© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Konstanten der Macht
Wie die USA die führenden Industrienationen "beaufsichtigen" wollen
Michael Wiesberg

Daß die jüngsten Drohungen der USA in Richtung Irak auch mit einer neuen Verteidigungsdoktrin Washingtons im Zusammenhang stehen, ist den meisten Kommentatoren in Deutschland offensichtlich entgangen. Ende Januar kündigte US-Verteidigungsminister Rumsfeld vor Studenten der National Defence University in Washington eine Neuakzentuierung der militärischen Strategie der USA an. Das neue Ziel sei eine wirksame Politik der Abschreckung auf vier Konfliktherden gleichzeitig. Die USA müßten in der Lage sein, in möglichst kurzer Zeit zwei Aggressoren gleichzeitig niederzuwerfen. Parallel müßten sich die Vereinigten Staaten die Option für eine massive Gegenoffensive offenhalten. Ziel dieser Gegenoffensive müßte die Besetzung der Hauptstadt eines dieser Aggressoren sein, dessen Regime dann zu eliminieren sei.

Diese neue Doktrin knüpft an die 1991 von der damaligen Regierung Bush ausgegebenen Parole von den "zwei großen regionalen Konfliktherden" an. Rumsfeld hat diese Doktrin jetzt von zwei auf vier mögliche Konfliktherde erweitert. Der US-Verteidungsminister zählte zum Lager der Feinde der USA terroristische Organisationen mit globalen Aktionsradius sowie Staaten, die diese Organisationen unterstützten. Als besorgniserregend bezeichnete er die Verbindung zwischen "terroristischen Netzwerken" und "terroristischen Staaten", die die Möglichkeit hätten, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang müßten, so Rumsfeld, auch Angriffe auf US-Einrichtungen im Weltraum, elektronische Angriffe auf Informationsnetzwerke ins Kalkül gezogen werden.

Die Akzentverschiebungen, von denen Rumsfeld sprach, sind kompatibel mit dem Kern der aktuell gültigen Lehre, die auf die Formel "Revolution in military Affairs" (RMA) gebracht werden kann. Im Mittelpunkt steht hier der Einsatz von weitreichenden Hochpräzisonswaffen, die ständige Kommunikation über mögliche Feindziele und die Verhinderung der Entfaltung der feindlichen Streitkräfte. Die RMA-Doktrin kreist um das Ziel der "strategischen Kontrolle" als Dreh- und Angelpunkt der US-Verteidigungspolitik. "Strategische Kontrolle" meint die Möglichkeit, ständig über die Situation des Feindes informiert zu sein. Dazu gehört auch die sukzessive Unterminierung seiner Kampfkraft durch "chirurgische Luftschläge" auf militärische, industrielle und andere relevante Ziele. Es geht also darum, das Potential zu zerstören, das es dem Feind ermöglicht, Krieg zu führen und ihn damit zum Rückzug oder zur Kapitulation zu zwingen.

Daß dieses Konzept nur Sinn ergibt, wenn die USA weiter ihre globale Hegemonie aufrechterhalten können, liegt in der Natur der Sache. Die Prinzipien dieser Hegemoniesicherung wurden in einer unter der Führung des gegenwärtigen stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz erstellten Richtlinie festgeschrieben, deren Inhalte 1992 durchsickerten. Der wesentliche Inhalt dieser "Defense Planning Guidance" lautet, daß die USA damit fortfahren müßten, das internationale System zu dominieren. Hochentwickelte Industrienationen müßten bei ihren Versuchen, die Führungsrolle der USA herauszufordern oder ein größeres regionales Gewicht bzw. eine größere globale Rolle erlangen zu wollen, "abgeschreckt" werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse Washington die militärische Führung bei der Bekämpfung von Krisenherden, die das internationale System destabilisieren könnten, behalten. Im Hinblick auf seine Alliierten müßten die USA nach Ansicht der Autoren des "Defense Planning Guidance" eine Art "Adult supervison" (dt. "Erwachsenen-Beaufsichtigung") anwenden. Die Vereinigten Staaten sollten Europa und bestimmte ostasiatische Regionen nicht nur in militärische Protektorate verwandeln, sondern auch die Interessen dieser Protektorate weltweit zu sichern versuchen.

Was mit dieser Strategie verfolgt wird, liegt auf der Hand: Insbesondere Europa soll sich nicht zu einem militärisch unabhängigen Faktor entwickeln, der eines Tages zum Rivalen der USA aufsteigen könnte. Hier liegt denn auch ein wesentlicher Grund für die horrenden US-Verteidigungsausgaben, die mit Verweis auf das Ende des Kalten Krieges von vielen Zeitgenossen immer wieder als zu hoch kritisiert werden. Sie liegen deshalb falsch, weil sie die eigentlichen Konstanten der US-Hegemonie nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Die "Erwachsenen-Beaufsichtigung", die die USA im globalen Maßstab zu betreiben versuchen, ist ein unerhört teures und komplexes Unternehmen. Die USA sind deshalb gezwungen, mehr für ihren Militärhaushalt auszugeben als Rußland, Japan, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland zusammen.

Das heißt weiter, daß die "Achse des Bösen", mit der die exorbitanten Verteidigungsinvestitionen vorrangig begründet werden, nur eine wohlfeile Begründungskulisse darstellt. Dazu paßt, daß keinem dieser "Schurkenstaaten" bisher Verbindungen zu terroristischen Organisationen nachgewiesen werden konnten. Das angebliche Bedrohungsszenario, das von der "Achse des Bösen" ausgehen soll, dient im Kern also nur einem: der uneingeschränkten militärischen, politischen und ökonomischen Machtentfaltung der USA.


 
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