© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Moral ist nicht teilbar
von Doris Neujahr

Es versteht sich von selbst, daß der Zentralrat der Juden in Deutschland für den jüdischen Staat Israel Partei ergreift. Als der jugoslawische Bürgerkrieg ausbrach, ist man hierzulande genauso selbstverständlich auf die Seite der katholischen Slowenen und Kroaten getreten, nicht auf die der orthodoxen Serben. Diese Solidarität war aber nicht bedingungslos. Beide Länder wurden hart kritisiert, wenn sie rechtsstaatliche Prinzipien verletzten. Diese Politik war richtig und erfolgreich. Demnächst treten Slowenien und Kroatien der EU bei, und auch in Serbien hat eine demokratische Entwicklung eingesetzt.

Die Haltung des Zentralrats gegenüber der Kriegspolitik Scharons läßt diese universelle Wertorientierung vermissen. Der Bombenterror gegen israelische Zivilisten ist abscheulich, nur kann man ihn nicht isoliert vom Terror betrachten, den die Palästinenser seit Jahrzehnten durch die israelischen Besatzer erleiden.

Als Hinterbliebenen- und Opfergemeinschaft eines im deutschen Namen begangenen Völkermords besitzt der Zentralrat ein moralisches Gewicht, das seinen Verlautbarungen bis heute einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert sichert, auch wenn ihr intellektueller und politischer Erkenntniswert ihn keineswegs immer rechtfertigt.

Moral kann man nicht teilen. Wer es dennoch versucht und sich wie Paul Spiegel gegen das Leid der Palästinenser taub stellt und meint, diese würden in den Medien "zu Unrecht zu Opfern gemacht", setzt sich dem Verdacht aus, daß seine moralische Argumentation in Wahrheit ein Druckmittel zur Erreichung einseitiger und außermoralischer Ziele ist.


 
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