© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Kritisieren bis zur Zersetzung
Das Buch vom „Tod des Westens“ sieht in der „Kritischen Theorie“ die Ursache des Niedergangs
Michael Wiesberg

In seinem Mitte Januar 2002 in den USA erschienenen und inzwischen dort heftig diskutiertem Buch „The Death of the West“ setzt sich der einstmalige Präsidentschaftskandidat und profilierte konservative Publizist Patrick J. Buchanan mit den Ursachen dessen auseinander, was er den Verfall oder den Niedergang der Vereinigten Staaten respektive des Westens nennt. Buchanans Kernthese lautet, daß die westlichen Gesellschaften trotz des weitgehenden Verschwindens des Marxismus sowjetischer Lesart im Dunstkreis eines kulturellen Marxismus verblieben sind, der die Freiheit negiere und die Zukunft des Westens bedrohe.

Das Ergebnis war eine politisch-korrekte Lehre

Diese Bedrohung hat nach Auffassung von Buchanan durch das unheilvolle Wirken einer Institution, die 1933 an der Columbia Universität gegründet wurde, eine inzwischen tödliche Geschwindigkeit erreicht. Buchanan meint mit dieser Institution das „Institut für Sozialforschung“, das später als „Frankfurter Schule“ weltweit bekannt geworden ist. Die zerstörerische Lehre der „Frankfurter Schule“ sei, so Buchanan, offensichtlich und bereits bei einer oberflächlichen Lektüre ihrer Primärquellen feststellbar. Insbesondere vier Repräsentanten dieser Schule werden namhaft gemacht: Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Wilhelm Reich und Herbert Marcuse. Deren Ideen, die im akademischen Geistesleben schnell Widerhall gefunden hätten und von Publizisten und Journalisten verbreitet worden seien, hätten zu dem geführt, was Buchanan den „politisch-korrekten Katechismus“ heutiger westlicher Meinungsmacher nennt. Die Ursprünge der Strategie zur Zerstörung der geistig-kulturellen Grundlagen der USA, die von der „Frankfurter Schule“ rezipiert worden sein soll, verortet Buchanan in den Schriften des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. Dieser habe sehr schnell realisiert, daß ein Sieg des Sozialismus nur über die kulturprägenden Institutionen der USA errungen werden könnte. Also müßten deren Institutionen infiltriert und zersetzt werden.

Im Ansatz der „Frankfurter Schule“, die heute unter dem Leitbegriff „Kritische Theorie“ firmiert, sieht Buchanan nicht mehr und nicht weniger als eine „zerstörerische oder zersetzende Kritik an allen wesentlichen Aspekten der westlichen Kultur“. Die „Kritische Theorie“ diffamierte und attackierte aus der Sicht von Buchanan alles, für das der Westen positiv steht. Im gleichen Maße soll allem, was von „progressiven“ Staaten oder Gruppierungen ausgegangen sei, zum Beispiel Josef Stalin, applaudiert worden sein.

Das ständige Getrommel der „Kritischen Theorie“ sei ursächlich verantwortlich für den „kulturellen Pessimismus“, der dann entstehe, wenn junge Menschen mit Haß auf die eigene Gesellschaft, die ihnen alle Möglichkeiten für einen erfolgreichen Lebensweg zu eröffnen suche, erzogen würden. Diese Haltung charakterisiere heute viele Linke in den USA, die in Wohlstand und Sicherheit lebten, der US-Gesellschaft aber dennoch mit Geringschätzung und Verachtung begegneten. Mit Verblüffung stellt Buchanan das Ausmaß fest, mit dem die westlichen Gesellschaften angeblich sowohl die „Kritische Theorie“ als auch den kulturellen Pessimismus internalisiert haben sollen.

Erich Fromms „Die Furcht vor der Freiheit“ sowie Wilhelm Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“ und „Die sexuelle Revolution“ sind aus der Sicht von Buchanan Schlüsseltexte der „Kritischen Theorie“. Adornos Text „Die autoritäre Persönlichkeit“ zählt Buchanan zu den „Altartafeln der Frankfurter Schule“; die zentrale These des Textes lautet, daß jeder, der von der Mittelschicht geprägt und konservativ-christlichen Werten verpflichtet sei, ein Rassist oder Faschist sei. Buchanan zitiert in diesem Zusammenhang Charles Sykes, Dozent am Zentrum für politische Wissenschaft in Wisconsin, der die Auffassung vertritt, daß Adornos Buch eine kompromißlose Anklage der bürgerlichen Gesellschaft sei. Das, was bis dahin lediglich als „altmodisch“ kritisiert worden sei, wurde bei Adorno entweder für faschistisch oder seelisch gestört erklärt. Diese verleumderische Anklage der amerikanischen Gesellschaft könne nach Sykes mit Hitlers verleumderischen Anklage der europäischen Juden verglichen werden.

Von der „Frankfurter Schule“ stamme auch der Gedanke der „Bewußtseinsveränderung“ als ein Instrument, um den Charakter einer Kultur zu verändern. Dieses Instrument habe die amerikanische Auffassung darüber verdrängt, was ein rationales philosophisches Argument sei. Buchanan erklärt diesen Verdrängungsprozeß als Ursprung des „therapeutischen Staates“, der den Begriff der Sünde als Krankheit umdeutet und das Verbrechen als unsoziales Verhalten. Der Psychiater habe im Zuge dieser Umdeutungen den Priester ersetzt. Aus der Sicht von Adorno und seiner Mitstreiter, das meint Buchanan bei deren Texten herauslesen zu können, seien alle Amerikaner, die sich den Moralvorstellungen der „Kritischen Theorie“ verweigerten, geistig krank und behandlungsbedürftig. Wohin dieser Ansatz führe, habe man in der Sowjetunion studieren können, wo Millionen als „Geisteskranke“ und „Asoziale“ in den Gulags dahinvegetierten oder sterben mußten.

Herbert Marcuse bezeichnet Buchanan als „Dudelsackpfeifer“ der sechziger Jahre. Er forcierte die Entwicklung hin zum „Coming out“ einer radikalen Jugend, von Feministinnen, schwarzer Militanz, Homosexueller, von Dritt-Welt-Revolutionären, kurz: von allen angeblichen „Opfern“ des Westens. In „Eros und Zivilisation“ habe Marcuse zu ungezügeltem Sex und Drogenkonsum ermutigt und jede moralische oder kulturelle Ordnung verworfen. Darüber hinaus hätte er eine „Erziehungsdiktatur“ propagiert, die durch Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts und Toleranz gegenüber Bewegungen von links gekennzeichnet sei. Wenn die Linken von Toleranz sprächen, so Buchanan, meinten sie nichts anderes als die fragwürdige Toleranz im Sinne Marcuses.

Zum Teil überzieht Buchanan seine Analyse

Auch wenn Buchanan an der einen oder anderen Stelle in seiner Polemik überzieht: er hat mit seiner Analyse über die Gründe des Niederganges des Westens eine wichtige Diskussion ausgelöst, die hoffentlich nicht nur auf die USA beschränkt bleibt. Buchanan rekurriert, versucht man eine Art Quersumme seiner Bemühungen zu ziehen, auf die Idee eines Fortschritts, wie sie zu Beginn der Begründung der Vereinigten Staaten einmal bestanden hat. Dieser Fortschritt fußte nach Hannah Arendt nicht auf Erzwingung der Gleichheit, sondern auf der Verwirklichung der Freiheit und steht danach im Widerspruch zu dem, was große Teile der europäischen Linken heute vertreten, deren intellektueller Horizont bei Buchanan wohl mehr oder weniger mit den Vorstellungen der „Frankfurter Schule“ zusammenfällt. Buchanans Thesen kranken allerdings an der maßlosen Überschätzung des Einflusses der „Frankfurter Schule“, was ihn für seine Kritiker angreifbar macht. Diskussionswürdig bleibt freilich der Kern seiner Bemühungen: nämlich ohne weitere Umschweife von der Bedrohung des Bestandes der westlichen Gesellschaften aufgrund ständig zunehmender Überalterung und Massenzuwanderung zu sprechen, deren Ursachen zu benennen und eine grundsätzliche Umkehr zu fordern. 


 
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