© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Wolfgang Böhmer
Im Glauben fest
von Christian Vollradt

Zyniker könnten meinen, Wolfgang Böhmer wolle sich auf seine alten Tage einen Jugendtraum erfüllen: Auf die Frage, was er machen würde, wenn er nochmal Zwanzig wäre, antwortete der Spitzenkandidat der sachsen-anhaltinischen CDU " ... in ein Entwicklungsland gehen".

In der Tat hat das Land zwischen Harz und Fläming, Elbe und Unstrut noch einigen Nachholbedarf auf dem Weg zum Aufschwung Ost, gerade auch im Vergleich zu seinen Nachbarn Thüringen und Sachsen. Vom Zusammenbruch der Planwirtschaft war man hart getroffen, liegen dort doch Industriereviere wie das Gebiet zwischen Halle und Merseburg oder Bitterfeld, die allesamt in großem Stil abzuwickeln waren.

Böhmers Gegenspieler, Ministerpräsident Höppner, trägt darüber hinaus nicht gerade dazu bei, die Stimmung von Larmoyanz in Tatendrang zu wandeln. Hier hakt nun - bisher freilich nur rhetorisch - der 1936 geborene Unionsvorsitzende ein. Mit dem Motto "Chancen - statt Verteilungsgerechtigkeit" zieht er in den Kampf um die Mandate für den am 21. April zu wählenden neuen Landtag in Magdeburg. Wie es die Kommunen bereits erfolgreich vorexerziert hätten, so Böhmers Forderung, solle nun auch das Land einen Sparkurs einschlagen, statt sich weiter in großem Maße neu zu verschulden. Außerdem müßten staatliche Dienstleistungen zugunsten privater Anbieter eingeschränkt werden. Das Spannungsverhältnis zwischen prekärer Finanzsituation einerseits und Fürsorgebedarf andererseits hat der aus Wittenberg stammende Böhmer aus zwei Perspektiven bereits kennengelernt: In der Regierung unter Werner Münch diente er sowohl als Minister der Finanzen von 1991 bis 1993, als auch als Sozialminister von 1993 bis 1994. Im "Zivilberuf" ist der bekennende evangelische Christ habilitierter Mediziner, eine in der Politik eher unterrepräsentierte Berufsgruppe.

1998 löste der Liebhaber guter Weine und gefühlsbetonter Musik den glücklosen Christoph Bergner an der Spitze der sachsen-anhaltinischen CDU ab, nachdem diese bei den Wahlen mit schlappen 22 Prozent abgestraft worden war. Nun sagen die Auguren immerhin 36 Prozent voraus, so daß Böhmer sich Chanchen auf die Ablösung der von der PDS geduldeten SPD-Regierung ausmalen kann - mit den beiden Unbekannten FDP und Schill-Partei in der Gleichung.

Als Chefarzt des Paul-Gerhardt-Stiftes der Lutherstadt Wittenberg hatte Böhmer von 1974 bis 1991 Tuchfühlung mit dem großen Barockdichter, der wie kein anderer das evangelische Gesangsbuch prägte. Von jenem stammen die Verse: "Wenn der Winter ausgeschneiet/tritt der schöne Sommer ein/also wird auch nach der Pein/wer's erwarten kann, erfreuet." Das gilt unabhängig vom Ausgang der Magdeburger Landtagswahl am 21. April. Für Wolfgang Böhmer - und hoffentlich auch für die 254.925 Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt.


 
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