falsch wiedergegeben worden. Richtig heißt es: Regina Hupf, Lam)

 

Kenntnisse vonnöten

Freilich hätten (und haben) die Sudetendeutschen ihren „Anschluß“ - im Norden und Westen an Deutschland, im Süden an Österreich - liebend gern begrüßt. Aber nicht, „weil man dort zum Mehrheitsvolk gehört“, sondern weil sie in ihrer Heimat selbst das deutsche Mehrheitsvolk bildeten. Ja, bis Tschechische Beamte eingesetzt worden sind, sie praktisch das „Alleinvolk“ waren, und weil sie die Abtrennung von ihren Brüdern und Schwestern durch die Pariser Vorortverträge nicht hinnehmen wollten. Und dies lange vor Hitler und unabhängig von den verschiedensten politischen Strömungen unter ihnen.

Nicht mit dem in München international abgesegneten Anschluß des Sudetenlandes, sondern erst mit seinem Einmarsch in Prag unter der Errichtung des „Protektorats“ war Hitler, die Weltöffentlichkeit erstmals herausfordernd, entschieden zu weit gegangen (siehe „Deutschland war ihr wichtig“, Interview mit Susanne Zeller-Hirzel in derselben Ausgabe, wo im Zusammenhang damit von einem Raubkrieg gesprochen wird). Auch einer Bündnisgrünen schadet es nicht, sich bescheidene geschichtliche Kenntnisse anzueignen.

Hans-Gert Kessler, München

 

Verweigerte Selbstbestimmung

Landesverrat kann ich im Wunsch der Sudetendeutschen, sich Deutschland anzuschließen, nicht erkennen. Sie waren jahrhundertelang selbstverständlicher Teil des Deutschen Reiches und des deutschen Bundes. Sie hätten sich nach dem Ersten Weltkrieg wie Österreich Deutschland angeschlossen, wenn die Alliierten ihnen nicht das Selbstbestimmungsrecht verweigert hätten. Außerdem wurden sie in der Tschechoslowakei unterdrückt. Sie wollten also nur dahin, wo sie immer schon waren.

Weiter freute sich Frau Hupf, daß die Benes-Dekrete Tschechien „die Tür nach Brüssel“ nicht „vernageln“ werden. Deren Aufhebung verlangte das Europäische Parlament am 15. April 1999. Tschechien sollte diese Forderung erfüllen. Es geht hier in der Tat um den Kernbereich der westlichen Wertegemeinschaft, in die niemand ohne klares Bekenntnis in Wort und Tat aufgenommen werden sollte.

Simon Aumeier, Weiden

 

 

Zum Abometer der JF

Leider der Holzweg

Es dürfte einmalig sein, daß eine Zeitschrift auf der Titelseite allwöchentlich peinlich genau ihre Abgänge beziehungsweise Kündigungen preisgibt. Sollte die JUNGE FREIHEIT dabei den Mitleidseffekt im Auge haben, um auf diese Weise neue Leser anzusprechen, gar zu überzeugen, dann befinden sich die Verantwortlichen der Kampagne 2002 auf dem Holzweg, Leider! 

Helmut Schultze, Wachenroth-Buchfeld

 

Zur Blitzumfrage der JF zur Berichterstattung nach dem 11. September 2001:

Debatte kritisch weiterverfolgen

Ich hoffe nicht, daß die Blitzumfrage erfolgt, weil es bei Ihnen in der Redaktion einen Richtungsstreit zu diesem Thema gibt. Ich kann Ihnen nur versichern, daß meiner Meinung nach die JF die Problematik, vor allem was die geistesgeschichtlichen und geopolitischen Dimensionen betrifft, am besten auf den Punkt gebracht hat. Nachdem man die FAZ heute nur noch für pure Fakteninformation benutzen kann und ihr jegliche Vision fehlt (oder sie nicht wagt, diese zu formulieren), kann ich Sie nur inständig bitten, das Thema in der bisherigen Offenheit, Eindeutigkeit und mit scharfer Kritik weiterzuverfolgen.

Europa (die Angelegenheit kann heute nicht mehr von einem Nationalstaat allein gelöst werden, obwohl Deutschland als zumindest geographische Zentralmacht hier eigentlich Vorreiterfunktion übernehmen sollte) muß lernen, sich zu emanzipieren und selbst zu positionieren.

Günter Gottschlich, Tübingen


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