© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Blasen aus dem Sumpf
Reimer, Schleimer, Feimer: Drei ehemalige Stasi-Schriftsteller greifen in die Tiefe ihrer Erinnerungen
Andreas Wild

Gleich drei ehemalige Mitarbeiter der verflossenen DDR-Stasi haben jetzt ihre Memoiren, bzw. Pseudo-Memoiren auf den kapitalistischen Buchmarkt geworfen, keine kleinen Fische, sondern hochrangige Beobachter und Beeinflusser des nationalen und internationalen Kulturlebens, jeder ein As auf seinem Gebiet: Sascha Anderson (48), Fritz Rudolf Fries (66), Hermann Kant (75).

Fries war Präsident des PEN-Zentrums der DDR und langjähriger Reisekader mit Schwerpunkt Spanien und Lateinamerika, spitzelte PEN-Kollegen aus, operierte als internationaler Delegierter heimtückisch gegen Andrej Sacharow und die russischen Dissidenten. Anderson baute im Auftrag der Stasi eine ganze fiktive existentialistische Literaturszene in Ost-Berlin auf, um Dissidenten unter Kontrolle zu bekommen, reiste später nach West-Berlin aus und lieferte von dort weiter fleißig Berichte an die Normannenstraße. Kant brachte es gar zum Mitglied des Zentralkomitees der SED, nachdem er jahrzehntelang als Redakteur, Antifa-Bauchredner und Schriftstellerpräsident der Stasi zu Diensten gewesen war.

Über alle drei Herren existieren umfängliche Täter-Akten der Gauck-Behörde, gegen die sie nun eifrig anzuschreiben versuchen. Ihre Bücher sind weniger für Literaturfreunde als für Psychologen und Theologen interessant. Wie schreibt ein als Oberschlapphut und Chefdenunziant tätig gewesener Schriftsteller nach seiner Enttarnung? Kann er überhaupt noch schreiben? Schreibt er vielleicht sogar besser als früher, als er seine Feder gleichzeitig für ein öffentliches Publikum und für die privilegierten Leser von der unsichtbaren Front in Bewegung setzen mußte?

Nun, von „besser schreiben“ kann in keinem der drei Fälle die Rede sein. Der Zwang, sich zu den offenbarten Taten irgendwie zu „verhalten“, irgendwas zu „erklären“, verdirbt anscheinend den Stil. Man wird entweder zum Reimer, zum Schleimer oder zum Feimer, und keine dieser Figuren ist sonderlich lesbar.

Fries ist der Reimer. Er möchte sich einen Reim auf die Geschehnisse machen, sie derart in die Biographie einordnen, daß sie sie nicht allzu schwer beschädigen, so daß das Ganze am Ende so etwas wie einen hübschen Abzählvers ergibt, „Hänschen klein ging allein...“ Fries „beichtet“ seine Taten, so wie er seine amourösen Seitensprünge „beichtet“, das heißt im selben Atemzug mißbilligt und doch auch verklärt.

Gewiß, man schwärzt seine Kollegen nicht beim Geheimdienst an, das ist nicht fein. Aber was hätte denn er, Fries, in seiner Lage machen sollen? Er wollte endlich auch einmal reisen dürfen, in die originalen Tiefen der geliebten hispanischen Lebenswelt eintauchen. Der Preis dafür war der Pakt mit dem Teufel, und dieser Teufel war ja gar nicht so schlimm, wie es heute immer hingestellt wird. Der Führungsoffizier war „hochgebildet“. Und sei nicht durch die Zusammenarbeit ein respektables Lebenswerk entstanden, soundsoviele Bücher, Hörspiele, Fernsehauftritte, Dichterlesungen? Sie werden alle sorgfältig aufgezählt, die Bücher, Hörspiele, Auftritte. Da funktioniert die Erinnerung perfekt.

Sascha Anderson ist der Schleimer. Auch er zählt zunächst einmal alle seine kulturellen Großtaten auf, mit derselben Larmoyanz und Gründlichkeit wie Fries. Was aber die (sehr viel weniger exakt erinnerten) Untaten betrifft, so macht er sich darauf keinen Reim, sondern er steigt hinab in die Abgründe der verkorksten Kindheiten und klebrigen Jünglingsträume, denen die einsame Seele namens Klein-Alexander von Anfang an hilflos ausgeliefert war. Die menschliche Existenz, so erfahren wir, ist ein Geworfensein, wir werden irgendwie alle mit dem Klammersack gepudert, und wer daraus, wie Sascha, ein raffiniertes Maskenspiel zu machen versteht, der verdient nicht nur Schelte, sondern auch Lorbeer.

Hermann Kant ist der Feimer. Es gibt das schöne, kräftige Wort „abgefeimt“ (für zynisch, hinterhältig, kaltblütig, mit vielen Wassern gewaschen), und daraus läßt sich das Wort „feimen“ ableiten, das die abgefeimten Eigenschaften in Taten und Worte verwandelt, so wie es Kant tut. Sein Buch kommt als „Roman“ daher, aber es ist nur eine weitere der wortreichen Abgefeimtheiten, die man von ihm gewohnt ist, eine hinter fiktiven Schleiern praktizierte Selbstentblößung, die freilich nicht die Spur von Selbsteinsicht, Abrechnung, Geistesausmistung enthält.

Manchen macht es eben Spaß, Katzen lebendigen Leibes auf Bretter zu nageln und nächste Verwandte und Kollegen hinterrücks gegeneinander zu hetzen. Denen geraten in der Erinnerung auch noch die finstersten Wegstrecken zur „besonnten Vergangenheit”, derer man am besten im Stile alter Kameraden gedenkt. Weißt du noch, wie wir (pardon: wie sie) damals den und den fertigmachten? Wie der und der ganz plötzlich außer Sichtweite geriet? Die Blödmänner waren ja selber schuld, warum mußten sie so quatschen, wo es ein verstecktes hämisches Grinsen doch auch getan hätte? Wer kein Schuft ist, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Fetzen um die Ohren fliegen.

Einige Kritiker halten die neuen Bücher von Fries, Anderson und Kant für Bestandteile einer literarischen DDR-Nostalgiewelle. Dazu muß man sagen: Eine solche Nostalgiewelle hätte nicht einmal die DDR verdient. Was F., A. und K. aufgeschrieben haben, ist weder Nostalgie noch Welle, es ist bloßer Sumpf, aus dem blubbernde Blasen aufsteigen. 

Fritz Rudolf Fries: Diogenes auf der Parkbank. Erinnerungen. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2002, 320 Seiten, 18 Euro

Sascha Anderson: Sascha Anderson. DuMont Verlag, Köln 2002, 304 Seiten, 19,90 Euro

Hermann Kant: Okarina. Roman, Aufbau Verlag, Berlin 2002, 463 Seiten, 22 Euro


 
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