© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002


Verfassungsschutz und Demokratie
NRW, die "Zeit" und die Toleranz
Dieter Stein

Die JUNGE FREIHEIT wird auch im soeben vorgestellten Jahresbericht 2001 des Landesamtes für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ausgiebig behandelt. In dem 217 Seiten umfassenden Bericht ist die JF dem SPD-Innenminister acht Seiten wert, um wie seit 1995 zu dem Ergebnis zu kommen, daß "Veröffentlichungen der JF Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen" enthalten.

Wenn das Vorgehen des NRW-Verfassungsschutzes nicht konkrete politische und wirtschaftliche Folgen für diese Zeitung hätte, könnte man in homerisches Gelächter ausbrechen, so kafkaesk wirkt das Anschwärzen einer Zeitung, die sich die Freiheit nimmt, jenseits der vorherrschenden Meinung auch unbequeme Autoren zu drucken und Tabu-Themen anzupacken.

Auf der einen Seite geht von der reinen Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht - selbst wenn dort nur Banalitäten referiert werden - immer noch eine ehrfurchteinflößende Kraft auf viele Bürger aus. Auf der anderen Seite hat sich nicht erst seit den jüngsten Skandalen um die V-Mann-Praxis in der NPD herumgesprochen, daß die Wertungen, des Verfassungsschutzes, oft parteipolitisch motiviert und höchst umstritten sind.

So scheint Jens Jessen auch den NRW-Verfassungsschutz im Auge gehabt zu haben, als er in der jüngsten Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit auf der Titelseite schrieb: "Wer heute eine wirklich kontroverse Position formuliert, wird sogleich Skandalgeschrei vernehmen, wenn nicht gefährlichen Tabubruchs verdächtigt werden. Die liberale Öffentlichkeit neigt dazu, andere als liberale Meinungen gar nicht mehr zuzulassen. (...) Kritiker Amerikas gelten als Antiamerikaner, Euroskeptiker als Nationalisten."

Und weiter schreibt der Zeit-Feuilleton-Chef: "Der Liberalismus hat gesiegt, aber dieser Sieg besteht darin, daß er seine Toleranz verloren hat. Es ist ein verfolgender Liberalismus entstanden, der alles Denken unter Radikalismusverdacht stellt, das nach Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen sucht. Linkes Denken gilt immer schon als linksextrem, rechtes Denken als rechtsextrem. Der siegreiche Liberalismus hat die Mentalität eines Staatsschutzes angenommen, der überall Verfassungsfeinde sieht. Denn Staatsräson ist zum Kern des Liberalismus geworden, nachdem er den Staat erfolgreich gekapert hat. Heilig ist der Status quo der Bundesrepublik; wer an ihm rüttelt, gilt schon als totalitär. (...) Als Faschist gilt heutzutage jemand schneller, als er blinzeln kann."

Jessen, der eine Intoleranz nach links und nach rechts konstatiert, kommt zu dem Ergebnis: "Wir müssen wieder lernen, daß abweichende Meinungen nicht unbedingt der Bosheit entspringen, sondern auch Argumenten, vielleicht nur einem anderen Lebensgefühl. Eine kämpferische Demokratie darf nicht nur gegen ihre Feinde, sondern muß auch für die Freiheit kämpfen. Wenn es bloß darum ginge, alle Meinungen auf die Mitte des politischen Spektrums zu begrenzen, was wäre der Unterschied zur Diktatur?" Ob diese Zeilen in Düsseldorf verstanden worden sind?


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