© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Täter können sich ihrer Verantwortung entziehen
Stasi-Akten: Eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wäre dringend erforderlich / MfS-Täter können sich der historischen Verantwortung entziehen
Detlef Kühn

Anläßlich eines von der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur am Montag dieser Woche in Berlin veranstalteten öffentlichen Pressegesprächs hat der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) Vermutungen bestätigt, die Doppeldeutigkeit der das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Falle der Kohl-Akten tragenden Vorschrift des Paragraph 32 Absatz 1 Nr. 3 Stasi-Unterlagen-Gesetzes sei beabsichtigt gewesen.

Laut Schulz war 1991 der heutige Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel, der damalige CDU-Abgeordnete Johannes Gerster, Initiator dieser Formulierung. Man habe damit eine juristische Auffangposition für den Fall schaffen wollen, daß die Stasiakten Politikern gefährlich werden könnten. Eine entsprechende Vermutung war in der vergangenen Woche bereits in der JUNGEN FREIHEIT geäußert worden ( Das große Aufatmen, JF 12/02).

Der Historiker Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität stimmte der Darstellung von Schulz zu, und auch die ebenfalls anwesenden Bundestagsabgeordneten Günter Nooke (CDU) und Markus Meckel (SPD) widersprachen ihm nicht, meinten aber, daß die meisten Abgeordneten damals dieses Manöver nicht durchschaut hätten. Dies mag durchaus so sein; denn gegen die jahrelange Praxis der Gauck-Behörde erhob sich auch im Bundestag kein Widerspruch. Pikant ist nur, daß es ausgerechnet dem „Kanzler der Einheit“, der das Stasi-Unterlagen-Gesetz seinerzeit unterzeichnet hatte, vorbehalten blieb, die juristischen Möglichkeiten in dem Gesetz zu seinen Gunsten zu entdecken und zu nutzen.

Wie kann nun der befürchtete Schaden für die Aufarbeitung der deutschen Zeitgeschichte, bei der ja angesichts der vielfältigen politischen Verflechtungen nie sauber zwischen DDR und Bundesrepublik unterschieden werden kann, begrenzt werden? Daß es zu der von dem Vorsitzenden des Bundes der Stalinistisch Verfolgten, Hans Schwenke, in einem offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten geforderten baldigen Novellierung des Gesetzes kommt, ist nicht zu erwarten. Darin soll der Halbsatz in Paragraph 32 ersatzlos gestrichen werden, der die Herausgabe von Akten über Personen der Zeitgeschichte praktisch nur dann zuläßt, wenn diese offizielle oder inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. Niemand von den in der Stiftung Aufarbeitung anwesenden Abgeordneten mochte dafür angesichts der Stimmung in den Fraktionen seine Hand ins Feuer legen. Die CDU erhofft sich das Heil von einer Anhörung von Sachverständigen Ende April. Ihr Abgeordneter Nooke mußte sich von seinem SPD-Kollegen Meckel zurecht vorhalten lassen, damit werde offenbar erst einmal auf Zeit gespielt. Aber auch dieser vertritt in seiner Fraktion nur eine Minderheit. Der innenpolitische Sprecher der SPD, der Abgeordnete Dieter Wiefelspütz, hat schon erklärt, er könne sich eine Novellierung des Gesetzes, die die bisherige Praxis der Birthler-Behörde wiederherstelle, nicht vorstellen.

So bleibt denn vorerst nur die halbwegs reale Hoffnung, daß wenigstens der besonders skandalöse Paragraph 14 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durch eine Novellierung noch vor der Bundestagswahl beseitigt oder zumindest in seiner Wirkung zeitlich heraus geschoben wird. Nach dieser Vorschrift müssen „auf Antrag Betroffener und Dritter“, also aller Menschen, die nicht hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS waren, zu ihrer Person geführte Unterlagen nicht nur zurückgehalten sondern sogar dauerhaft anonymisiert oder gar vernichtet werden. Damit hätten dann alle Staatsfunktionäre außerhalb des MfS eine reale Chance, sich ihrer historischen Verantwortung endgültig zu entziehen. Das wäre einmalig in der Geschichte des Archivwesens. Man muß sich nur einmal vorstellen, ein solcher Vorschlag wäre in bezug auf Funktionsträger des NS-Regimes gemacht worden!


 
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