© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Wehrdienstverweigerung per E-Post möglich
Cebit: Aus Mangel an technischen Innovationen wurde auf der IT-Messe in Hannover bemühter Optimusmus verbreitet
Ronald Gläser

Für den Bundeskanzler ist die Cebit ein Heimspiel. Allen Wirtschaftspro-gnosen zum Trotz kündigt er in seiner Heimatstadt den Aufschwung an. Die Branchenvertreter gaben sich auf der Technologiemesse eher bedeckt. Sie hoffen, das Ende der Talsohle erreicht zu haben. Ein Unternehmer, der Software vertreibt, äußerte sich sogar neidisch über einen „cleveren Konkurrenten“. Dieser habe der Cebit-Leitung kurzfristig abgesagt und sei trotzdem im Ausstellerverzeichnis aufgeführt. Das sei Marketing zum Dumpingpreis, so der Aussteller.

Und in der Tat wirkt die Cebit sogar am Wochenende weniger überfüllt als in den zurückliegenden Jahren. Sogar die Verkehrsstaus auf den Messezubringern sind bislang ausgeblieben. In den ersten vier Tagen besuchten 350.000 Menschen die Technologiemesse. Während diese Zahl konstant blieb, sank die Zahl der vor Ort Beschäftigten um 20.000 oder rund 14 Prozent.

Der Anteil der Fachbesucher war in den ersten Tagen jedoch mit neunzig Prozent exorbitant hoch. An der Messe kommt man in der Telekommunikations- und der Informationstechnologiebranche nicht vorbei. Firmen, die auf die eine oder andere Art mit Kommunikation zu tun haben, dominieren eindeutig die Messe.

Das Interesse konzentriert sich hier auf die neue Mobilfunkgeneration UMTS. Zwar stellen immer mehr Beteiligte den Nutzen der neuen Übertragungstechnik in Frage, doch die Kosten für die neuen Lizenzen waren einfach zu hoch. Den Anbietern des UMTS-Standards bleibt nur die Flucht nach vorn. Sie müssen die neuen Medien gewinnbringend vermarkten.

Dazu gehört zunächst, daß endlich UMTS-Geräte gezeigt werden können, die das neue Produkt materialisieren. Am leichtesten haben es hier Telefonhersteller aus Fernost. Während europäische UMTS-Netze noch in der Testphase sind, sind sie in Japan bereits betriebsbereit. Ähnliche Mobilfunksysteme laufen in Nippon seit geraumer Zeit erfolgreich.

Somit hat beispielsweise NTT Docomo einen erheblichen Erfahrungsvorsprung vor seinen Mitbewerbern. Der japanische Konzern hat daher auch den besten Messeauftritt und kann Handys der neuen Generation vorführen. Zwar passen manche der Geräte kaum mehr in eine durchschnittliche Handtasche. Aber sie ermöglichen es, den Gesprächspartner auch per Bildschirm sichtbar zu machen - vorausgesetzt, er hat auch ein solches Handy.

Einzig Eplus hat sich weit vorgewagt und ein ähnliches Produkt gestartet: Der I-Mode ist mit 31 Millionen Kunden in Japan ein Verkaufsschlager. Die Technik kommt von NTT Docomo und darf als Testlauf für UMTS gelten. Selbst wenn I-Mode ein Nischenprodukt bleibt, etablieren sich japanische Hersteller dadurch zunehmend auf einem von europäischen Firmen geprägten Markt. Den Telekommunikationsfirmen aus Europa fehlen einerseits die Ideen, andererseits das Geld. In einigen Konzernzentralen kursieren bereits Gedankenspiele, wie man die UMTS-Lizenzgebühren zurückbekommen kann.

Neben rechtlichen Schritten wird ein „runder Tisch“ gefordert, der staatliche Subventionen und Aufträge sichern soll - ganz im Stil der „old economy“. Die Starttermine wurden bisher immer weiter verzögert. Telefongesellschaften und Gerätehersteller schieben sich deswegen den schwarzen Peter zu. So behauptet Motorola, kein Netzbetreiber wolle die Geräte haben, die das Unternehmen sofort in großen Stückzahlen produzieren könne. Dagegen schätzt der hierzulande eher unbedeutende Handyproduzent Toshiba, bald zu den größten fünf Anbietern zu gehören.

Symptomatisch erschien dagegen die Präsentation der multimedialen Alleskönner bei Mobilcom. Der UMTS-Anbieter in spe zeigte Nutzern neue Funktelefone unter der Überschrift „Erleben, wie UMTS den Tag verschönert!“ Die Wartezeit, bis das Gerät endlich ein buntes Bild aufbaute, legte eher den Slogan „Erleben, wie UMTS die Zeit vertreibt!“ nahe.

Der Bundeskanzler besuchte indes die Stände großer Konzerne wie Microsoft oder Deutsche Telekom. Er erkundigte sich beispielsweise nach neuen Spracherkennungssystemen. Solche Programme ersetzen die Eingabe von Texten oder Befehlen über die Tastatur. Mit dieser habe er, Gerhard Schröder, nämlich so seine Probleme. Ob derlei Formschwächen den „Green Card“-Hilferuf nach den „Computerindern“ vor zwei Jahren verursacht haben, sei dahingestellt. Der SPD-Politiker stellte auch seine neue Internetpräsenz vor. Dort präsentiert sich der Niedersachse wie gewohnt als Kanzler der Spaßgesellschaft. Unter anderem stellt er sich neuerdings als „Kanzler für Kids“ dar.

Otto Schily setzt sich dafür mit ernsten Aspekten des täglichen Lebens auseinander. Er zog eine Zwischenbilanz der „E-Government-Initiative“. Damit ist die Verlagerung von Behördenaktivitäten ins Internet gemeint. Öffentliche Einrichtungen sollen via elektronischer Post erreichbar sein. Behördengänge würden dadurch obsolet, die staatliche Effizienz dürfte sich nachhaltig steigern. Als Beispiele führt der Innenminister Anträge auf Wehrdienstverweigerung oder Wirtschaftsförderung an.

Bis auf das Schlagwort ist „E-Government“ ein lobenswerter Vorstoß. Aber die Cebit ist ohnehin ein Mekka der Anglizismen. In vielen Fällen mag dies auch sinnvoll oder unvermeidlich sein. Manche Wortschöpfungen sind aber an Skurrilität nicht mehr zu überbieten. Eine Telefongesellschaft bietet ihren Kunden eine Konferenzschaltung mehrerer Kunden unter dem Namen „Conferencing“. Und die Hauptstadt behauptet von sich: „Berlin makes IT better.“

Noch besser soll es im kommenden Jahr laufen: Die Deutsche Messe AG will vom 18. bis 20. Juni 2003 in New York die erste „Cebit america“ veranstalten. Man hofft auf 425 Aussteller und bis zu 50.000 Besucher. Die etablierte nordamerikanische IT-Messe Comdex fürchtet Cebit-Messechef Ernst Raue nicht.


 
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