© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Kopflose Attacke
Kirche und Antisemitismus: Goldhagens neue Thesen sind wissenschaftlich unhaltbar
Paul Gottfried

Im Jahr 1997 erzeugte Daniel Goldhagen, ein junger Akademiker von der Universität Harvard, eine internationale Sensation mit seinem Buch "Hitler's Willing Executioners" (deutscher Titel: "Hitlers willige Vollstrecker"). Darin führte der Sohn des aus Deutschland geflüchteten Historikers Eric Goldhagen den Holocaust der Nazis auf einen "eliminatorischen Antisemitismus" zurück, der angeblich im prä-hitlerischen deutschen Volk verbreitet gewesen sei. Deutsche töteten Juden nicht deshalb, weil einige Deutsche Nazis waren, sondern weil es in Deutschland eine populäre Begeisterung für das Umbringen von Juden gab, die den Nazis politischen Erfolg brachte.

Goldhagens "Fakten" wurden zwar recht bald ein Opfer des Holocaustexperten Raoul Hilberg. Auch Ruth Bettina Birn und Norman Finkelstein, die beide Familienangehörige durch die Nazis verloren hatten, widerlegten seine Thesen in aller Breite. Trotzdem kam Goldhagen zu weltweitem Ruhm für seine furchtlose Aufdeckung dessen, was er als angeborenen Antisemitismus betrachtet. Deutsche Zeitungen, hier am auffälligsten die Frankfurter Rundschau, fauchten Birn und Finkelstein an, sie seien von jüdischem Selbsthaß Verblendete.

Nach "Hitlers willige Vollstrecker" hätte sich Goldhagen zur Ruhe setzen und gut leben können mit all den Honoraren und Ehrengehältern, die er allein von den Deutschen bekam. Doch er hat es wieder getan: In seiner neuesten Schrift "A Moral Reckoning: The Catholic Church and the Holocaust in History and Today" greift er diesmal die katholische Kirche an. Goldhagen erklärt dort das Christentum zur absolut größten Quelle des Antisemitismus' in der Welt. Anfang des Jahres gab es eine bittere Kontroverse in den Vereinigten Staaten, als die New Republic fast ein ganzes Heft Goldhagens Ergüssen widmete. Es ist kaum zu verstehen, weshalb das Magazin so großzügig war. Schließlich ist die New Republic ein glühender Anhänger der israelischen Rechten und hat sich jüngst als offenherziger Unterstützer von Bushs ausgeweitetem "war on terrorism" hervorgetan. Jene, die diesen Krieg führen dürfen, sind und werden auch in Zukunft überwiegend Christen sein. Da sollte es der New Republic und ihrem Herausgeber Marty Peretz vernünftig erscheinen, eine christlich-jüdische Solidarität zu betonen angesichts eines gemeinsamen nicht-christlichen Gegners.

Seit den achtziger Jahren war das die Einstellung der meisten jüdischen Konservativen, nachdem die jüdische Monatszeitung Commentary eine Art Freundschaftspakt mit der pro-israelischen christlichen Rechten geschlossen hatte. Als zum Beispiel Abe Foxman von B'nai B'riths "Anti-Defamation League" 1994 die religiöse Rechte in polemischer Weise angriff, maßregelten Midge Decter und Irving Kristol, zwei führende jüdische Autoren, den anti-christlichen Foxman. Er solle doch die "Freunde Israels" in Ruhe lassen, hieß es.

Autoren wie Decter und Kristol würden zwar keinen Heller für die enge theologische Auslegung von Leuten wie Jerry Falwell oder Pat Robertson geben, die als baptistische Fernsehprediger und Spendensammler für ihre Erweckungsbewegung von sich reden machen. Trotzdem erkennen einige jüdische Intellektuelle, daß solche christlichen Fundamentalisten die Präsenz der Juden im mittleren Osten als "Gottes Wille" annehmen. Ebenso beobachten sie, wie konservative Katholiken und orthodoxe Juden in den Vereinigten Staaten als politische Verbündete gegen die säkularisierte Linke zusammenfinden. So macht die religiöse Rechte um Falwell und Robertson innerhalb der Republikanischen Partei deutlich Stimmung für eine moralische Wiederbewaffnung.

Die New Republic hat durchaus einiges intellektuelles Ansehen. Es gereicht dem Magazin aber nicht zur Ehre, mit Goldhagens neuestem Reißer hausieren zu gehen, besonders da er so unkritisch Anleihen nimmt von John Cornwells Buch "Hitler's Pope" (deutscher Titel: "Pius XII. Der Papst, der geschwiegen hat"). Den jüdischen Nachkriegskonsens, wonach Papst Pius XII. sich heroisch, wiewohl selektiv, für die Rettung von Juden während des Krieges einsetzte, versucht Cornwell auf den Kopf zu stellen. Seine Darstellung ist überhaupt nicht schlüssig: Das Argument, der Papst hätte noch mehr tun können, entwertet nicht die Tatsache, daß er sehr viel für italienische und ungarische Juden geleistet hat - tatsächlich weit mehr als für die geschätzten 2,6 Millionen polnischen Katholiken, darunter viele Kirchenleute, die durch die Nazis umkamen.

Antisemitismus erblickt Goldhagen sogar in der päpstlichen Enzyklika "Mit brennender Sorge" ("Cum cura ardenti") vom 14. März 1937. Sie wurde von Pius XI. verkündet, stammte aber aus der Feder des päpstlichen Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli (1876-1958), dem späteren Pius XII. Obwohl das Schriftstück scharf gegen den Rassismus der Nazis Stellung nimmt und die universelle Gültigkeit "Gottes moralischen Gesetzes" bekräftigt, wird sein Autor von Goldhagen des Antisemitismus bezichtigt, da die spezifische Verfolgung der Juden nicht extra hervorgehoben wird.

Für Goldhagen stellt sich die gesamte Geschichte der Christenheit als monomanische Judenverfolgung dar. Er sieht einen monolithischen christlichen Feind. Aber umgekehrt ist es ja auch eine geschichtliche Tatsache, daß Juden im frühen Mittelalter gemeinsame Sache mit Persern und Moslems gegen die byzantinischen Christen machten. In einer blutigen Episode halfen sie sogar dem persisch-zoroastrischen Herrscher, die christliche Bevölkerung Jerusalems auszurotten. Goldhagen weiß nicht zu differenzieren: Während die katholische Kirche mit den Juden bis in die Moderne gemeinhin zwar nicht besonders schonend umgegangen ist, kamen orthodoxe Ostchristen noch schlechter davon, besonders im vierten Kreuzzug oder im kroatischen Ustasa-Regime zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Protestantische Häretiker vor oder während der Reformation konnten im katholischen Europa auf weniger Nachsicht hoffen als Juden. Man müßte auch verrückt sein zu glauben, daß Juden nach ihrer Rückkehr nach England im 17. Jahrhundert unter englischer Herrschaft in irgendeiner Weise schlechter lebten, als die (nicht-aristokratischen) englischen oder irischen Katholiken.

Reichlich unbedarft behauptet Goldhagen, "die Geschichte des Antisemitismus folgte in allen christlichen Ländern seit der Reformation einem ungefähr gleichen Muster". In allen christlichen Ländern? Stimmt es wirklich, daß die Juden unter den Holländern oder Engländern ebenso litten wie im russischen Zarenreich? Und waren die Verhältnisse im friderizianischen Preußen genauso beengt wie in den streng katholischen österreichischen Ländern oder Bayern? Lauter Fragen, die Goldhagen offenbar nicht kennt.

In der New Republic wurden seine kopflosen Attacken gegen das Christentum mit Bildern kroatischer Nonnen garniert, die hinter deutschen Soldaten herlaufen. Ebenso sah man nicht weiter identifizierte katholische Prälaten recht unbeholfen einen Hitlergruß entbieten. Nur schwer wird man herausfinden können, weshalb die Nonnen den Soldaten hinterhertapsen (vielleicht, weil sie glauben, die Deutschen würden sie von einer ungeliebten serbischen Vorherrschaft befreien). Es gibt keinen Beweis, daß sie es taten, um den Holocaust zu fördern.

Was die Prälaten angeht, die sich in schlechter Gesellschaft befinden, so vergißt Goldhagen zu erwähnen, daß Bischöfe und andere katholische Funktionäre unter anderem in München, Berlin, Köln, Fulda und Münster sich explizit gegen die Nazi-Ideologie aussprachen. Polnische und andere Kleriker taten dasselbe und zahlten dafür mit ihrem Leben.

Mit seiner Antipathie gegen das Christentum ist Goldhagen nicht allein. Es gibt in den Vereinigten Staaten einige jüdische Publizisten und selbsternannte Berühmtheiten, die ihre Karriere der beständigen Geißelung amerikanischer Christen verdanken, denen sie eine antisemitische Geschichte und antisemitische Absichten unterstellen. Auf Leute wie Allan Dershowitz, Leonard Dinnerstein, Abe Foxman, Ruth Wisse und Cynthia Ozick, um nur ein paar zu nennen, kann man stets zählen, wenn amerikanischen Nicht-Juden weisgemacht werden soll, sie stünden in einer schrecklichen, ungebrochenen Tradition der Judenhetze, die bis auf das Neue Testament zurückgehe.

Auf der anderen Seite waren es auch Juden, die Goldhagen und seine fragwürdige Schülerschar wissenschaftlich zerrissen haben. Denn Juden, bis auf jene auf der israelischen Linken, sind relativ immun gegen die antiwestliche Politik der Schuld, welche sich bei liberalen Christen finden läßt. Und sie haben auch keine Skrupel, sich über besessene Schuldkultler lustig zu machen. Wenn Christen nur in derselben Art handelten!

 

Prof. Dr. Paul Gottfried, Nachfahre österreichisch-jüdischer Emigranten, lehrt Klassische Philologie und Staatswissenschaft an der Elizabethtown Universität in Pennsylvania. Er gilt als einer der führenden konservativen Intellektuellen im angelsächsischen Raum. Eine gekürzte Fassung des vorliegenden Aufsatzes über Goldhagen wurde erstmals in der britischen Zeitschrift "The Spectator" publiziert. Die deutsche Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Professor Gottfried.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen