© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Das Volk für dumm verkauft
Zuwanderungsgesetz: Die Äußerung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller offenbart die Unentschiedenheit der CDU-Opposition
Michael Wiesberg

Unterwegs in die Bananenrepublik": So übertitelte Ende März der Historiker Jörg Friedrich mit Blick auf das unsägliche parteipolitische Taktieren im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz seinen Beitrag für das "Politische Feuilleton" des Deutschlandradios. Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) habe, wie in der Bananenrepublik üblich, solange gefragt, so Friedrich, bis das Ergebnis ihm ausreichend erschien.

Zu Friedrichs Kennzeichnung Deutschlands als "Bananenrepublik" paßt, daß führende Vertreter der Großparteien Politik immer mehr als PR-Inszenierung zu deuten scheinen. Die "Kernkompetenz" vieler Spitzenpolitiker liegt heute vor allem im schauspielerischen Bereich. Die Verifizierung dieses "Paradigmenwechsels" im Selbstverständnis vieler bundesdeutscher Politikakteure ist dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) vorbehalten geblieben, der freimütig eingeräumt hat, daß das Verhalten der CDU-Ministerpräsidenten bei der Abstimmung über die Vorlage des Zuwanderungsgesetzes in der Länderkammer vorher "einstudiert" war: "Die Empörung hatten wir verabredet", erklärte Müller. Und: "Das war Theater, aber legitimes Theater." Schauspielerische Qualitäten zeigte insbesondere Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Dieser wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Er drohte, er wetterte, er lief rot an. Heute wissen wir: Koch führte eine Posse auf, deren Flachsinn ihresgleichen sucht.

Müller, scheinbar baß erstaunt über die erregten Reaktionen auf seine Offenbarung, räumte ein: "Natürlich ist mir ein Fehler passiert. Ich habe ungenügend bedacht, wie meine Bemerkung böswillig uminterpretiert und mißverstanden werden kann." Die Debatte um seine Aussage sei ein "grandioser Sturm im Wasserglas" ohne sachlichen Hintergrund, sagte er in den ARD-Tagesthemen. Da von Müller kaum angenommen werden kann, daß er ein politischer Einfaltspinsel ist, muß auch im Hinblick auf seine Denunziation davon ausgegangen werden, daß deren Wirkung trotz anderslautender Aussage sehr wohl kalkuliert war. Nicht auszuschließen ist, daß Müller sein Mütchen an einigen seiner Kollegen, insbesondere aber an Roland Koch, kühlen wollte. Der saarländische Ministerpräsident vertritt nämlich seit langem die Ansicht, daß Deutschland ein Einwanderungsland sei und daß seine Partei endlich offen mit dieser Tatsache umzugehen habe. Auch der von Koch propagierte Begriff der "Leitkultur" war für Müller wenig mehr als ein "Reizwort", auf das besser verzichtet werden sollte. Weiter muß daran erinnert werden, daß die Empfehlungen der von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzten Zuwanderungskommission unter Rita Süssmuth sich weitgehend mit migrationspolitischen Thesen der CDU-Kommission unter Peter Müller deckten. Bundesinnenminister Schily (SPD) lobte denn auch demonstrativ Anfang Juli 2001 sowohl Süssmuth als auch Müller für ihre Arbeitsergebnisse. Müller hatte also durchaus Gründe, gewisse Parteifreunde als "Schauspieler" zu denunzieren und damit der öffentlichen Kritik auszusetzen. Die Folgen dieser Denunziation für die Unionsparteien sind allerdings fatal, wie die letzten Umfrageergebnisse zeigten. Die Akzeptanz der Union ist durch die Vorgänge im Bundesrat im Schwinden begriffen. Die Unions-Klientel quittiert die Ränkespiele ihrer politisierenden Schauspieler im Ministerpräsidentenrang mit Vertrauensentzug.

Daß diese Vorgänge im Zusammenhang mit einer schicksalhaften Weichenstellung für die weitere Entwicklung der deutschen Gesellschaft stehen, unterstreicht Jörg Friedrichs Hinweis auf die "Bananenrepublik". In dieser geht es offensichtlich nur noch um Kommunikation. Die Inhalte dieser Kommunikation sind beliebig austauschbar, sofern sie der parteipolitischen Profilierung nützlich sind. War da überhaupt was? Ja, da war was: Zur Entscheidung stand nämlich nicht mehr und nicht weniger als die Frage, wie es Deutschland in Zukunft mit der Zuwanderung hält.

Nehmen wir beispielsweise die Schutz-Tatbestände für Flüchtlinge. Auch bei geschlechtsspezifischer Verfolgung werde nur die Genfer Flüchtlingskonvention angewandt, behauptet die Bundesregierung. Das Gesetz sei laut Union allerdings weniger deutlich. Peter Müller spricht von einem "unklaren Gesetzeswortlaut".

Beim Familiennachzug sieht der Gesetzentwurf eine Absenkung des Alters, bis zu dem ausländische Kinder nachziehen können, von 14 auf 12 Jahre vor. Das geht scheinbar in Richtung der Unionsforderungen. Diese meint jedoch, im Gesetz werde zugleich ein "genereller Ausnahmetatbestand geschaffen". In der Unions-Fraktion wird kritisiert, die Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern über dem Nachzugsalter seien weiter abgeschwächt worden. So sollen jetzt "Kenntnisse der deutschen Sprache" für eine Ausnahmegenehmigung ausreichen. Zuvor sei von "ausreichenden Kenntnissen" die Rede gewesen.

Nach den Vorstellungen der Koalition soll eine Härtefallregelung geschaffen werden. Damit sollen über den Schutz des Ausländergesetzes hinaus Personen vor einer Ausweisung bewahrt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe dies rechtfertigten. Die Formulierung ist der Union zu unpräzise.

Und schließlich die Frage des Zuzuges ausländischer Arbeitnehmer, bei der die nach Auffassung der Union geforderte "strikte Bindung an ein nationales Arbeitsmarktbedürfnis" nicht erreicht werde. Zwar sei die Koalition insoweit der Opposition entgegengekommen, als nicht mehr ein nur "regionales" Bedürfnis nach ausländischen Arbeitskräften ausreichen soll. Der Bedarf muß für ganz Deutschland gelten. Die Union kritisiert aber, daß die Entscheidung weiter den örtlichen und Landesarbeitsämtern überlassen werden soll. Es darf bezweifelt werden, daß diese das ganze Land im Blick haben.

Alles in allem ist das Zuwanderungsgesetz ein Gesetz mit vielen Grauzonen, die von den rot-grünen Lobbyisten genutzt werden dürften, um aus Deutschland endgültig eine Einwanderungsgesellschaft zu machen. Diese schicksalhafte Frage auf parteitaktische Ränkespiele heruntergebrochen zu haben, zeigt, wie weit sich die politische Klasse in Berlin inzwischen vom Volk abgenabelt hat.


 
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