© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Uferloser Strafrahmen wird eingegrenzt
Justiz: Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält Vermögensstrafen für nur bedingt Rechtskonform
Klaus Kunze

Mit Urteil vom 20. März 2002 hob das Bundesverfassungsgericht die gegen einen Rauschgifthändler verhängte Vermögensstrafe auf. Der 1994 in Hamburg verurteilte "Arbeitslose" wird sein Häuschen im Wert von bis zu 800.000 Mark behalten dürfen. Der 1992 in das Strafgesetzbuch eingefügte Paragraph 43a wurde für verfassungswidrig erklärt, weil er dem Gebot rechtsstaatlicher Bestimmtheit nicht genügt. Das Landgericht Hamburg wird über seinen Altfall neu zu entscheiden haben, auch über die verhängte Haftstrafe von dreieinhalb Jahren für den mit 30 Kilogramm Haschisch erwischten Großdealer.

Wer über die Gründe in manchen Zeitungen nur oberflächlich informiert wurde, mußte irritiert sein. Indessen hat das Bundesverfassungsgericht nichts Grundsätzliches gegen eine Vermögenseinziehung als Strafe für schwerste Kriminalität einzuwenden. Wo Vermögen nachweisbar auf kriminellem Gewinn fußte, wurden auch dem Hamburger 10.660 Mark und ein Auto ersatzlos entzogen wie jedem Täter seine Beute. Die zusätzliche Vermögensstrafe von 600.000 Mark richtete sich gegen sein Haus, das er zwar nicht nachweisbar aus kriminellen Gewinnen erworben hatte, nach Meinung der Hamburger Richter deutete aber alles darauf hin.

Mit Art.103 II GG unvereinbar ist Paragraph 43a StGB, weil der Gesetzgeber Ausmaß und richterlichen Anwendungsbereich von Vermögensstrafen ungeregelt und dem Richter damit ein quasi willkürliches Ermessen ließ. Paragraph 43a erlaubte dem Richter die Schätzung und den völligen Entzug seines ganzen Vermögens. Eine solche, nach oben offene Strafhöhe kann nach nach Formulierung des Verfassungsgerichts "zu uferlosen Strafrahmen führen" und die "Bestimmung der Strafe zu einem unberechenbaren Akt richterlicher Entscheidung" machen. Der Gesetzgeber hatte es versäumt, den Gerichten gesetzliche Wertungskriterien an die Hand zu geben, so daß das Ausmaß der Strafe nach der Schuld des Täters und den Wirkungen der Strafe auf ihn im voraus absehbar und nachvollziehbar ist. Solche gesetzlichen Maßstäbe werden bei der Verhängung von Geldstrafen tagtäglich angewandt, die nach einer schuldangemessenen Anzahl von Tagessätzen verhängt werden, multipliziert mit dem Tageseinkommen des Täters.

Bei der neuen Vermögensstrafe des Paragraph 43a StGB "ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, das verfassungsrechtliche Minumum an gesetzlicher Vorausbestimmung zur Auswahl und Bemessung der Strafe bereitzustellen. Dadurch wird es dem von der Vermögensstrafe Betroffenen in rechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise erschwert, Art und Maß der Sanktion vorherzusehen, die er als staatliche Reaktion auf seine Straftat zu erwarten hat."

Der Gesetzgeber kann diese Mängel jederzeit beheben, eine präzisere und rechtsstaatliche Neufassung beschließen und die kriminalpolitisch wünschenswerte Vermögensstrafe neu beleben.

Ein Grundproblem der Gesetzgebung und Rechtsanwendung bleibt aber bestehen, für das der Fall des nichtigen Paragraph 43a StGB nur ein Anwendungsfall ist. Nach Art. 103 GG muß Jedermann jederzeit wissen, ob er sich strafbar verhält oder legal und welche Strafe er zu erwarten hat. Gegen diese Grundregel des Rechtsstaats vertößt nicht nur der für nichtig erklärte Paragraph 43a StGB. Je mehr der Gesetzgeber von populistischen, volkspädagogischen oder ideologischen Motiven beherrscht wird, desto mehr schwindet eben diese Vorhersehbarkeit staatlicher Strafjustiz.

Im Lichte des Drogendealer-Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der liebevollen Sorgfalt, mit der das Gericht sich - im Ergebnis richtig! - dort um die Rechtsstaatlichkeit sorgte, wäre es eine Untersuchung wert: Wo bleibt dieselbe Sorgfalt in so vielen Fällen von Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen wegen Volksverhetzung, die nicht zur Entscheidung angenommen werden?


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen