© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Sterbeglöckchen für das Magdeburger Modell
Wahlen: In Sachsen-Anhalt steht der SPD ein schwerer Einbruch bevor / Eine "bürgerliche Koalition" aus CDU, Schill und FDP gilt als unwahrscheinlich
Matthias Bäkermann

In zwei Wochen, am 21. April, sind die Bürger Sachsen-Anhalts aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Neben den vier im Landtag vertretenen Parteien SPD, CDU, PDS und FDVP bewerben sich weitere neun Parteien um die Gunst der Wähler. Die noch im Landtag sitzende DVU führte als Grund ihres Nichtantrittes zur Wahl personelle und finanzielle Engpässe an.

Als aussichtsreiche Partei für einen Einzug in den Magdeburger Landtag gilt neben der FDP auch die Partei Rechtsstaatliche Offensive, besser bekannt als Schill-Partei. Die Grünen dürften ebenso wie die "Spass-Partei", die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), die Ostdeutschen Partei der Mitte (OpdM), die Pro Deutsche Mitte (Pro-DM Partei), die Rechtsstaatliche Bürger Partei (RBP) und das Wahlbündnis DKP/ KPD kaum den Einzug ins Parlament schaffen, eventuell erreichen einige dieser Parteien sogar den einen Prozent nicht, der für eine Wahlkampfkosten-Rückerstattung notwendig wäre.

Laut einer Telefon-Wahlumfrage des Mitteldeutschen Rundfunks vom 21. bis zum 26. Februar wird es bei den großen Parteien erhebliche Verschiebungen der Wählergunst geben. Die von der PDS tolerierte Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Reinhard Höppner muß sich nach dieser Umfrage auf einen dramatischen Verlust gefaßt machen. 1998 hatte die SPD noch 35,9 Prozent der Stimmen für sich gewinnen können. Laut Umfrage liegt ihr Wert jetzt nur noch bei knapp 30 Prozent, andere Umfragen sehen die SPD mit teilweise sogar mit erdrutschartigen Stimmenverlusten auf Platz drei hinter der PDS. Die CDU hingegen scheint sich von ihrem katastrophalen Ergebnis von 1998 (22 Prozent) zu erholen. Unter dem Spitzenkandidaten Wolfgang Böhmer könnten die Christdemokraten mit etwa 35 Prozent der Wählerstimmen rechnen.

Die FDP liegt mit ihrer Frontfrau Cornelia Pieper, die sogar als Ministerpräsidentin kandidiert, in der MDR-Umfrage bei sieben Prozent. Damit würde eine Koalition von CDU und FDP für einen Regierungswechsel nicht ausreichen, denn die PDS kann sich voraussichtlich ebenso wie 1998 bei etwa 20 Prozent positionieren. Entscheidender Faktor könnte, wie schon in Hamburg 2001, die Schill-Partei sein. In den Umfragen liegt die Partei Rechtsstaatlicher Offensive mit ihrem Spitzenkandidaten Ulrich Marseille zwar nur bei vier Prozent, doch kann man mit den Erfahrungen der demoskopischen Erhebungen aus der Hamburg-Wahl einen höheren Prozentanteil annehmen (In Hamburg wichen die Voraussagen der Schill-Partei in den Umfragen deutlich vom wirklichen Wert von 19,4 Prozent ab). Wolfgang Böhmer schloß eine Regierungsbeteiligung der Schill-Partei in Magdeburg grundsätzlich nicht aus. Allerdings dürfte eine Koalition aus Schill-Partei, CDU und FDP an der schon im Januar formulierten Absage einer Zusammenarbeit von Cornelia Pieper scheitern, die sich damit, anders als der Hamburger Liberalen-Kandidat Rudolf Lange, vorzeitig gegen eine "bürgerliche Koalition" stellte.

Doch obwohl beide derzeitigen de-facto Regierungsparteien die Fortsetzung des auf Tolerierung basierende Magdeburger Modell nach der Wahl ausschlossen, scheint Reinhard Höppner eine klare Koalitionsaussage in Richtung PDS zu scheuen. Andererseits hat er, anders als noch 1998 diese Möglichkeit mit der SED-Nachfolgepartei nicht explizit ausgeschlossen. Die PDS mit ihrer Spitzenkandidatin Petra Sitte stünde für eine Koalition sofort bereit. Wie die PDS-Landesvorsitzende Rosemarie Hein bereits am 23. März sagte, gehe es nun nach Mecklenburg-Vorpommern und Berlin um die dritte Koalition, die mit der PDS notwendig sei, um der Bundesregierung auf dem Wege über den Bundesrat besondere Akzente in der Politik für die neuen Bundesländer zu setzen.

Doch Höppner scheint die Lage der SPD zu überschätzen. Auf die Frage nach der Zufriedenheit der Bürger Sachsen-Anhalts mit der Arbeit der Landesregierung offenbarte sich ein Desaster: Niemand war sehr zufrieden, nur 18 Prozent waren zufrieden, 53 Prozent weniger zufrieden und 26 Prozent äußerten absolute Unzufriedenheit mit Höppners Politik. "Dieses ist der schlechteste Wert, den wir jemals in einem Bundesland gemessen haben", erklärte Richard Hilmer vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap. Unter dieser Voraussetzung klingt die Äußerung Höppners in der Welt vom 30. März vermessen. "Wir haben Koalitionsangebote aus allen Richtungen - wenn es sich rechnen würde, auch von der FDP." Auch eine rot-schwarze Koalition will Höppner nicht ausschließen. Allerdings offenbart die Einschätzung, daß Rot seiner Ansicht nach in der Wählergunst vor Schwarz stünde, einen gewissen Realitätsverlust des Sozialdemokraten.

Doch noch eine Partei könnte der SPD die Fortsetzung ihrer Regierungstätigkeit unmöglich machen. Falls die FDVP den Wiedereinzug in das Magdeburger Parlament schaffen würde, ist eine realistische Mehrheit für SPD und PDS fast ausgeschlossen. Obwohl die Umfragewerte der Freiheitlichen deutlich unter fünf Prozent angegeben werden, könnte es ähnlich wie bei der Schill-Partei am Wahlabend noch eine Überraschung geben. Denn das Bekenntnis zu Parteien rechts von der CDU steht in den Umfragen in einem Mißverhältnis zur geheimen Wahl in der Kabine. Der Wahlkampf der FDVP könnte zumindest diese Option eröffnen, stellte die Fraktionsvorsitzende Claudia Wiechmann auf den Wahlplakaten immerhin die Nähe zum prominenten österreichischen Freiheitlichen Jörg Haider heraus und kann damit eventuell einen größeren Wählerkreis als die Protest-Klientel ansprechen.


 
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