© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002


"Die Verfassung ist verletzt"
Der Münchner Staatsrechtler Peter Badura über den Verfassungskonflikt um das Zuwanderungsgesetz
Moritz Schwarz

Herr Professor Badura, hat bei der Abstimmung des Bundesrates über das neue Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung am vergangenen Freitag in Berlin ein Verfassungsbruch stattgefunden, wie die Union es formuliert hat?

Badura: Es hat eine verfassungswidrige Handlung stattgefunden, insofern der Präsident des Bundesrates die Stimmabgabe Brandenburgs für gültig befunden hat. Und das, obwohl einer der vier Vertreter dieses Bundeslandes mit "Nein" gestimmt hat und damit eine einheitliche Stimmabgabe nicht zustande gekommen ist.

Also doch ein Verfassungsbruch?

Badura: Nein, eine verfassungswidrige Handlung. Das Wort "Verfassungsbruch" ist eine scharfe Vokabel, die das, was passiert ist, überspitzt.

Wie unterscheiden Sie inhaltlich die "verfassungswidrige Handlung" vom Verfassungsbruch?

Badura: Die Verfassung regelt, in welcher Weise über die Zustimmung oder Ablehnung eines Bundesgesetzes im Bundesrat zu entscheiden ist. Wenn diese Regelungen nicht eingehalten werden, ist die Verfassung verletzt, und damit kann das Gesetz nicht wirksam werden. Das ist eine sicherlich nicht besonders "schöne", aber durchaus nicht unbekannte Situation im "Alltag" der Gesetzgebung. Anders verhält es sich mit dem Verfassungsbruch, bei dem es sich nicht um einen Regelverstoß, sondern um einen Angriff auf die Verfassung handelt.

Laut Gesetz hat ein Bundesland seine Stimmen einheitlich abzugeben. Müssen sich alle Repräsentanten einig sein, oder darf der Ministerpräsident die übrigen Vertreter "zur Ordnung rufen", eventuell gar überstimmen?

Badura: Einheitlich heißt, daß alle Stimmen gleich lauten müssen: "Ja", "Nein" oder "Enthaltung". Ist das nicht gegeben, ist die Stimme des Landes ungültig. Wird sie dennoch gewertet, ist die Verfassung verletzt.

Wie hätte Bundesratspräsident Klaus Wowereit reagieren müssen?

Badura: Er hätte die Sitzung unterbrechen und für Klarheit sorgen sollen, um dann noch einmal abstimmen zu lassen. Hätte sich der Fall nicht geklärt, hätte er gemäß der Verfassung feststellen müssen, daß dem Gesetz die Zustimmung verweigert worden ist, und daß es deshalb dem Bundespräsidenten nicht zur Ausfertigung zugeleitet werden kann. Tatsächlich aber muß der Bundespräsident nun seinerseits prüfen, ob eine Zustimmung vorliegt oder nicht. Ich meine, er müßte zu dem Ergebnis kommen, daß die Zustimmung nicht vorliegt.

Muß diese mutmaßliche Fehlentscheidung Konsequenzen für Bundesratspräsident Wowereit haben?

Badura: Nein, der Bundesratspräsident hat wohl fehlerhaft, aber offenbar nicht vorsätzlich schuldhaft gehandelt, insofern kann man einen Fehler, aber keinen Amtsmißbrauch feststellen.

Nun wird der Vorwurf erhoben, wieder einmal hätten die Parteien die Vertretung der Länder für Parteipolitik mißbraucht.

Badura: Der Bundesrat ist durchaus dazu da, auch der Parteipolitik Raum zu geben, denn die Parteien sind Bestandteil unserer Verfassung, und sie stellen natürlich gemeinhin die Regierungen in den Ländern. Auf diese Weise reicht der Einfluß der Parteien auf ganz "natürlichem" Wege in den Bundesrat. Also leitet sich aus der praktizierten Parteipolitik im Bundesrat nicht automatisch ein Mißbrauch dieser Institution ab.

Hätten die Parteien - da der Konflikt klar abzusehen war - sich nicht bereits zuvor einigen bzw. eine solche Eskalation auf der staatspolitischen Bühne vermeiden müssen?

Badura: Natürlich, am besten hätte man den Fall gleich in den Vermittlungsausschuß gegeben.

Man hat die Inszenierung eines wahlwerbewirksamen Schlagabtausches einer staatspolitisch-verantwortungsbewußten Regelung vorgezogen - ist das nicht mit Recht "Mißbrauch" zu nennen?

Badura: Natürlich ist diese Inszenierung wahrlich fragwürdig, aber ich bin Wissenschaftler und muß mich deshalb einer moralischen Wertung enthalten, ich bitte Sie dafür um Verständnis. Mein Metier ist die Beurteilung der Rechtslage.

Die bekannte Redewendung vom "Schaden an der Demokratie" ist erneut in aller Munde.

Badura: Ja, aber all diese moralischen Bewertungen befinden sich auf der Ebene der Politik und des Journalismus, und diese Urteile sind als solche vielleicht berechtigt. Als Jurist gehe ich allerdings von dem aus, was tatsächlich zu erwarten ist, und da geht es auf der Bühne der Politik natürlich meist nicht zu wie in einem Herrenclub.

Nun wird von einer "Verfassungskrise" gesprochen, ist das zu hoch gegeriffen?

Badura: In der Tat, es handelt sich wohl eher um einen Verfassungskonflikt als um eine ausgewachsene Krise. Notfalls wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden: Das System funktioniert also, am Ende wird der Verfassung genüge getan.

Das Bundesverfassungsgericht ist eigentlich als verfassungspolitischer "Notnagel" gedacht. Ist diese Tendenz, den Gang nach Karlsruhe als Mittel der Politik einzukalkulieren, nicht eine Mißachtung der Verfassungswürde und damit eine Abnützung dieses staatsrechtlichen Herzstücks der Demokratie?

Badura: Die Politiker führen einen Streit über das Gemeinwohl, und das Gericht hat darauf zu achten, daß dabei die Regeln der Verfassung eingehalten werden. Es ist durchaus legitim, das Gericht anzurufen, wenn eine Partei meint, ihre Rechte seien bei diesem Streit verletzt worden.

Ihr Kollege, Hans-Herbert von Arnim, sieht die Parteien als Nutznießer der Substanz des Staates und faßt seine Kritik in dem bekannten Diktum zusammen: "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht".

Badura: Dieses Wort mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen, denn ich halte es für polemisch. Es beruht auf einer Verkennung der Verhältnisse, da es nicht einerseits den Willen des Volkes gibt, den man aus reiner Quelle schöpfen könnte, andererseits den sozusagen "verkorksten" und deformierten Willen der Parteien. Natürlich ist es negativ, daß die Parteien augenfällig dazu tendieren, ihre Interessen "mit Ellenbogen" durchzusetzen. Diese Tendenz müssen Medien und Wähler immer wieder korrigieren. Aber es ist nicht richtig, Staat und Parteien von vornherein als zwei völlig unterschiedliche Dinge zu betrachten und dann auch noch zu formulieren, letztere machten sich ersteren zur Beute - als ob es sich um eine Art Mafia handle, die einen Goldschatz aufteilt. Tatsächlich wird der Staat im wesentlichen dadurch sichtbar, daß die Parteien in ihm die politische Willensbildung beeinflussen.

 

Prof. Dr. Peter Badura geboren 1934 in Oppeln/ Oberschlesien. Peter Badura ist Professor für Öffentliches Recht, Rechts- und Staatsphilosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitherausgeber des "Archiv des öffentlichen Rechts"

 

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